Logo der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Kommission für bayerische Landesgeschichte

Menu

Aktuelle Rezensionen


Anna Symanczyk/Daniela Wagner/Miriam Wendling (Hgg.)

Klang – Kontakte. Kommunikation, Konstruktion und Kultur von Klängen

(Schriftenreihe der Isa Lohmann-Siems Stiftung 9), Berlin 2016, Reimer 236 Seiten mit Abbildungen, davon 7 farbig
Rezensiert von Markus Schmidt
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 15.06.2018

Der vorliegende Tagungsband versteht sich als Beitrag zu den Sound Studies, einem relativ neuen interdisziplinären Forschungsfeld der Kulturwissenschaften, das im deutschsprachigen Raum erst vor einem knappen Jahrzehnt akademisch institutionalisiert wurde. Das Buch spiegelt den interdisziplinären Ansatz insofern wider, als es, neben dem einführenden Vorwort, einem Interview und den Kurzbiografien der Autoren, elf Aufsätze aus den Bereichen Musik-, Medien-, Sozial-, Kultur- und Kunstwissenschaften sowie Kulturanthropologie und Ethnopsychoanalyse umfasst.

Anna Symanczyk und Daniela Wagner, zwei der Herausgeberinnen, legen im Vorwort dar, warum sie die Intercom (Gegensprechanlage), deren Abbildung das Cover des Buches ziert, als „Sinnbild für die im Forschungsprojekt Klang-Kontakte verhandelten Fragen“ (9) begreifen. Diese berührten sowohl das Phänomen von Klang als Medium und Interpretationsraum zwischen Klingendem und Hörendem sowie als vergänglichem Bestandteil der materiellen Kultur als auch die Flüchtigkeit von Klang, die Probleme bei der Übertragung in andere Medien und die Ästhetisierung von Alltagsklängen.

Miriam Wendlings facettenreicher Aufsatz „Kultur der Klänge. Musikgeschichte des Michelsbergs“ behandelt die liturgische Musik im mittelalterlichen Kloster Michelsberg in Bamberg und zeigt, auf welche Weise die Auseinandersetzung der Mönche mit der Musiktheorie des 11. Jahrhunderts den liturgischen Gesang beeinflusste und gegenüber der musikalischen Praxis selbst des benachbarten Bamberger Doms veränderte. Wendlings Arbeit demonstriert eindrücklich, wie durch eine detailgenaue Rekonstruktion historischer Quellen eine Annäherung an längst vergangene Klangeindrücke ermöglicht wird.

Auditive Erkenntnisformen in den Naturwissenschaften stehen im Mittelpunkt des Textes „‚skilled listening‘: Zur Bedeutung von Hörpraktiken in naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozessen“ von Judith Willkomm. Anhand von Beispielen aus unterschiedlichen Bereichen der Naturwissenschaftsgeschichte zeigt die Autorin, dass das Hören eine oftmals wenig reflektierte Kompetenz darstellt, die implizites Wissen generiert. Um dieses implizite Wissen zu explizieren und der wissenschaftlichen Reflexion zugänglich zu machen, plädiert sie für eine gezielte Schulung des Hörvorgangs zum „skilled listening“.

In seinem Aufsatz „Klang als Form in reimreichen Liedern. Adams von Fulda ‚Ach hülff mich leid‘ und der mittelalterliche musiktheoretische Dichtungsbegriff“ untersucht Gert Hübner den Einfluss und die Bedeutung von Sprach-Klang als ästhetisierendem Merkmal für die Dichtung reimreicher Lieder der Frühen Neuzeit. Er stellt fest, dass sich der für die Musik des Mittelalters und der frühen Neuzeit vielfach nachgewiesene Zusammenhang von Textsemantik und Klangcharakter durchaus auch für die von ihm untersuchte Literaturgattung annehmen lässt.

Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive nimmt Henning Wellmann die Punk-Kultur in seinem Text „‚Aus den Boxen kommt pure Energie‘. Klänge als emotionale Transmissionsriemen in der Popkultur“ unter die Lupe und plädiert dafür, neben kulturellen Zeichen, sozialen Praktiken und diskursiven Zusammenhängen auch das körperliche Klangerleben von Musik zum Bestandteil einer umfassenden Beschreibung und Analyse von Musikkulturen zu machen, da Klänge ebenso wie Mode, Tanzstile etc. Überträger (Transmissionsriemen) für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Popkultur darstellten. Soziologische Anknüpfungspunkte zum Musikerleben ergäben sich durch das Ineinandergreifen von Klängen und Emotionen zu Bedeutungsgeflechten, die sprachlich geäußert und somit einer diskursiven Deutung zugänglich gemacht würden.

Anna Symanczyks Aufsatz „Dinge, Klänge, Emotionen. Produktsounddesign zwischen Funktion und Emotionalisierung“ befasst sich mit akustischem Produktdesign im Sinne eines „auf Geschmack, Ästhetik oder die ‚Erzählfunktion‘ von Klängen abzielende[n] Design[s]“ (91). Die Autorin zeichnet nach, wie durch die schwindende Stofflichkeit im Zuge der Digitalisierung die klangliche Ästhetisierung von Produkten immer mehr an Bedeutung gewinnt, und Produkteigenschaften „audilisiert“ (106) werden, um so den potentiellen Interessenten durch emotionale Aufladung an das Produkt zu binden.

