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Aktuelle Rezensionen


Lorenz Peiffer/Henry Wahlig (Hgg.)

„Unser Verein ist judenfrei!“ Ausgrenzung im deutschen Sport. Eine Quellensammlung

Berlin/Boston 2017, de Gruyter Oldenbourg, LXXXIV, 223 Seiten
Rezensiert von Markwart Herzog
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 19.06.2018

Der Jurist und Politikwissenschaftler Erich Fraenkel hatte das Doppelgesicht des nationalsozialistischen Staats als Normenstaat und Maßnahmenstaat beschrieben [1], wobei sich der Unrechtsstaat häufig mit den Mitteln des Rechtsstaats tarnte. So auch im Sport. Zuletzt hatte der Nestor der Zeitgeschichte des Sports in Deutschland Hajo Bernett im Jahr 1978 eine grundlegende Studie über jüdischen Sport im nationalsozialistischen Deutschland veröffentlicht. Diese enthält einen umfänglichen Anhang mit thematisch relevanten Quellen [2]. In den folgenden Jahrzehnten hat sich in der Historiografie des Sports unter dem Hakenkreuz viel getan. Eine dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechende Quellensammlung ist längst überfällig. Lorenz Peiffer und Henry Wahlig haben dieses Desiderat nunmehr befriedigt. Die Herausgeber erschließen das 215 Seiten zählende Korpus in einer 42 Seiten umfassenden Einleitung und kommentieren die Quellen in einem Apparat mit über 80 Anmerkungen. Die Quellen sind gegliedert nach Dokumenten staatlicher Institutionen, NS-Organisationen, der Turn- und Sportbewegung und der Presse. Querverweise stellen Bezüge zwischen den Quellen her. Ein Namens-, Orts- und Sachregister gibt weitere Orientierung. Dagegen ist das 34-seitige „Verzeichnis der Dokumente“ überflüssig.

Das programmatische Ziel, „das sehr unterschiedliche Verhalten verschiedener Institutionen im deutschen Sport im Umgang mit ihren jüdischen Mitgliedern nachzuzeichnen“ (XLIII), erreichen die Herausgeber weitgehend. Die Unterschiede waren enorm: So beschlossen etwa der Deutsche Ruderverband, die Deutsche Turnerschaft (DT) oder der Verband Deutscher Faustkämpfer bereits im Frühjahr 1933 „Arierparagrafen“. Dagegen verfügte auf Druck der Reichssportführung der Deutsche Golfverband den Ausschluss der noch verbliebenen jüdischen Mitglieder zum 1. Januar 1937 (172 f.), der Deutsche Motorjachtverband erst im Herbst 1937 (173 f.). Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) erließ keine Direktiven, mit denen er sich seiner nicht „arischen“ Mitglieder entledigte. Er folgte der Linie der Reichssportführung, die Führungsebenen der Vereine und Verbände von „marxistischen“ und nicht „arischen“ Kräften zu bereinigen, für die Mitgliedschaft und die sportliche Aktivität aber keine Regeln aufzustellen. Wie die Forschungen Berno Bahros ergaben, strichen zahlreiche Fußballvereine, die einen „Arierparagrafen“ in ihre Satzungen aufgenommen hatten, diesen im Jahr 1935 (194, Anm. 32), nachdem auch die in diesem Jahr herausgegebene „Einheitssatzung“ des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen keine Bestimmungen zur „Arierfrage“ vorgesehen hatte.

Die großen Unterschiede im Verhalten der Sportorganisationen resultieren aus Freiräumen, die aus rein taktischen, sportaußenpolitischen Motiven bestehen blieben. Denn der NS-Staat setzte alles daran, einen Boykott der Olympischen Spiele 1936 zu verhindern (199–201). Deshalb verfolgte der Reichssportführer zunächst eine moderate Linie, warnte „mehrfach vor einem allzu übereilten Vorgehen beim Ausschluss jüdischer Mitglieder“ und rief „sogar öffentlich zur Mäßigung auf“ (LXV). Ansonsten wurde es in das Belieben der Spitzenverbände des Sports und der Vereine gestellt, die „Arierfrage“ zu regeln (21–23, 29, 171). Diese Freiräume wurden unterschiedlich genutzt. Da der Deutsche Fußball-Bund bis zu seiner Auflösung im Jahr 1940 keine Direktiven erließ, divergierten im Fußball die Entscheidungen der einzelnen Clubs stärker als in anderen Sportarten. Im Sport wurde ein „Arierparagraf“ erst 1940 reichsrechtlich verbindlich gemacht, indem er in die Einheitssatzung des Nationalsozialistischen Reichsbundes für Leibesübungen aufgenommen wurde (33).

