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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Marc Dietrich (Hg.)

Rap im 21. Jahrhundert. Eine (Sub-)Kultur im Wandel

(Cultural Studies 46), Bielefeld 2016, transcript, 202 Seiten
Rezensiert von Anna Magdalena Ruile
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 19.06.2018

In seiner Publikation „Rap im 21. Jahrhundert“ bündelt Marc Dietrich acht Artikel zu verschiedensten Aspekten dieser urbanen Musikrichtung. Die im Band versammelten Stimmen sind so vielfältig, wie es bei Berichten über die HipHop-Kultur üblich ist: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Journalistinnen und Journalisten sowie Szeneaktivistinnen und -aktivisten haben sich seit der ersten Stunde dieser urbanen Kultur zu Wort gemeldet mit scharfer Kritik, verschiedensten Analyse- und Erklärungsversuchen, historisierenden Erzählungen und leidenschaftlichen Verteidigungen. Dabei kommt es häufig vor, dass die Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Positionen gleichzeitig sprechen, so sind sie vielleicht Akademikerinnen und Akademiker mit einem Szenehintergrund, Szeneaktivistinnen und -aktivisten, die nun im Journalismus tätig sind, und viele andere Kombinationen mehr. Dies macht die Publikationen zur HipHop-Kultur auch so bunt und abwechslungsreich. Nicht anders ist es mit dem vorliegenden Sammelband. So ist ein Interview mit Stephan Szillus vorangestellt, der vielen noch aus seiner Zeit als Chefredakteur bei der Juice, Europas größtem HipHop-Magazin, bekannt ist. Im Interview wird der Spieß einmal umgedreht, Szillus, der sonst die Fragen stellt, wird selbst zum Interviewten und berichtet von den Modalitäten des Interviewführens im Bereich PR und ganz besonders im Zeichen von Rap und Social Media. Szillus selbst hat einen Artikel zum Thema Weirdo-Rap zum Band beigesteuert, in dem er die Historie und gegenwärtige Entwicklung einer Alternative zum übersteigerten Männlichkeitskonstrukt im Rap analysiert.