Dass Musikinstrumente im Allgemeinen und Tasteninstrumente im Speziellen nicht mehr oder weniger zufällige Produkte ihrer Entstehungszeit sind, sondern viel von den Ideen, Konzepten und Klangidealen ihrer Epoche erzählen, stellt den Kern von Olaf Kirschs Text „In die Vergangenheit hören – Was man von historischen (Tasten-)Instrumenten lernen kann“ dar. Von den Cembali der Renaissance bis zum modernen Klavier des 19. Jahrhunderts zeichnet Kirsch die Veränderung der ästhetischen Konzepte anhand der Klangeigenschaften der Instrumente nach.

Ebenfalls mit der Geschichtlichkeit von Klängen beschäftigt sich Irmgard Müschs Aufsatz „Mehr als ein Taktgeber. Eine Sound Study der Uhrwerkshemmung“. Dabei spürt die Autorin den sich verändernden sozialen und kulturellen Bedeutungen des Tickens von Uhren durch die Jahrhunderte nach.

Um bildliche Darstellungen von Klängen geht es in Daniela Wagners Text „Stimme und Bedeutung. Zur Darstellung von Artikulation und ihrer ikonografischen Differenzierung“. Wagner untersucht die Darstellung von stimmlichen Äußerungen in der europäischen Malerei der frühen Neuzeit. Auffällig sei hierbei, dass die Münder der dargestellten Personen nur dann geöffnet seien, wenn es um Affekte oder Gesang gehe, wohingegen sie bei der Rede geschlossen blieben. Wagner führt dies auf die bereits in der griechischen Antike postulierte und im Mittelalter vor allem durch Boethius und Thomas von Aquin weiter differenzierte Unterscheidung von Sprech- und Singstimme zurück, derzufolge die Sprechstimme ihre Bedeutung durch die Worte, die Singstimme hingegen durch den Klang gewinne.

Alexis Ruccius‘ Text „Phonomorphie von Klang und Bild. Drei Motive in den Klangskulpturen Stephan von Huenes“ beginnt mit der These, dass Gesichtssinn und Hörsinn voneinander nicht zu trennen sind.  „Wenn wir hören, sehen wir zugleich.“ (175) Diese untrennbare Wahrnehmung von Bild und Klang nennt er Phonomorphie. Der Aufsatz untersucht drei Motive bzw. Themen, die sich nach Aussage des Klangkünstlers Stephan von Huene durch dessen Werk ziehen: der den mechanischen Musikinstrumenten innewohnende, originäre Klang, die kinästhetische Wahrnehmung von Musik und damit verbunden die Materialität von Klängen sowie die Bedeutung von Musik für die Sprache.

Kathrin Wildners „The Sound of Global Prayers. Skizzen zur Erforschung der Stadt durch Sound“ untersucht akustische Manifestationen des Religiösen (religiöse Soundscapes) im urbanen Raum und stellt fest, dass Sound, bedingt durch die ständige Wechselwirkung von religiösen und urbanen Alltagspraktiken, essentiell für die Produktion von Raum und Gemeinschaft ist.

In seinem Text „‚Hören‘ als interpretative Öffnung des ethnografischen Forschungsprozesses“ verknüpft Jochen Bonz kulturanthropologische Perspektiven mit Ansätzen der Ethnopsychoanalyse. Dem Hören schreibt er eine wichtige Rolle als Forschungsmethode in der zeitgenössischen Ethnografie zu, um vom teilnehmenden Beobachten zum teilnehmenden Wahrnehmen zu gelangen und sich auf diese Weise dem Wirklichkeitserleben Anderer anzunähern.

Den Abschluss des Buchs bildet ein Interview, das die Herausgeberinnen mit Michael Petermann, dem Erfinder des „Blöden Orchesters“, geführt haben. Es zeichnet die Ideen- und Konstruktionsgeschichte der MIDI-gesteuerten Klanginstallation aus etwa 200 elektrischen Haushaltsgeräten nach.

Das vorliegende Buch stellt den lobenswerten Versuch dar, das Phänomen „Klang“ aus den unterschiedlichsten Perspektiven zu beleuchten. Die Aufsätze bewegen sich durchweg auf hohem wissenschaftlichen Niveau, sind gut strukturiert und gleichzeitig auch für Fachfremde gut lesbar. Die in dem Band präsentierten, vielfältigen Ansätze offenbaren, dass sich Sound Studies nur als interdisziplinäres Projekt sinnvoll betreiben lassen. Gleichzeitig zeigt sich beim Lesen aber auch, wie lückenhaft die beteiligten Disziplinen einander bisher wahrnehmen. Dass beispielsweise das Klangerlebnis wesentlicher Bestandteil der Untersuchung einer Musikkultur sein sollte, mag in den Sozialwissenschaften eine relativ neue Erkenntnis sein, in den Musikwissenschaften gilt dies seit langem als selbstverständlich. Umso mehr leistet der vorliegende Band einen wichtigen Beitrag dazu, dass zusammenwächst, was unter der Rubrik Sound Studies zusammengehört. Wünschenswert wäre es in diesem Zusammenhang gewesen, dem Leser nähere Hintergrundinformationen über das zugrundeliegende Forschungsprojekt und die Tagung an die Hand zu geben und ihm eine Reflexion der unterschiedlichen Ergebnisse anzubieten. Als Fachvertreter fehlt mir darüber hinaus eine musikethnologische Perspektive, einerseits, weil die Musikethnologie von Haus aus interdisziplinär ausgerichtet ist, andererseits, weil viele der in dem Band verhandelten Fragen seit langem Bestandteil musikethnologischer Forschung sind.