Angesichts des sich im Frühjahr 1933 verschärfenden öffentlichen Rassenantisemitismus nahmen zahlreiche Sportverbände und -vereine die sich ihnen bietenden Freiheiten jedoch mehr als Last denn als Chance wahr und suchten nach normativer Orientierung. In Ermangelung verbindlicher Vorgaben seitens der Reichssportführung und des Innenministeriums übertrugen sie in zahlreichen Fällen die Bestimmungen des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ auf die Regelung der „Arierfrage“. Durch das Reichsgesetz wurden Beamte mit wenigstens einem nicht „arischen“ Großelternteil in den Ruhestand versetzt; ein „Frontkämpferprivileg“ sah Ausnahmen von der Regel vor. Erst am 14. November 1935 schuf das Reichsbürgergesetz, ein Teil der Nürnberger Rassengesetze, eine rechtlich verbindliche Basis, die für die Regelung der „Arierfrage“ auch im Sport rezipiert wurde. Dies hatte die merkwürdige Konsequenz, dass die scharfen antijüdischen Satzungsbestimmungen, wie sie etwa von der DT 1933 oder dem FC Bayern München 1935 eingeführt worden waren, nach Maßgabe der NS-Rassengesetze grundsätzlich für nichtig erklärt und außer Kraft gesetzt werden mussten (170 f.). Mit Recht hatte Hajo Bernett am Beispiel der DT erläutert, dass die rigorose „Arisierungspolitik“ nicht „arische“ Turner und Sportler „schlechter behandelt hat als der nationalsozialistische Staat seine erklärten Widersacher und fiktiven Erzfeinde“ [3].

Viel Raum nehmen in der Quellensammlung die Bestimmungen über die Regelung der Besuchszeiten nicht „arischer“ Bürger in Badeanstalten ein (9–11, 37–43, 54–82). Die Vorschriften zielten zunächst auf die Separierung jüdischer Bürger von der „NS-Volksgemeinschaft“, letztlich aber auf ihren kompletten Ausschluss.

Ihrem Vorsatz, „bis heute vertretene Pauschalauffassungen, welche die gesamte deutsche Sportwelt je nach Perspektive kollektiv be- oder entlasteten, zu entkräften und eine differenziertere Betrachtungsweise zu eröffnen“ (XLIII), werden Peiffer und Wahlig weitgehend gerecht. So edieren sie neben zahlreichen Zeugnissen eines beschämenden Opportunismus nicht wenige Quellen, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, dass es Sportvereine, Sportfunktionäre und private Sportdienstleister gab, auf die durch NSDAP-Ortsgruppen und -Kreisleitungen, Stadtverwaltungen oder Bürgermeister teils nicht unerheblicher Druck ausgeübt werden musste (21, 31, 36 f., 49 f., 51, 56, 76, 106, 114–116, 173 f., 184 f.), um sie zu einem Ausschluss von „Nichtariern“ zu bewegen. Auch Presseorgane beteiligten sich aktiv an der Hetze gegen Sportvereine mit jüdischen Mitgliedern und zwangen jene, diese aus ihren Reihen auszuschließen (204–213).

Ein Mangel der Quellensammlung ist gleichwohl darin zu erkennen, dass sie den Einfluss des antisemitischen österreichischen Deutschen Turnerbundes (DTB) ignoriert, der mit dafür ursächlich war, dass die DT im Frühjahr 1933 von „ihrer traditionellen Liberalität zu ideologischer Radikalität“ [4] überging. Bei Hajo Bernett lässt sich das en détail und quellengesättigt nachvollziehen [5], der darüber hinaus nachgewiesen hat, dass der „Arierparagraf“ zur Bedingung für die Vereinigung des DTB mit der DT gemacht wurde. Dagegen erwecken Peiffer und Wahlig den Eindruck, als hätten vor allem „Untergliederungen der DT“ (LV) den Dachverband dazu gedrängt. Allein diese schwer verständliche Lücke macht deutlich, dass Bernetts Werk von 1978 für das Studium der Thematik nach wie vor vergleichend hinzuzuziehen ist.

Auch der anklagende Ton, in dem die Herausgeber kritisieren, die Sportverbände hätten sich viel zu spät „zu ihrer eigenen historischen Verantwortung“ (L) bekannt und ihre Archive geöffnet, bedarf insofern einer Korrektur, als sich nicht nur die Sportverbände, sondern auch die Allgemeingeschichte generell relativ spät für die Geschichte des Sports zu interessieren begannen. Wissenschaftshistorisch gesehen nimmt speziell die NS-Zeit insofern keine Ausnahmestellung ein, die sich für eine Skandalisierung eignete. Als etwa der DFB bereits in den späten 1990er Jahren begann, sich seiner eigenen Geschichte zuzuwenden und seit der Jahrtausendwende zahlreiche Fußballvereine seinem Beispiel folgten, stand das „Dritte Reich“ sogleich ganz oben auf der Agenda. Deshalb war es im Millenniumjahr der DFB, der aus eigener Initiative am Beispiel des jüdischen Nationalspielers Julius Hirsch erstmals eine breite Öffentlichkeit mit dem Schicksal jüdischer Fußballspieler im „Dritten Reich“ medienwirksam konfrontierte [6] und in eben diesem Jahr 2000 durch Vermittlung des deutschen Historikerverbandes ein Forschungsprojekt über die Verbandsgeschichte im „Dritten Reich“ in Auftrag gab, das von dem NS-Historiker Klaus Hildebrand betreut wurde und Maßstäbe zu setzen verstand [7].

