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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Anna-Livia Pfeiffer

Das Ewige im Flüchtigen. Eine Bau- und Zivilisationsgeschichte der Feuerbestattung in der Moderne

Würzburg 2015, Königshausen & Neumann, 511 Seiten mit 279 Abbildungen.
Rezensiert von Barbara Happe
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 18.05.2018

Die zu besprechende Arbeit ist die Dissertation der Autorin an der Technischen Universität Darmstadt im Fachbereich Kunstgeschichte. Sie behandelt die Wiedereinführung der Kremation, d. h. die „verschiedenen Aufbewahrungsmodi und –orte für Aschenreste“ in der Zeit von 1849 bis 1939 und ihre mentalitäts- und sozialgeschichtlichen Hintergründe. Sie fragt nach den „baulichen Funeralmethoden“ für die Ascheaufbewahrung, den typenbildenden Bauwerken und widmet sich erstmals der Kremation und ihren Grauen im Nationalsozialismus.

Die umfangreiche Studie setzt ein mit dem bekannten Diskurs über die Wiedereinführung der Feuerbestattung und der Rezeption der Argumentation berühmter Protagonisten wie Jakob Moleschott, Friedrich Küchenmeister, Johann Peter Trusen oder Johann Jakob Wegmann-Ergolani. Im Weiteren werden die Zersetzungs- oder Auflösungsmethoden der Leichname diskutiert und die intensive Aufklärungs- und Propagandaarbeit der Feuerbestattungsvereine dargestellt.

Der Exkurs über die Feuerbestattung unter den Nationalsozialisten ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Ein interessanter Befund ist die Kontinuität der Affinität der Protestanten zur Feuerbestattung seit ihrer Wiedereinführung im späten 19. Jahrhundert und dann im Nationalsozialismus: „War das Ausklammern von individueller Glaubensausübung ein wichtiger Leitsatz der Feuerbestattungsbewegung gewesen, so gehörte Religiosität – und zwar die evangelische Konfession – künftig zur Programmatik des Großdeutschen Verbandes.“ (68)

Bei der Gleichschaltung der Feuerbestattungsvereine nach 1933 nahm der Königsberger Arzt Paul Mühling eine führende Stellung ein. Hierzu gehörte, dass der Begriff Kremation und Krematorium aus dem Wortschatz der Bewegung verdrängt wurde und man stattdessen von Feuerhallen und Feuerehrung sprach. Mühling, der eine Schrift über die „Zukunftswege nordischer Feuerehrung“ verfasst hatte, war unmittelbar an der Germanisierung und Resakralisierung der Feuerbestattung, die sich auch in der Baukunst niederschlagen sollte, beteiligt. Die „Feuerehrung“ erhielt nun eine quasireligiöse Bedeutung und gipfelte schließlich im „Lichtglauben“ und „Lichtgedanken“ als neuer „Ur-Religion“. Diese Wendung knüpft nahtlos an die Ideologie der Lichtverehrer der Lebensreformer des späten 19. Jahrhunderts an und so ist es letztlich nicht verwunderlich, dass Fidus als lichtbesessener Lebensreformer und Anhänger der Freikörperkultur der NSDAP beitrat und selbst etliche Feuerehrungshallen im Sinne stammesmäßiger Erhebungsstätten entwarf, die allerdings den Nationalsozialisten zu „okkultistisch“ waren und die „nordische Idee“ verkitschten. Anna-Livia Pfeiffer hat diese Entwürfe erstmalig im Kontext der nationalsozialistischen Feuerehrung untersucht und damit den Bogen zur Lebensreformbewegung hergestellt.

Die neue Ideologie des Lichtgedankens, die die Kremierung nun als „große, heilige Wandlung“ und „Sakrament der Zukunft“ verstand, erforderte auch ein neues Zeremoniell, das nach einer Feuerbestattung vor den Augen der Hinterbliebenen verlangte. Zudem forderte Mühling ein restloses Verschwinden der menschlichen Überreste und ein restloses Übergehen in das „Lichtreich“, was demzufolge auch eine Beisetzung der Aschenreste ausschloss, die Mühling als widernatürlich empfand (87). Er propagierte eine Überwindung des „Aschenkultes“ und einen endgültigen Verzicht auf das Stoffliche und so wurde 1934 auf dem Verbandstag der Feuerbestattung die „restlose Feuerbestattung“ als ‚Endziel‘ der Krematisten verkündet.

Mühling betrachtete den menschlichen Leichnam als „Abfallstoff im Haushalt menschlicher Gemeinschaften“, als eine wertlose Puppenhülle, die ohne jegliches Aufheben zu beseitigen sei (89). Damit war der Weg in die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie in den Krematorien geebnet.

Der zweite Teil der Studie widmet sich dem Diskurs der Architekten über die architektonische Gestalt der Krematorien, der zwischen einer eher sakralen Architektur und einer nicht verhüllenden „Einäscherungsanstalt“ schwankte. In den verschiedenen Handbüchern wurde eine interkonfessionelle Sprache gefordert, die letztlich immer wieder in einer hoheitsvollen Sakralarchitektur mündete. Dabei spielte die Frage nach dem Beisetzungsort, d. h. in Urnenhainen im Freien oder in Kolumbarien, eine wichtige Rolle. Kolumbarien konnten sich letztlich nicht durchsetzen, da sie als zu römisch und nicht deutsch genug angesehen wurden. Zudem favorisierte auch die Friedhofsreformbewegung eine Beisetzung der Aschenreste in naturnahen Urnenhainen. So fand auch das Gothaer Beispiel mit den in der Urnenhalle präsentierten Urnen keine Nachahmung. In dieser Zeit klingt bereits das Ideal von der Beisetzung der Aschenreste in der freien Natur an. „Hochkonjunktur erfuhr der Gedanke dann in völkischen Kreisen seit 1937.“ Denn der „Wald als Naturdom“ war in den Augen der völkisch Gesinnten „ein germanengemäßer Ort der Gottesverehrung“ (161). Interessant sind diesbezüglich die Kontinuitätslinien zwischen den frühen Verfechtern der anonymen Beisetzung, den Nationalsozialisten und der in der DDR propagierten und staatlich geförderten anonymen Bestattung, worauf die Rezensentin bereits verschiedentlich aufmerksam gemacht hat.

