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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Rainer Hofmann (Hg.)

Fürchten, Bangen, Hoffen. Leben um 1945 auf dem Land am Beispiel der Fränkischen Schweiz

Begleitband und Aufsatzband zur Sonderausstellung im Fränkische Schweiz-Museum Tüchersfeld, 91278 Pottenstein, vom 19. Juni – 08. November 2015. (Ausstellungskataloge des Fränkische Schweiz-Museums 23-24), Tüchersfeld 2016, Zweckverband Fränkische Schweiz-Museum, 108 Seiten mit 112 Abb. u. 171 Seiten mit Abb.
Rezensiert von Hubert Kolling
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 18.05.2018

Das im sogenannten Judenhof, einem Häuserkomplex aus dem 18. Jahrhundert, beheimatete Fränkische Schweiz-Museum Tüchersfeld (www.fsmt.de) bei Pottenstein ist nicht zuletzt durch seine besondere Lage unterhalb zweier steil aufragender, markanter Felstürme als ein Wahrzeichen der Fränkischen Schweiz weit über seine Grenzen hinaus bekannt. Nach einer Generalsanierung der bis in die 1970er Jahre als Wohnraum genutzten Gebäude wurde das Museum am 24. Juli 1985 eröffnet und stellt sich seitdem mit Erfolg den sich verändernden Anforderungen seiner Besucher. Gezeigt werden neben Handwerk und Trachten insbesondere Gegenstände aus der Erdgeschichte, Archäologie, Geschichte, Landwirtschaft und Volksfrömmigkeit. Eine Besonderheit ist die originale Synagoge aus dem 18. Jahrhundert, in der sich auch Informationen über den jüdischen Jahreskreislauf finden. Darüber hinaus konzipiert das Museumsteam jedes Jahr umfangreiche Sonderausstellungen zu besonderen Themen. Zur mittlerweile langen Liste der erfolgreichen Ausstellungsprojekte gehört auch die vom 19. Juni bis 8. November 2015 gezeigte Sonderausstellung „Fürchten, Bangen, Hoffen. Leben um 1945 auf dem Land am Beispiel der Fränkischen Schweiz“, zu der Museumsleiter Rainer Hofmann einen gleichnamigen Begleitband und einen Aufsatzband herausgegeben hat. Anlass für die Wahl des Themas, mit dem zugleich die Auswirkungen und Folgen des Krieges für die Bevölkerung der Fränkischen Schweiz dokumentiert werden sollten, war dabei die Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren.

Hermann Hübner, Vorsitzender des Zweckverbands Fränkische Schweiz-Museum und Landrat des Landkreises Bayreuth, hat zu den beiden Veröffentlichungen ein Geleitwort geschrieben, in dem er auf die erstaunliche Themenvielfalt der Ausstellung aufmerksam macht. So sei es dem Fränkischen Schweiz-Museum gelungen, auf engstem Raum eine Vielzahl interessanter Informationen zu präsentieren, und das in äußerst ansprechender Weise. Die Besucher könnten so die Nöte und Ängste der Menschen von damals, aber auch deren Hoffnungen nachvollziehen, sich mit ihnen identifizieren, Empathie entwickeln oder auch Entsetzen empfinden. Vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingskrise (2015) schreibt er sodann zur Bedeutung und Intention der Ausstellung beziehungsweise der Veröffentlichungen: „Zum einen Wissen um unsere Vergangenheit vermitteln, gleichzeitig aber auch uns die Augen öffnen für heutige Entwicklungen und uns so zum Nachdenken anregen“ (5).

Im Einzelnen vereint der Aufsatzband die folgenden acht Beiträge: Alexander Schmidt „Alltagsbewältigung in der Kriegszeit – Stimmungsberichte aus dem ländlichen Franken und der fränkischen Schweiz“ (9-25); Christoph Rabenstein „Ein KZ-Häftling erlebt das Kriegsende: der Widerstandskämpfer Oswald Merz“ (26-48); Josef Motschmann „‚Als Hitler-Bilder in der Wiesent schwammen‘. Kriegsende 1945 und Nachkriegszeit in Oberfranken“ (49-58); Jim G. Tobias „Nach der Schoa – neues jüdisches Leben zwischen Bayreuth und Pegnitz“ (59-72); Thomas Greif „‚Weitab von jeglicher Zivilisation‘: Die Fränkische Schweiz als Rückzugsort der SS-Organisation ‚Ahnenerbe‘“ (73-86); Ulrich Fritz „Die ‚deutsche Stammzelle des Karstwehrwesens‘ – Hans Brand, die SS-Karstschulungsstätte und das KZ-Außenlager in Pottenstein“ (87-101); Manfred Franze „Umbruch in der Fränkischen Schweiz: Evakuierte, Ausgebombte, Flüchtlinge und Heimatvertriebene“ (103-132); Albrecht Bald „Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft der Fränkischen Schweiz 1939-1945“ (133-171).

