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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Inés Pelzl

Veit Stoß – Künstler mit verlorener Ehre

(Kleine bayerische Biographien), Regensburg 2017, Friedrich Pustet, 147 Seiten, 20 Abbildungen
Rezensiert von Irmhild Heckmann
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 24.05.2018

Nach den Monographien über Albrecht Dürer (Fröhling/Huck 2011) und Tilman Riemenschneider (Schiener 2014) erschien 2017 in der Reihe der Kleinen bayerischen Biographien nunmehr die von Inés Pelzl verfasste Lebensbeschreibung von Veit Stoß (um 1450-1533), einem der wichtigsten und bereits zu Lebzeiten international tätigen Bildschnitzer/Bildhauer des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Anlässlich einer Besprechung der großen retrospektiven Ausstellung zum 450. Todesjahr in Nürnberg 1983 charakterisierte ihn das Wochenmagazin Die Zeit zu Recht als „Dramatiker unter den Bildhauern der Spätgotik“.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde der eigenwillige, hochbegabte und ebenso geschäftstüchtige Bildhauer, auch Zeichner, Maler und Kupferstecher, um 1450 im schwäbischen Horb (Neckar) geboren und verbrachte den größten Teil seines für die Zeit ungewöhnlich langen Lebens in der freien Reichsstadt Nürnberg, einem der bedeutendsten Kunstzentren und einer der wichtigsten Handelsmetropolen im damaligen Europa. Dort starb er hochbetagt im Jahre 1533. Aus den beiden Ehen mit der Nürnberger Wirtstochter Barbara Hertz und mit Christine Reinolt, Tochter eines Nürnberger Losungsschreibers, gingen 13 Kinder hervor. Im Zusammenhang mit dem letzten großen Auftrag des Künstlers, dem Hochaltar für die Nürnberger Karmeliter-Kirche St. Salvator (heute befindet sich der Altar im Bamberger Dom) erlangte sein ältester Sohn Dr. Andreas Stoß, seit 1520 Prior und Auftraggeber im Namen des Konvents, den größten Bekanntheitsgrad unter seinen Kindern.