Pfeiffer befasst sich eingehend mit utopischen oder Idealentwürfen, wie etwa den bekannten Entwürfen von Pierre Marin Giraud der französischen Revolutionsarchitektur, den deutschen Entwürfen von Adolf Marsch oder den gigantomanischen Visionen von einer Totenstadt als Parallelstadt von Albrecht Haupt, die allesamt nicht verwirklicht wurden. Im Unterschied zu diesen bombastischen Projekten für Nekropolen präsentiert Pfeiffer bekannte Entwürfe von Architekten wie Paul Wolf, dem Gartenarchitekten Josef Hempelmann oder Joseph Pertl, die sich die Beisetzung der Aschenreste als eher namenlose Kollektivgräber vorstellten.

Letztlich setzte sich in Deutschland die Beisetzung der Urnen in Urnenhainen durch, und die vielfältigen Entwürfe für Urnenhallen, Kolumbariumsarkaden oder hallenartige Umgänge in der Form eines Camposanto wurden nicht realisiert. Weniger bekannt sind in diesem Zusammenhang Einzelbeispiele von freistehenden Urnenhallen in Form antiker Rundtempel, die vorwiegend in Preußen oder Bayern, wo die Feuerbestattung noch nicht erlaubt war, gebaut wurden. Als Beispiel sei hier der antike Rundtempel auf dem Friedhof Berlin-Friedrichsfelde genannt.

Ebenfalls selten wurde die architektonische Verknüpfung eines unterirdischen Funktionsbaus mit darüberliegender Beisetzungsstätte realisiert. So entstand in Coburg als Erweiterungsbau einer bestehenden Leichenhalle eine Urnenhalle, die in der Forschungsliteratur bislang wenig beachtet wurde, und in Gera wurde das viel diskutierte Kremato-Kolumbarium mit dem legendären Monistenloch, einem eigenen Versenkungsschacht, errichtet. Denn die Nichtchristen durften ihre Trauerfeiern nicht in der evangelischen Friedhofskapelle abhalten, sondern mussten ins Freie ausweichen.

Ein weiterer Typus waren „halbarchitektonische Anlagen“ mit angrenzenden Aschengärten, wozu Pfeiffer etwa das von Peter Behrens errichtete Krematorium in Hagen in Westfalen oder das von Fritz Schumacher in Dresden-Tolkewitz mit vorgelagertem Wasserbecken und rückwärtigem Urnenhof zählt. Weniger prominent ist das von Rudolf Kühn in Forst in der Lausitz in expressionistischem Formenvokabular errichtete Krematorium, das den „Lichtgedanken“ der Kremation gestalterisch umsetzte, der später von völkisch gesinnten Anhängern der Feuerehrung adaptiert wurde.

Abschließend werden verschiedene, zumeist nicht realisierte Projekte für Gemeinschaftsanlagen in Urnenhainen vorgestellt, denn seit der Friedhofsreformbewegung wurde die sichtbare Unterscheidung zwischen einem Körper- und einem Aschengrab aufgegeben, zumal Urnen und Särge gleichermaßen in Familiengräbern beigesetzt wurden. Schließlich werden einige der seit 2004 entstandenen Urnen- und Grabeskirchen beschrieben.

Das Fazit von Anna-Livia Pfeiffer ist, dass sich die utopischen Ideen zur massenhaften, oftmals anonymisierten Aufbewahrung von Aschen in ihrer Entstehungszeit aufgrund der Tradition der bürgerlichen Trauerkultur nicht durchsetzen konnten. Das ist zweifellos richtig. Ihrem letzten Satz, dass der Tote so „ein öffentliches Wesen“ bleibe, dem „man im öffentlichen Raum gedenken muss“ (452), kann die Rezensentin nur unter dem Vorbehalt zustimmen, dass öffentliche Wesen auch namenlose Wesen umfasst, denn angesichts von 20 % Gräbern ohne Kennzeichnung der Grabstätte und der zunehmenden Waldbestattungen mit ca. 5 % wird heute in Deutschland jeder Vierte vielleicht dann doch nicht mehr öffentlich beigesetzt.

Die äußerst detailreiche Untersuchung von Anna-Livia Pfeiffer bietet umfangreiches Anschauungsmaterial zur Debatte über mögliche Formen der Aschenbeisetzung und angemessener Beisetzungs- und Trauerrituale. Damit legt sie das der Kremation innewohnende Potential, die Sepulkralkultur radikal zu verändern, dar. Allerdings lassen die kenntnisreichen und teils weitschweifigen Ausführungen eine Fokussierung vermissen, aber auf was eigentlich? Der Rezensentin ist die wissenschaftliche Fragestellung dieser als monographischem Überblick angelegten Arbeit jenseits der Deskription nicht klar. Mit der breiten und sorgfältigen Darstellung der zahlreichen Entwürfe und Utopien für Krematorien und Aschenbeisetzungsarchitekturen besitzt die Arbeit einen Handbuchcharakter, der die Forschung über die Feuerbestattung bereichert.