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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Christina Kott/Bénédicte Savoy (Hgg.)

Mars & Museum. Europäische Museen im Ersten Weltkrieg

Köln/Weimar/Wien 2017, Böhlau, 317 Seiten mit Abbildungen
Rezensiert von Martin Beutelspacher
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 18.06.2018

Der Aufsatzband, der die Beiträge einer Tagung versammelt, die 2014 in Berlin im Bode-Museum stattgefunden hat, stellt einerseits in fünf Abteilungen diverse Schicksale vor, die Museen im Ersten Weltkrieg erlitten haben. Auf der anderen Seite präsentiert er Museen aus verschiedenen Ländern. Das sind Museen aus damals verfeindeten Staaten (Deutschland, Österreich-Ungarn, Großbritannien, Frankreich, Italien, Russland) sowie aus den nach der Oktoberrevolution neu entstandenen Staaten (Polen, Estland, Sowjetunion).

In der Einführung verweisen die Herausgeberinnen darauf, dass mit dem Jahr 2014 auch viele Forschungen verbunden waren, die sich vor allem den nicht-militärischen Aspekten des Ersten Weltkrieges gewidmet haben. Da Museen dabei nicht im Fokus standen, versucht dieser Band thematisch einen Überblick zu gewähren. „Das Anliegen der hier versammelten Aufsätze ist es, das Schicksal von Museumsbauten, von Sammlungen sowie des Museumspersonals im Ersten Weltkrieg erstmals vergleichend und transnational zu beleuchten.“ (10)

In knappen Zusammenfassungen skizzieren Christina Kott und Bénédicte Savoy anschließend die Aufsätze der fünf Abteilungen. Zunächst geht es um die Beiträge über „Museen im Krieg – Krieg im Museum“, die sich vor allem um Ausstellungs- und Sammlungsaktivitäten zum Krieg kümmern. Die zweite Abteilung „‚Business as usual‘ oder der Kampf um die Moderne“ stellt die im Krieg modifizierten Sammlungsaktivitäten kunsthistorischer Museen vor. Bei „Museen und Propaganda“ werden Beispiele vorgeführt, wie Museen den propagandistischen Interessen des Staates dienten. Bei den „Displaced Museums“ geht es um evakuierte Sammlungen, und in der abschließenden Abteilung „Krieg, Revolution und die Folgen für die Museen“ um die Art, wie Museen mit den Resultaten des Krieges umgingen.

John Hoorne thematisiert in seinem Beitrag „Von Museen im Weltkrieg zu Weltkriegsmuseen“ die Veränderung in den Museen durch neue Gegenstände des Krieges: Trophäen, kriegsspezifisch dekorierte Gegenstände, die „Schützengrabenkunst“ sowie vielerlei Druckerzeugnisse, die den Krieg als „epochemachendes Ereignis“ (38) wahrnehmen. Große neue, auch viele private Sammlungen entstanden als Teil einer psychologischen Mobilisierung, die in der zweiten Kriegshälfte auch eine „kulturelle Demokratisierung“ betrieben, da sie vermehrt den einfachen Soldaten im Fokus hatten. Sie waren kunstlastig, da sie stark auf das Gedenken ausgerichtet waren. Ihre zu sakral anmutenden Ehrenhallen sich entwickelnden Präsentationen blieben auch nach dem Krieg distanzlos und argumentierten weiter rechtfertigend. Erst in den letzten Jahren entstehen neue Museen, die nicht mehr Veteranenmuseen sein können, sondern den Krieg erklären müssen. Mit dieser Distanz ergeben sich auch transnationale Perspektiven.

Wie systematisch gesammelt wurde, führt Thomas Weißbrich in seinem Beitrag „Trophäen und Tribut. Das Königliche Zeughaus zu Berlin während des Ersten Weltkriegs“ an einem klassischen Armeemuseum des 19. Jahrhunderts vor. Seit 1883 war es öffentlich zugänglich, eine „Ruhmeshalle der Brandenburg-preußischen Armee“ (53). Ab Kriegsbeginn war die Sammlung von Trophäen oder erbeuteten Geschützen durch staatliche „Kriegsbeuteoffiziere“ (55) zentral organisiert, die – ebenso wie weniger spektakuläre „Muster- und Belegstücke“ (59) – bis zum Kriegende erworben wurden. Die räumliche Not und der betriebene Aufwand waren enorm.

