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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Beratungs- und Forschungsstelle Immaterielles Kulturerbe Bayern am Institut für Volkskunde

 

Im Jahr 2003 wurde das „UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes“ verabschiedet. Es ist ein völkerrechtlicher Rahmen, der nationale Maßnahmen zur Erforschung, Vermittlung und Unterstützung von kulturellen Ausdrucksformen formiert. Zu diesen alltagskulturellen Performanzen, Wissensbeständen und Künsten im Sinne des Übereinkommens zählen sprachliche Ausdrucksformen, darstellende Künste (Musik, Tanz, Theater), soziale Praktiken, Bräuche und Feste, traditionelle Handwerkstechniken, Wissen über Natur sowie Formen gesellschaftlicher Selbstorganisation.

Beim immateriellen Kulturerbe stehen die Trägergruppen, also die ausübenden Menschen, im Mittelpunkt. Das immaterielle Kulturerbe wird von Generation zu Generation weitergegeben, vermittelt ein Gefühl von Kontinuität und Zugehörigkeit und soll auch die Achtung vor dem kulturellem Erbe anderer Gruppen fördern. Bedingung für die Aufnahme in eines der Verzeichnisse des immateriellen Kulturerbes sind die aktive Ausübung in der Gegenwart, die Weitergabe von Wissen und Können, die freie Zugänglichkeit, die Übereinstimmung mit den allgemeinen Menschenrechten sowie die Beachtung von Tierwohl und Nachhaltigkeit.

Deutschland ist dem Übereinkommen 2013 beigetreten und hat sich damit verpflichtet, kulturelle Ausdrucksformen zu dokumentieren, zu erforschen, zu vermitteln und Maßnahmen zur Erhaltung durchzuführen. Die Deutsche UNESCO-Kommission führt ein „Bundesweites Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes“.

Aufgrund der besonderen kulturellen Vielfalt wurde in Bayern parallel zur nationalen Liste 2013 ein eigenes „Bayerisches Landesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes“ eingerichtet. Die Aufnahmen bis 2021 sind in einer Broschüre versammelt, die beim Bayerischen Staatsministerium der Finanzen und für Heimat kostenlos bestellt werden kann.

Die Umsetzung des Übereinkommens folgt einem Buttom-Up-Ansatz, das bedeutet, dass sich die Trägergruppen selbst in einem zweijährlichen Turnus um die Aufnahme in die Verzeichnisse des immateriellen Kulturerbes bewerben. Zur Unterstützung der sich bewerbenden Gruppen gibt es seit 2017 eine Beratungs- und Forschungsstelle am Institut für Volkskunde. An immateriellem Kulturerbe Interessierte können sich dort über Inhalte und Kriterien des Übereinkommens und der Bewerbung informieren. Ebenso bekommen sie Unterstützung im Bewerbungsprozess.

  • Für eine Bewerbung ist für in Bayern ansässige Trägergruppen das Bayerische Staatsministerium der Finanzen und für Heimat zuständig, dort bekommen Sie auch die offiziellen Bewerbungsunterlagen und weitere Informationen: www.ike.bayern.de.

  • Einen ersten Überblick über Inhalte, Verfahren und Kriterien zum immateriellen Kulturerbe bekommen Sie in einem von der Beratungsstelle erstellten Beitrag in der Zeitschrift Schönere Heimat, herausgegeben von Bayerischen Landesverein für Heimatpflege (2019).  

  • Ein Interview zu den Inhalten und Zielen des immateriellen Kulturerbes in Bayern finden Sie auf dem Portal zu Regionaler Kultur in Bayern.

  • Für die vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem immateriellen Kulturerbe oder für den Austausch zwischen den mit dem immateriellen Kulturerbe  beauftragten Stellen wird am Institut für Volkskunde eine Mailingliste betreut. Sie können sich unter diesem Link  dafür anmelden.

  • Sie erreichen die Beratungs- und Forschungsstelle unter: Dr. Helmut Groschwitz, Institut für Volkskunde, Barer Str. 13, 80333 München, ike(at)volkskunde.badw.de (bevorzugt während der Pandemiemaßnahmen), 089 – 51 55 61 44.