Den Auftakt bildet eine Einleitung des Herausgebers, in welcher er eine kurze Bestandsaufnahme von Rap im 21. Jahrhundert vornimmt und einige Entwicklungslinien skizziert. Dietrich stellt die immense Ausdifferenzierung dieser Musikrichtung dar, ihre unterschiedlichen Labelungen und Sortierungsmöglichkeiten, die sich entweder an den Protagonistinnen und Protagonisten selbst ausrichten oder an Themen und Räumen, ja sogar Emotionalitäten (siehe Emo-Rap oder Grime). Hinzu kommen weitere Subgenres bis hin zu von ihm so genannten Mikrogenres. Gründe für diese Bandbreite und terminologische Differenzierung sind für ihn ebenso im ständigen Innovationsdrang der Medien- und Musikindustrie zu suchen wie in der für eine Popkultur typischen „(autoreferenziellen) Dauerstimulierung“ (8). Vor allem aber sind sie ein Hinweis auf die tatsächliche Ausdifferenzierung und Expansion der weltweit präsenten und kommerziell erfolgreichen kulturellen Ausdrucksform HipHop, deren bekannteste Ausprägung die Rap-Musik ist. Angesichts der ökonomischen Bedeutung der HipHop-Kultur und ihrer Verortung im sogenannten Mainstream fragt sich der Autor, ob sich der Begriff der Subkultur überhaupt noch anwenden lässt. In seiner Antwort lässt er zunächst die verschiedenen sozial- und kulturwissenschaftlichen jugendkulturellen Forschungsansätze Revue passieren. Der berühmte Strukturfunktionalist Talcott Parsons prägte den Begriff der Jugendkultur, die er als eine funktional notwendige Teilkultur im Übergang zum Erwachsenenstadium begriff. Die britischen Cultural Studies blickten in den 1960er Jahren auf jugendkulturelle Stilbildungen im Kontext von Klassenkultur in englischen Städten, sie betonten das Widerstandspotenzial von Subkulturen und den Einsatz von Bricolage-Techniken zur Dekontextualisierung und Reintegration von kulturellen Zeichen und Artefakten. Im Zuge gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse, wie sie vor allem Ulrich Beck beschrieb als Individualisierung und daraus folgend Pluralisierung von Lebensstilen, entstanden neue Beschreibungsversuche jugendlicher Vergemeinschaftungsformen. So prägte der Soziologe Ronald Hitzler den Begriff der Jugendszenen als „thematisch fokussierte [...] kulturelle [...] Netzwerke [...] von Personen, die materiale und/oder mentale Formen der Selbststilisierung teilen und Gemeinsamkeiten an typischen Orten und zu typischen Zeiten interaktiv stabilisieren und weiterentwickeln“ (11). Auf dieser Grundlage überlegt Dietrich, welche Begrifflichkeiten noch angemessen sind, um die HipHop-Kultur zu beschreiben und reibt sich insbesondere am Subkulturbegriff, der sich auf gegenwärtige gesellschaftliche Verhältnisse nur noch beschränkt anwenden lässt. Er kommt zu dem Schluss, dass Rap auch als Mainstreamphänomen noch subversive Inhalte und Themen im gesellschaftlichen Diskurs platziert. Er sieht darin keine Ausnahmeerscheinung und erwähnt zwei Beispiele für filmische Blockbuster-Produktionen, die ebenfalls gesellschaftskritische Themen besetzen (13 f.). Den inhaltlichen Schwerpunkt des Bandes bildet jedoch der Blick nach vorne, und zwar auf die Bedeutung der Vernetzung und Digitalisierung der Produktion, Distribution und Konsumption von HipHop, die Mitte der 1990er Jahre ihren Anfang nahm und seit der Jahrtausendwende rasend schnell voranschreitet. Die technischen und finanziellen Anforderungen zur Produktion von Rap-Musik sind inzwischen derart, dass im Grunde jeder interessierte Jugendliche sofort zur Tat schreiten kann. Auch das einstige Privileg etablierter Künstlerinnen und Künstler, das Musikvideo, ist nun ein Medium begabter Amateure geworden, die das Netz mit ihren Werken fluten und dafür auch zum Teil mit Plattenverträgen belohnt werden. Die digitale Vernetzung erlaubt es den Szenegrößen, in nie dagewesener Einfachheit weltweite Kollaborationen anzuknüpfen. Mittlerweile gibt es zahlreiche Musikkarrieren, die im Netz ihren Anfang nahmen und auch jeder etablierte Künstler muss sich an seinen Zahlen im Bereich Social Media messen lassen. Diese veränderten Mechanismen haben wesentlich zur Ausdifferenzierung von Rap beigetragen, da immer mehr Akteurinnen und Akteure weltweit ihre Themen und Inhalte in die Kultur einbringen können (20).

Die im Band versammelten Autorinnen und Autoren werfen einen Blick auf die neuen Themen und Veränderungen der Szene im Zuge von Web 2.0. Anthony Obst befasst sich zum Beispiel mit der Erosion des dominanten Männlichkeitsbildes im Rap, die mit dem Aufstieg alternativer afroamerikanischer Männlichkeitsmodelle, wie sie sich etwa bei Drake beobachten lassen, einhergeht. Martin Seeliger fragt nach der politischen Gestaltungsmacht deutschsprachiger Rap-Musik und macht deutlich, dass diese im Mainstream am größten ist. Ein neues Thema identifiziert Malte Gossmann alias Rapper Refpolk, der sich mit der Verhandlung des Israel-Palästina-Konflikts in deutschem Gangsta-Rap befasst hat. Im internationalen Kontext beschreiben Rainer Winter und Eve Schiefer, wie Rapperinnen und Rapper in Mali unter Zuhilfenahme des Internets politisch aktiv werden und den Stimmlosen eine Stimme verleihen. Der englischsprachige Beitrag von Sufi Mohamed verdeutlicht die Konsequenzen der Digitalisierung von Freestylebattles, die nicht mehr live, sondern über die sozialen Medien ausgetragen werden. Abschließend fordert der Medienlinguist Jannis Androutsopoulos eine Mehrebenen-Medienanalyse von Rap ein, die im Kontext von komplexer werdenden medialen Kommentierungen, Rezeptionen und Praktiken notwendig wird.

Ein interessanter Band, der abwechslungsreiche Perspektiven bündelt und einen wichtigen Auftakt bildet zur Auseinandersetzung mit den Folgen von Digitalisierungsprozessen für die weitere Entwicklung und Ausformung (jugend-)kultureller Ausdrucksformen.