Es gab andere große Ausstellungsvorhaben im Reich, so die Deutsche Kriegsausstellung im Frühjahr 1916 in Berlin, die das Rote Kreuz mit dem Preußischen Kriegsministerium organisiert hatte. Dort wurde spektakulär ein begehbarer Schützengraben präsentiert und ein Holz-U-Boot-Modell als Nagelobjekt, um damit die Bevölkerung „zum Durchhalten und zu weiterer Opferbereitschaft zu bewegen“ (61). Zur gleichen Zeit entwickelte Ludwig Justi seine Pläne für ein Deutsches Weltkriegsmuseum für eine Zeit nach dem Sieg. Bis hin zu gigantischen Grundrissplänen gelangte dieses Projekt, geriet aber nach der Niederlage in Schwierigkeiten, auch weil die Alliierten Beutestücke zurückforderten – erst 1932 wurde eine Weltkriegsausstellung im Zeughaus realisiert.

In Wien sah das etwas anders aus. Christian Marchetti stellt in „Kriegserfahrung und museale Sedimente. Das Museum für österreichische Volkskunde in Wien“ die Aktivitäten des 1897 eröffneten Hauses vor, das die kulturelle Diversität des Habsburgerreiches darstellen wollte. Als ethnographisches Museum mit Interessen bis an die Grenzen der Doppelmonarchie unterschied es sich deutlich von den Nationalmuseen Westeuropas. Der Krieg brachte Einschränkungen, aber auch neue Sammelgebiete wie die Volkskultur der Soldaten. Nach der Eroberung Belgrads 1915 unternahm das Museum Expeditionen in den westlichen Balkan und erforschte, sammelte und vermarktete bis 1918 systematisch die „Volkskunde der Balkanländer“ (76). Die Deutungshoheit bestand nicht nur in der Darstellung, sondern auch in der projektierten „Einflussnahme auf die Weiterentwicklung und zukünftige Gestaltung der Volkskultur“ (78). Das traf auf reges Interesse und dynamisierte die Museen, die damit einhergehend auch für die staatliche Propaganda eingespannt wurden. Interpretatorisch machte man nach dem Krieg eine Wendung und argumentierte mit der Sammlung im Sinne einer Befruchtung durch die deutsche Kultur. Der Krieg bildete für das Museum „ein Entstehungsmilieu, in dem Dinge mobilisiert und dadurch als Objekte sammelbar wurden“ (79). Der spätere Verlust des Wissens um die Objekte führte zu einem Bedeutungs- und nachfolgend auch einem Interessenverlust.

Die zweite Abteilung eröffnet Wencke Deiters mit „Die Wiener Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in der Zeit des Ersten Weltkriegs“. Trotz einer personellen Ebbe in der Galerie setzte Direktor Gustav Glück seine „Neupräsentation und eine gezielte Ankaufspolitik“ weiter durch. Auch wenn sein Ankaufsetat geschrumpft war, hat Glück mit Hilfe von Mäzenen und mit glücklicher Hand wenige, aber hochkarätige Bilder vor allem flämischer und italienischer Meister erwerben und die Sammlung dementsprechend trotz der Zeitläufte gut ergänzen können.

Alan Crookham und Anne Robbins stellen „Im Angesicht der Moderne. Die Gründung der Britischen Nationalsammlung moderner ausländischer Gemälde 1914-18“ vor. Es gab vor 1914 auf Staatsebene in Großbritannien keine Sammlung moderner ausländischer Gemälde. Selbst die Sammlung britischer Moderne von Henry Tate musste ab 1897 in einem vom Stifter selbst bezahlten Gebäude ausgestellt werden. Die Nationalgalerie verdoppelte im Ersten Weltkrieg immerhin ihren Bilderbestand an kontinentaleuropäischer, vor allem französischer Moderne von 57 auf 115 Stück. Auch die im März 1918 veranstaltete Nachlassversteigerung Edgar Degas‘ fand großes Interesse in Großbritannien, dennoch blieb der starke konservative Grundzug der Erwerbspolitik bestehen.