Das UNESCO-Übereinkommen sieht neben der Einrichtung der Verzeichnisse die Dokumentation, Erforschung und Vermittlung des immateriellen Kulturerbes vor. Dieser Aufgabe stellt sich das Institut für Volkskunde. In Verbindung mit der Beratungs- und Forschungsstelle geht es darum, Konzepte zur intensiven und systematischen wissenschaftlichen Erfassung und Erforschung des immateriellen Kulturerbes in Bayern zu erarbeiten und entsprechende Forschungen durchzuführen.

Themen sind dabei auch die Veränderungsprozesse kultureller Praktiken, die durch die Bewerbungserstellung oder durch die Aufnahme in die Verzeichnisse stattfinden. Die Untersuchungen knüpfen an historische und gegenwärtige volkskundliche Forschungen zu kulturellen Ausdrucksformen an und reflektieren den Bewerbungsprozesses sowie das Übereinkommen selbst. Es geht zudem um die Vernetzung verschiedener Kulturerbeakteurinnen und -akteure. Bearbeitet werden auch Vermittlungsangebote, etwa in Form der virtuellen Ausstellung „KulturErben“ auf bavarikon oder in der Einbindung in die Schulbildung.

 

Aktuelle Projekte zum „Immateriellen Kulturerbe in Bayern“

Projekt: „Immaterielles Kulturerbe in Bayern“. Eine digitale Ausstellung immaterieller kultureller Ausdrucksformen

Projekt: „Immaterielles Kulturerbe in Bayern“ SICHTBAR machen

 

Workshop am 8. Mai 2023

„Wie riecht Heimat? Eine Bestandsaufnahme zu Geruchswelten zwischen Smellscapes, Sinneserbe und Politiken“

Der Workshop behandelt anhand ausgewählter empirischer und theoretischer Beispiele Zugänge und Fragen einer „Sensory Anthropology“ sowie der Idee eines „Sinneserbes“, das seit 2021 in Frankreich gesetzlich geschützt werden soll, und das auch hierzulande von politischer Seite her auf Interesse stößt. Verhandelt werden auf dem Workshop auch die konzeptionellen Schnittstellen von (meist biografischen) Sinneserinnerungen, historischen wie gegenwärtigen Geruchswelten, einschließlich dem damit verbundenen kulturellen Gedächtnis, und einem sensorischen Kulturerbe. Eine Publikation der Beiträge und Ergebnisse ist für 2024 vorgesehen. 

Die Veranstaltung findet in Kooperation des Instituts für Volkskunde der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften mit dem Bayerischen Landesverein für Heimatpflege statt. 

Workshop am 18. Juli 2022

KulturErben II – Medialisierung von immateriellem Kulturerbe

Die virtuelle Ausstellung „KulturErben – Immaterielles Kulturerbe in Bayern“ ging Ende 2021 online und stellt jene 34 kulturellen Ausdrucksformen vor, die zu Projektbeginn 2019 im Bayerischen Landesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes gelistet waren (https://www.bavarikon.de/kulturerben). Neben den Beschreibungen der einzelnen Trägergrupppen, der historischen Entwicklung und den heutigen Performanzen werden zentrale Inhalte des immateriellen Kulturerbes thematisiert – zu diesen zählen etwa das UNESCO-Übereinkommen, die Rolle von Gemeinschaften, die Bedeutung nötiger Verhandlungen oder die Weitergabe von Wissen und Können. Die Ausstellung möchte dabei Begriff und Inhalt des immateriellen Kulturerbes sowohl fundiert als auch niederschwellig vermitteln, die kulturelle Vielfalt sichtbar machen und über die Ausstellung hinaus auf die bereits vorhandenen (oder neu hinzukommenden) Objekte in bavarikon verweisen, um diese für eine vertiefte Beschäftigung mit immateriellem Kulturerbe zugänglich zu machen.

Von 2022 bis 2023 wird die Ausstellung in einem Fortsetzungsprojekt sowohl durch weitere kulturelle Ausdrucksformen als auch durch neue Themen erweitert. Wir möchten diesen Zwischenstand nutzen, um zentrale Aspekte zu diskutieren, diese mit dem vorhandenen Konzept der Ausstellung in Beziehung zu bringen und einen Impuls für kommende (virtuelle) Ausstellungen zum immateriellen Kulturerbe zu setzen. Hierzu zählen der komplexe und teils paradoxe Zusammenhang von Museen und Ausstellungen mit den fluiden und flüchtigen Performanzen der KulturErben, die Potentiale und Herausforderungen von virtuellen Ausstellungen und der plattformbasierten Wissensvermittlung, sowie die Strategien und Formate der Medialisierung von immateriellem Kulturerbe zwischen Dokumentation, Ästhetisierung, Inszenierung und Emotionalität. Mit dem interdisziplinären Workshop sollen zu diesem Themenkomplex relevante Konzepte diskutiert und praxisnahe Erfahrungen vorgestellt werden. Die Veranstaltung zielt dezidiert darauf, die aufgeworfenen Fragen auch weiterhin gemeinsam zu verfolgen.