Auf der Grundlage der spärlichen archivalischen Quellen und der wenigen, vom Künstler signierten sowie der ihm zugeschriebenen Werke versucht die Autorin den künstlerischen Werdegang mit seinen Höhen und Tiefen in acht Kapiteln nachzuzeichnen. Die Rückkehr 1496 nach Nürnberg im Anschluss an einen fast 20-jährigen Aufenthalt in Krakau stellte eine große Zäsur im Persönlichen wie in der künstlerischen Entwicklung dar. Über die ersten, etwa 30 Lebensjahre bis 1477, über Ausbildung und Frühwerk, weiß man so gut wie nichts. Die Ausbürgerungsbestätigung für den Künstler und seine Frau im Nürnberger Amts- und Standbuch dokumentiert die Übernahme eines Großauftrags, nämlich die Anfertigung des Marien-Hochaltars in der gleichnamigen Kirche der damaligen polnischen Königsstadt. Sie ist zugleich der Beginn eines archivalisch besser belegten Lebensabschnitts. Mit diesem expressiven Werk in Krakau gelang Veit Stoß der Durchbruch als Bildschnitzer und Meister einer großen Werkstatt. Weitere Renommée versprechende Aufträge fielen ihm in Krakau zu, wie etwa das Grabmal für den polnischen König Kasimir IV. (1427-1492) in der Heiligkreuzkapelle des Krakauer Doms und weitere Grabmäler bedeutender polnischer Persönlichkeiten. Hinzu kam ein überlebensgroßer Kruzifix aus Kalkstein (um 1491), der erste der von ihm ausgeführten Großkreuze. Diesen sog. Slakerschen Kruzifix hatte der königlich-polnische Münzmeister Heinrich Slaker in Auftrag gegeben und dann auch für die Marienkirche gestiftet. Nach Nürnberg zurückgekehrt, sah Stoß sich mit einer ernsthaften Konkurrenz großer Werkstätten z. B. von Peter Vischer d. Ä. (um 1455-1529), Michael Wohlgemut (1434-1519), dem Lehrer Albrecht Dürers, oder Adam Kraft (um 1455/60-1509) konfrontiert. Mittlerweile genoss er jedoch als Künstler ein Ansehen, das ihm zu zahlreichen, auch bedeutenderen Aufträgen verhalf. Bis zu Beginn des neuen Jahrhunderts schuf er für den angesehenen Ratsherrn Paulus Volckamer eine Familiengedächtnisstiftung aus Sandstein (1499) im Chor der St. Sebaldus-Kirche, zahlreiche Hausmadonnen und einen heute nicht mehr erhaltenen Altar für die Kirchgemeinde in Schwaz in Tirol (1500).  Ein tiefer Bruch vollzog sich in seiner künstlerischen und persönlichen Vita, als er durch Spekulationsgeschäfte und in deren Folge durch eine Schuldschein-Fälschung in Konflikt mit der Justiz geriet, mehrfach eingekerkert und sogar gebrandmarkt wurde. Er sollte bis zur Rehabilitation durch Kaiser Maximilian I. die Stadt nicht mehr verlassen dürfen. Den zwischen 1503 und 1506 fast nicht mehr funktionierenden Werkstattbetrieb begann er dann gemeinsam mit einem Gesellen wieder aufzubauen. Zu dieser zweiten großen Schaffensphase zählen z. B. die Raphael-Tobias-Gruppe für den Florentiner Seiden- und Juwelenhändler Raffaello Torrigiani (1516), die ihm zugeschriebene Skulptur des hl. Rochus für die Servitenkirche Santissima Annunziata (um 1520) in Florenz, ebenfalls gestiftet von Torrigiani und der berühmte Englische Gruß (1517/18) im Chor der Nürnberger St. Lorenzkirche.

Absolut korrekt stellt die Autorin den Einfluss Italiens und die Stilelemente der Renaissance im Spätwerk von Stoß fest: die Auseinandersetzung und realistische Wiedergabe der Proportionen des menschlichen Körpers z. B. bei der Darstellung des Raphael und des Tobias oder der bekrönende Aufsatz des nicht vollendeten Altars für die Nürnberger Kameliter-Kirche. Die noch erhaltene Entwurfszeichnung veranschaulicht auch eine veränderte Architekturauffassung.

Die in Grau hinterlegten Abschnitte des Buches geben Quellenauszüge wieder, informieren über die städtische Gesellschaft des ausgehenden Mittelalters, über Juden-Pogrome, Zunftwesen und Einbürgerungsverfahren sowie über einzelne Kunstwerke von Veit Stoß. Bereichernd wäre es gewesen, auch weitere bedeutende Künstler und Werkstätten der Zeit auf diese Weise besonders hervorzuheben z. B. den Straßburger Nikolaus Gerhaert van Leyden oder Michael Wohlgemut. Ersterer wird zwar im Zusammenhang mit dem Grabmal für Friedrich III. im Wiener Stephansdom erwähnt, sein entscheidender Einfluss auf die Individualisierung der menschlichen Darstellung in der Bildschnitzerei / Bildhauerei der folgenden Künstlergeneration wird jedoch leider nicht annähernd gewürdigt. Für diese Biographie hätte man sich zudem ein Mittelalter-Glossar gewünscht, in dem Begriffe wie Ewiggeld, Losungsstube oder Anniversarienbuch (nicht nur als Übersetzung aus dem Lateinischen) erläutert worden wären. Ganzseitige Farbfotos einiger Hauptwerke wie der Krakauer Marienaltar oder der Englische Gruß in der St. Lorenzkirche zu Nürnberg hätten die informative Biographie zusätzlich aufgewertet.