Szymon Piotr Kubiak stellt in „Walter Riezler – Karl Hofer – Ludwig Gies. Der Erste Weltkrieg im Stadtmuseum Stettin“ die wichtigen Protagonisten und ihr Wirken angesichts des als tiefe Zäsur empfundenen Ersten Weltkrieges vor. Riezler war seit 1910 Direktor des im Bau befindlichen Museums in Stettin und angetreten, Kunst im neuen Licht eines Hans von Marées oder Peter Behrens zu präsentieren. 1914 wollte er dann auch Werke präsentieren, die „die Teilnahme Stettins und des Kreises Randow am Weltkriege“ (119) zeigen. Beides barg Konfliktpotential. Ursprünglich sollte Moritz Meltzer den zentralen Kuppelsaal ausmalen, wurde aber als zu avantgardistisch erachtet und in einen weniger prominenten Raum verlegt. Dann erhielt Karl Hofer den Auftrag, konnte ihn aber erst nach 1918 realisieren. Ein Kruzifix von Ludwig Gies wurde 1929 aufgestellt. Das damit geschaffene universelle Gedenken an die Opfer des Ersten Weltkriegs wurde 1933 durch Übermalung bzw. Abräumen beendet.

Julien Bastoen eröffnet die dritte Abteilung zu Museen und Propaganda mit seinem Beitrag über „Das Musée du Luxembourg und der Erste Weltkrieg. Ein Museum im Dienst von Kulturdiplomatie und Propaganda“. Von seiner Bedeutung und Ausstrahlung her war das Musée du Luxembourg das „masterpiece“ (131) französischer Kultur und damit ein wichtiger Akteur in Politik und Kultur. Hier gab es schon ab den 1890er Jahren immer wieder Raum für ausländische moderne Malerei. Die nationalen Serien ausländischer Kunst wurden mit englischer, italienischer und spanischer Kunst auch im und nach dem Krieg fortgeführt.

Das Museum war unzureichend untergebracht; ein Umzug ins Priesterseminar St. Sulpice war geplant und unter der Hand bereits in Teilen vollzogen. Dieses wurde aber ab Kriegsbeginn als Unterkunft für Soldaten und Flüchtlinge genutzt, was zu langjährigen Konflikten führte.

Die Kulturdiplomatie wurde vom Musée du Luxembourg mit Ausstellungen der eigenen Kollektion im befreundeten und neutralen Ausland unterstützt. Französische Kunst schickte man 1915 zur Weltausstellung nach San Francisco, 1917 nach Barcelona und 1918 nach Madrid, ab 1917 organisierte man mehrere Ausstellungen von Kriegszeichnern, bei denen es „präzise Anweisungen über die festzuhaltenden Motive“ (141) gab. Die Instrumentalisierung des Museums im künstlerischen Kulturaustausch ist beeindruckend, vor allem bei der Ausstellung in den USA, die nach San Francisco viele weitere Stationen bis 1919 erlebte, da sie nicht nach Europa zurückkehren konnte.

Felicity Bodenstein setzt den kulturdiplomatischen Diskurs mit ihrem Beitrag „Ernest Babelon (1854-1924). Geschichte als Propaganda in der Ausstellung des Cabinet des médailles in Paris (1919)“ fort. Babelon war Traditionalist, erzkonservativ, Anti-Dreyfusianer und „Wahrer der monarchistischen Vergangenheit“ (148). Die Konkurrenz zu Deutschland war für ihn politisch und professionell gegeben und letztlich auf den Gegensatz „zwischen dem germanischen und dem gallischen Volk“ (152) zurückzuführen. Im Krieg wurde die Sammlung nach Toulouse ausgelagert und kam erst 1919 wieder zurück in die Bibliothèque nationale, aber nun in neue und größere Räume. Die Neuaufstellung gab ihm Gelegenheit einer stark nationalen Interpretation.