Interdisziplinäre Tagung, 30. Januar bis 1. Februar 2019

Kulturerbe als kulturelle Praxis – Kulturerbe in der Beratungspraxis

Kulturerbe hat nicht nur als Thema wissenschaftlicher Diskurse Konjunktur, sondern auch in Form verschiedener kulturpolitischer Programme und Konzepte. Die Konventionen der UNESCO, die Programme zum Europäischen Kulturerbe oder die Strukturen des Denkmalschutzes markieren das große politische und zivilgesellschaftliche Interesse an der zeitgenössischen Aneignung von „Kulturerbe“. Mit dem Beitritt Luxemburgs (2006), der Schweiz (2008), Österreichs (2009) und Deutschlands (2013) zum 2003 von der UNESCO verabschiedeten „Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes“ verstärkte sich diese Entwicklung in den deutschsprachigen Ländern und rückt seitdem performative kulturelle Ausdrucksformen stärker in den Fokus.

Seit den Vorbereitungen für das UNESCO-Übereinkommen sowie den ersten Beitritten gibt es eine intensive und kritische Auseinandersetzung in den volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Fächern über die Konzepte, Strukturen und Paradoxien des „Kulturerbes“. Das betrifft u.a. den Einfluss des Bewerbungs- und Auszeichnungsverfahrens auf Praktiken des immateriellen Kulturerbes, die politischen Instrumentalisierungen und Kommodifizierungen bis hin zu den Ambivalenzen des Identitätsbegriffs, einschließlich der zu beobachtenden Rückkehr wissenschaftlich überholter Konzepte von „Volkskultur“ und mythologisch unterlegten Kontinuitätsvorstellungen. Diskutiert werden auch komplexe Aushandlungsprozesse in Bezug auf Contested Heritage u.a. mit tierethischen, postkolonialen und migrations- bzw. genderpolitischen Ausrichtungen.

Diese kritischen Reflexionen stehen dabei partiell im Kontrast zu Interpretationen und Selbstverständnissen über ihre Praktiken bei denjenigen, die die kulturellen Ausdrucksformen ausüben. Der Weg zum begehrten Titel „Immaterielles Kulturerbe“ im Rahmen des Umsetzungsverfahrens des UNESCO-Übereinkommens führt zudem über ein Bewerbungsverfahren, das den Antragstellenden eine intensive Selbstreflexion abverlangt. Die Bewerbung stellt eine deutliche Hürde dar, weswegen, in Erweiterung zu dem in Deutschland angestrebten „Bottom-up“-Verfahren, zahlreiche Mittelspersonen und Institutionen in den Prozess involviert sind: Verbände und Vereine, Museen und Landesstellen, Beratungsstellen und Agenturen.

Das Feld des Immateriellen Kulturerbes erlaubt jenseits aller Kritik für die kulturwissenschaftlichen Disziplinen auch einen neuen vermittelnden Zugang im Diskursfeld „Kulturerbe“, es erfordert und bietet die Möglichkeit für Übersetzungsleistungen, Wissensvermittlungen und Bewusstseinsbildungen sowie Vernetzungen zwischen den verschiedenen Akteuren. Insbesondere für die Schnittstellen von Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft eröffnen sich für alle Seiten gewinnbringende Kooperationen. Die Tagung richtete sich an alle, die mit Fragen der Umsetzung des Übereinkommens zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes sowie mit Kulturerbe-Beratung allgemein betraut sind bzw. sich kulturpolitisch oder akademisch damit auseinandersetzen. Im Vorfeld der vierten Bewerbungsrunde in Deutschland im Jahr 2019 bot sich hier die Möglichkeit, Erfahrungen und Erkenntnisse zu reflektieren und gemeinsam Konzepte für die Beratungspraxis mit ihren Ambivalenzen und Potentialen zu diskutieren.