In seiner Einführung weist Rainer Hofmann darauf hin, dass sich die Fränkische Schweiz – wenngleich sie scheinbar abseits lag – in der Zeit des Zweiten Weltkriegs sowie in der darauffolgenden Nachkriegszeit als äußerst facettenreich erweist. So könne man bei einem genaueren Blick auf die Region überraschende Details erkennen. Zudem sei die Region eine „Kontaktzone“ gewesen, in der verschiedenste Charaktere zusammenprallten. Von daher hält er wörtlich fest: „Weder die Ausstellung noch dieser Katalog kann deshalb Ansprüchen nach einer vollständigen, objektiven Darstellung gerecht werden. Sie können aber Impulse geben, sich intensiv mit den einzelnen Facetten zu befassen.“ (7)

Wie die Darstellung zeigt, waren im Verlauf des Krieges immer mehr Männer und Jugendliche eingezogen worden und fehlten deshalb als Arbeitskräfte in der Landwirtschaft und im Handwerk. Kriegsbedingt – allein aus der Fränkischen Schweiz lassen sich mehr als 6000 Gefallene beklagen – fielen große Teile einer Generation ersatzlos aus; viele kamen verwundet zurück. Kriegslazarette, in denen Verwundete gepflegt wurden, befanden sich unter anderem auf der Burg Feuerstein und in Unterleinleiter.

Wie in anderen Regionen mussten Kriegsgefangene auch vielerorts in der Fränkischen Schweiz auf den Feldern als Ersatz für die zum Kriegsdienst eingezogenen Bauern schuften. In nahezu jedem zweiten Ort waren Kriegsgefangenenkommandos zu deren Unterbringung eingerichtet, meist in Gasthäusern und Scheunen. Oftmals schrieb man sich noch lange nach Kriegsende gegenseitig Briefe oder besuchte sich gegenseitig.

In die Fränkische Schweiz waren nicht nur Teile der Bevölkerung des Saarlandes evakuiert worden, vielmehr kamen im Zuge der Kinderlandverschickung ganze Hamburger Schulklassen dorthin. Das schwere Los der Schüler fernab ihrer Familien insbesondere gegen Kriegsende zeigen dabei erschütternde Dokumente, Bilder, Briefe, Tagebücher und verbliebene Erinnerungsstücke.

Während in den letzten Kriegsjahren etliche Rüstungsbetriebe und politische Institutionen wie das Ahnenerbe in die Region verlagert wurden, aus der Nazi-Propagandazeitschrift „Signal“ entwickelte sich in der Fränkischen Schweiz gar die Zeitschrift „Quick“, erfolgten in den letzten Kriegsmonaten Tieffliegerangriffe. Vereinzelt ist von Flugzeugabstürzen die Rede, wovon Fotos brennender Häuser und bis heute aufbewahrte Geschossteile zeugen.

Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner betrieben die Menschen ihre „Entnazifizierung“ dahingehend, dass sie eilig Uniformen, Waffen, Auszeichnungen und sonstige Gegenstände mit NS-Symbolen wegwarfen oder versteckten. Die vielerorts einquartierten amerikanischen Soldaten verteilten auch in der Fränkischen Schweiz zum Teil großzügig Schokolade an die Kinder sowie Zigaretten und Lebensmittel an die Erwachsenen. Auch wenn offiziell keine privaten Kontakte unterhalten werden sollten, kamen hier solche im Laufe der Zeit doch zu Stande, wobei vereinzelt sogar Ehen geschlossen wurden.

Mit dem Ende des Krieges kamen zahlreiche Flüchtlinge in die Fränkische Schweiz, wodurch sich in vielen Orten über Jahrhunderte bestehende Konfessionsgrenzen veränderten; zudem entstanden neue Betriebe, die wesentlich zur Weiterentwicklung der Region beigetragen haben.

Ihrem selbst gesetzten Anspruch werden beide Publikationen in jeder Beziehung gerecht, indem sie eine ideale Grundlage bieten, um sich mit den Lebensumständen der Menschen in der Fränkischen Schweiz vor und nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen zu befassen. Neben den fundierten Textbeiträgen, durch die eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema leicht möglich ist, geben vor allem die zahlreichen persönlichen Bilder, Dokumente und Erinnerungsstücke tiefe Einblicke in das Leben der Menschen in den Jahren 1943 bis 1948 und erlauben so auch Jüngeren, diese Zeit nachzuvollziehen.

Zwar wurden andernorts schon viele Ausstellungen zum Zweiten Weltkrieg und zur Nachkriegszeit erarbeitet, in deren Fokus standen jedoch nahezu ausnahmslos größere Städte und deren Zerstörung durch die Bombardements der Alliierten. Da bisher die Situation auf dem Land – wenn überhaupt – nur am Rande Beachtung fand, kommen dem vorliegenden Ausstellungskatalog und Begleitband eine umso größere Bedeutung zu.