Die vierte Abteilung unter dem Titel der „Displaced Museums“ wird eröffnet mit dem Beitrag von Arnaud Bertinet „Paul Jamot (1863-1939). Hüter der Sammlungen des Louvre in Toulouse“. Man hatte im Louvre aus dem Krieg 1870 bereits Evakuierungserfahrungen ins bretonische Brest. Im August 1914 hatte man bereits 770 Hauptwerke mit der Bahn in die Jakobinerkirche von Toulouse verbracht, denen weitere aus Staatsbesitz aus Versailles, Chantilly, dem Musée de Cluny und Reims folgten. Man hatte diesmal mehr Werke des 19. Jahrhunderts als 44 Jahre früher berücksichtigt. Gleichzeitig ging es bei Bildern und anderer Kunst auch um den Transportaufwand: Die gewaltige Nike von Samothrake blieb auch diesmal im Louvre zurück. Einlagerung, Inspektion und Streit um eine Präsentation der Mona Lisa in Toulouse werden minutiös beschrieben. Weitere Museen lagerten im Kriegsverlauf ebenfalls nach Toulouse aus. Der Schutz des kulturellen Erbes gewann einen neuen Stellenwert. Evakuierungspläne wurden nach dem Krieg präziser erarbeitet und dann 1939 wieder gebraucht.

Elena Franchi beschreibt in „‚Keine Zeit für Inventare‘. Der Erste Weltkrieg und der Museumsschutz in Norditalien“ die Situation in Venedig und Venetien, wo 1915 mit dem Abtransport von wenigen als besonders wichtig eingeschätzten Kunstwerken heimlich begonnen wird, aus Angst, dies könnte als Signal von Defätismus und Resignation gedeutet werden. Gleichzeitig stellen sich lokale Behörden den staatlichen Plänen entgegen, da sie schlechte Erfahrungen mit der Gier des Staates gemacht hatten. Nach der Bombardierung Venedigs 1916 fällt dieser Widerstand, und 1917 gibt es eine „fieberhafte Auslagerung“ (183), die 1918 auch die ganze Lombardei erfasst. Vor diesem Hintergrund und bei der Rückführung spielt sich auch die Auseinandersetzung um den Originalstandort, oft eine Kirche, und die Präsentation in einem staatlichen Museum ab.

Agnieszka Gsior beschreibt in „Der ‚polnische‘ Leonardo im Dresdner Interim. Das Schicksal der Sammlung Czartoryski während des Ersten Weltkriegs“ das Schicksal einer Adelssammlung aus dem 18. Jahrhundert, die sich nach dem Vorbild des British Museums als erstes öffentliches Museum Polens mit Leonardo da Vincis „Dame mit dem Hermelin“ als Highlight etabliert hatte. Im Zuge des Aufstands 1830 floh die Besitzerin, Fürstin Izabela Czartoryska, mit ihrer Sammlung nach Paris. Ihre Enkel brachten die Sammlung in den 1870er Jahren nach Krakau und Posen. Erst 1911 waren beide Teile wieder vereint. Als 1914 die russische Armee wieder vor Krakau stand, evakuierte man die Sammlung nach Dresden. Dort wurde sie in Gemäldegalerie, Kupferstichkabinett, Grünem Gewölbe und Münzkabinett ausgestellt. „Die Bedeutung der Dresdner Ausstellung für die öffentliche Wahrnehmung der Czartoryski-Sammlung außerhalb Polens sowie ihre wissenschaftliche Erschließung sind nicht zu überschätzen.“ (196) Die Rückgabe 1918 ins neu erstandene Polen gestaltete sich schwierig. 1919 gab es eine Ausfuhrerlaubnis, und erst Mitte 1920 war die Sammlung tatsächlich in Polen und dort bis 1939 wieder zugänglich.

Ein Sammlungsschicksal anderer Art beschreibt Jaanika Anderson in ihrem Beitrag „Das Kunstmuseum der Universität Tartu vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg“. Nach der Gründung einer deutschsprachigen Universität 1802 im damals russischen Tartu wurde ein Jahr später ein universitäres Kunstmuseum etabliert, das in den nächsten 30 Jahren etwa 15000 Objekte aller Art gesammelt hat. 1858 spezialisierte man sich auf Objekte der Antike. Die Universität war bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts russifiziert und von Kontakten nach Westen abgetrennt, als sie und ihre Sammlung 1915 nach Nischni Nowgorod evakuiert worden sind. 1916/17 waren Teile der Sammlung nach Perm und später nach Woronesch verbracht worden. 1918 evakuierte man auch die Professoren. 1919 gründete sich in Tartu die Universität Estlands. Im Friedensvertrag mit der Sowjetunion 1920 war die Rückgabe der Sammlungen vereinbart worden, was aber nur teilweise und verzögert stattfand. Einige Objekte gehörten sogar zur Ausstattung des 1933 gegründeten Universitätsmuseums Woronesch. Erst in den 1990er Jahren waren Verhandlungen zwischen den Universitäten möglich, die immerhin zu einem gemeinsamen Sammlungskatalog der Antiken- und Gemäldesammlung 2006 geführt haben. Diese Kooperation ist mittlerweile unterbrochen.

Die letzte Abteilung, in der der Umgang mit den Kriegsfolgen thematisiert wird, hebt an mit dem Beitrag von Roland Cvetkovski „Weltkunst, Weltkrieg, Weltensturz. Die Eremitage 1899-1920“. Die in der Mitte des 18. Jahrhunderts in 30 Jahren mit gewaltigen Mitteln unter Zarin Katharina zusammengekaufte Gemäldesammlung umfasste mehrere tausend Bilder der obersten Qualitäts- und Preisklasse. Als die Sammlung 1865 öffentlich zugänglich gemacht wurde, wurde bereits lange nicht mehr aktiv gesammelt. Die Zweckbestimmung war vage. Der ästhetische Genuss einer der herausragenden Sammlungen der Welt blieb insofern oft nicht mehr als ein „Akt der sozialen Stratifikation“ (216). Ab 1899 wurde der Betrieb zunehmend professionalisiert. 1910 war eine Neuordnung der Säle vorgenommen worden und 1911 sogar ein Führer erschienen. Ankäufe blieben aber weiterhin fast ganz aus. Im Krieg war die Eremitage weiterhin geöffnet und gut besucht; erst 1918 musste sie nach einer Teilevakuation 1917 (nach Moskau) geschlossen werden. Mit der Revolution war aus der Privatsammlung ein staatliches Museum geworden. Die Eremitage war zwar gefährdet, aber im Gegensatz zum Winterpalais von Zerstörungen und Plünderungen verschont. Sie erhielt im Gegenteil nun andere Palastsammlungen zugeteilt, sodass sie 1920 einen etwa doppelt so großen Bestand hatte wie 1914. 1920 begann der Rücktransport der nach Moskau ausgelagerten Werke. Neue Abteilungen zum Orient, zur Archäologie und zur russischen Kultur entstanden, daneben auch eine pädagogische Abteilung. 1919 war der Ausstellungsbetrieb mitten im Bürgerkrieg wieder begonnen worden. In den 1920er Jahren wurden Edelmetalle und Juwelen im großen Stil ins Ausland verkauft; auch wurde vor allem das Winterpalais massiv zweckentfremdet und dadurch stark beschädigt. Nach der früher unklaren Zweckbestimmung erhielt das Museum nun unter den neuen politischen Verhältnissen das, was schon vor 1914 begonnen worden war: einen sozialen und bildungspolitischen Auftrag.

Géraldine Masson widmet sich in ihrem Beitrag „Kriegsrisiken vorbeugen. Die Präventionsarbeit der Kustoden französischer Provinzmuseen und ihre Auswirkungen“ den bereits vor 1914 diskutierten Bewahrungsaufgaben in Nordfrankreich. Das umfasste die Vorbereitung zur Sicherung der Sammlung, die konkrete Rettungsmaßnahme sowie die dabei angewandten Methoden. Grundsätzlich befürchteten viele Kustoden bei Auslagerungen den dauerhaften Verlust der Sammlung oder eine Verschlechterung der Situation für die Objekte. Außerdem waren sie sich darüber im Klaren, dass jeder Transport Gefahren birgt. Es gab vor Kriegsbeginn keine konkreten Vorbereitungen, danach aber viele Aktivitäten der unterschiedlichen Betroffenen: der Kommunen, der Kustoden sowie der Armeen. Staatliche Auslagerungsorder wurden äußerst zögerlich befolgt, was auch mit Geld- und Personalmangel zusammenhing. Eher agierten die Kustoden eigenständig wie in Lille, wo die wertvollsten Objekte auf Erdgeschoss und Keller konzentriert wurden. Erst in der zweiten Kriegshälfte setzte eine interministerielle Kommission mit militärischer Struktur die Evakuierung von einem halben Dutzend Sammlungen aus Arras, der Picardie, Amiens und dem Pas de Calais durch.

Die deutschen Besatzer interessierten sich ebenfalls für die Museumssammlungen, teilweise mit Beschlagnahmungsgedanken als Ausgleich für den napoleonischen Kunstraub hundert Jahre zuvor. So geschehen in Lille 1917. Aber es gab auch einvernehmliche Kooperation wie in St. Quentin, wo brüchige prähistorische Keramik am Ort belassen wurde, weil sie so am wenigsten gefährdet war. Die deutschen Quellen beklagen mangelnde Kooperation, die französischen Gängelung, was die Besatzungssituation widerspiegelt.

Insgesamt ist eine starke Zuwendung zu den Objekten zu bemerken; der Wissenszuwachs zu Klimaschutz, Verpackung, Dokumentation ist enorm. Auslagerungen bargen in sich auch die Chance der Entrümpelung und Neupräsentation in neuen, besseren Räumen. Dies bedeutete aber auch eine stark gestiegene Arbeitsbelastung, die bis lange Jahre nach dem Krieg anhielt, als Neupräsentationen auf höherem Niveau, zum Teil sogar mit Museumskatalogen durch Reparationszahlungen möglich wurden. Der Beitrag endet mit einem versöhnlichen Zitat des Liller Konservators Émile Théodore von 1924, den der Krieg eines gelehrt hat, nämlich „die Zusammenarbeit und den Kontakt zu unseren deutschen Kollegen zu suchen“ (249).

Lukas Cladders beschließt den Band mit seinem Beitrag „1919 und die Folgen. Europäische Museumsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg“, wo er zunächst das heterogene Forschungsfeld und die wenigen pauschalen Erkenntnisse benennt. Im größeren Stil werden vor allem aus Wiener Museen Kunstwerke von den neu entstandenen Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns gefordert, was so in Deutschland nicht geschah. Man machte sich über nationales Kulturerbe jedoch auch dort Gedanken und wertete es juristisch auf, da die wirtschaftliche Notlage viele Kunstbesitzer zum Verkauf zwang. Konkret und praktisch verhielt man sich jedoch sehr unterschiedlich und machte oft Kompensationsgeschäfte.

Größere Sonderausstellungen bedingten mehr Kooperation, die uneinheitlich, vielschichtig, vielfach persönlich geprägt und mit Abstand zum Krieg auch leichter war. 1926 wurde innerhalb des Völkerbundes mit dem „Office International des Musées“ erstmals eine internationale Fachorganisation gegründet. Die Beziehungen der Museen davor und danach sind aber weiterhin Forschungsdesiderat.

Der Sammelband öffnet mit seinen 16 Beiträgen einzelne Blicke vor allem auf größere und besser dokumentierte Häuser und Sammlungen. So unterschiedlich wie die Schicksale der Länder, so verschieden sind auch die Schicksale der Museen. Dass sie den Krieg als Krise und Bedrohung erlebt haben, ist vor allem dort nachzuvollziehen, wo nahebei Kampfhandlungen stattfanden. Aber auch Häuser, die sich für die Kulturdiplomatie vereinnahmen ließen, litten an den Kriegsfolgen. Der Zwang, mit der Sammlung umzugehen, hat jedoch auch bewirkt, dass Fragen der Sicherung, der Dokumentation, der Konservierung oder der Relevanz der Objekte schärfer gestellt wurden und beantwortet werden mussten.

Der Band behandelt größere Museen von zum Teil internationaler Bedeutung und wirft damit implizit auch die Frage nach den Schicksalen kleinerer Häuser auf, die von Géraldine Masson kursorisch im Norden Frankreichs thematisiert werden. Damit ist ein erster Schritt in der vergleichenden Museumsgeschichte des Ersten Weltkriegs getan, der in angenehmer Weise von einem internationalen Literaturverzeichnis und einem hilfreichen Personenregister begleitet wird.