Ebenso rezipieren die Herausgeber zu anderen Einzelthemen nicht den aktuellen Stand der Forschung. Denn keineswegs verzichtete Eintracht Frankfurt „zunächst auf die Einführung radikaler judenfeindlicher Bestimmungen“ (LXII): In diesem Mehrspartenverein übernahmen die einzelnen Abteilungen durchaus die judenfeindlichen Reglements der jeweiligen Dachverbände. Infolgedessen waren in der Eintracht jüdische Boxer, nicht aber jüdische Fußballspieler im Frühjahr 1933 vom Ausschluss betroffen. Die letzten jüdischen Mitglieder mussten die Eintracht nicht 1937 (LXXII, Anm. 104), sondern 1938 verlassen, was ebenfalls seit langem bekannt ist [8]. Und wenn Adolf Hitler sich tatsächlich „bereits im Jahr 1923“ (LXVI) mit der Idee Olympischer Spiele auf deutschem Boden beschäftigt hätte, wäre das eine ebenso neue wie sensationelle Erkenntnis, für die allerdings historische Quellen beigebracht werden müssten, um ihr Glauben schenken zu können.

Unbefriedigend ist ferner die inkonsequente Erschließung und Kommentierung der Quellen. Zwar werden Kurzbiografien von Persönlichkeiten wie Carl Diem, Karl Ritter von Halt oder Felix Linnemann angeführt, dabei hätten weniger bekannte Sportfunktionäre mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit verdient. Jedenfalls sollten die Beauftragten des Reichssportführers Georg Schneider (24 f., 32) und Willi Förg – nicht „Joerg“ (70) – den Herausgebern, Spezialisten der Sportgeschichte des Nationalsozialismus, ebenso bekannt sein wie der für die „Gleichschaltung“ des Sports in Bayern nicht unwichtige Staatsminister Wagner, der nicht auf den Vornamen „Willy“ (203, 218), sondern Adolf hörte. Nicht zuletzt erweckt der Untertitel des hier besprochenen Werks einen ausgesprochen schiefen Eindruck. Denn die Quellensammlung handelt nicht von Ausgrenzung „im deutschen Sport“, sondern im Nationalsozialismus [9]. Und da Peiffer bereits zahlreiche Publikationen mit „Unser Verein ist judenfrei!“ überschrieben hat, wäre für die hier besprochene Quellensammlung ein anderer Titel sinnvoll gewesen. Ärgerlich ist nicht zuletzt der horrend hohe Preis von 89,95 Euro; eine Veröffentlichung im Internet wäre gewiss sinnvoller gewesen.

Dieser Mängel ungeachtet bietet der Band ein wertvolles Kompendium von Quellen zur Sportgeschichte des Nationalsozialismus, zur fortschreitenden, „gesetzlich“ geregelten und sich nach den Olympischen Sommerspielen radikalisierenden Entrechtung jüdischer Sportler, die in die Vernichtung des europäischen Judentums mündete.

 

[1] Ernst Fraenkel: The Dual State. A Contribution to the Theory of Dictatorship. New York u. a. 1941. In deutscher Übersetzung: Der Doppelstaat. Recht und Justiz im „Dritten Reich“. Frankfurt am Main u. a. 1974, 2. Aufl. Hamburg 2001.

[2] Hajo Bernett: Der jüdische Sport im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1938. Schorndorf 1978, S. 122–172.

[3] Ebd. S. 35.

[4] Ebd. S. 24.

[5] Ebd. S. 25. Vgl. Hartmut Becker: Die „Arisierung“ der Deutschen Turnerschaft im Jahre 1933. In: Stadion 2 (1976), Nr. 1, S. 121–139; Michael Krüger: Zum Problem des Antisemitismus in der deutschen Turnbewegung. Wie kam es 1933 zum „Arierparagraphen“ in der Deutschen Turnerschaft? In: Irene Pill (Red.): „Vergessen die vielen Medaillen, vergessen die Kameradschaft“. Juden und Sport im deutschen Südwesten (Laupheimer Gespräche 2006). Heidelberg 2010, S. 85–105.

[6] In einer kulturhistorischen Ausstellung, die dem Thema eine separate Abteilung und einen eigenen Beitrag im Ausstellungskatalog widmete: Uwe Wick: Julius Hirsch. In: Franz-Josef Brüggemeier, Ulrich Borsdorf u. Jürg Steiner (Hgg.): Der Ball ist rund. Katalog zur Fußballausstellung im Gasometer Oberhausen im CentrO anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Deutschen Fußball-Bundes. Essen 2000, S. 190–197.

[7] Die Ergebnisse sind veröffentlicht in Nils Havemann: Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz. Frankfurt am Main/New York 2005.

[8] Dazu im Einzelnen Matthias Thoma: „Wir waren die Juddebube“. Eintracht Frankfurt in der NS-Zeit. Göttingen 2007.

[9] Ebenso unglücklich ist der Untertitel der von Peiffer betreuten Doktorarbeit Wahligs: „Die Geschichte der jüdischen Sportbewegung im nationalsozialistischen Deutschland“. Denn mit Makkabi und Schild gab es im „Dritten Reich“ zwei jüdische Sportbewegungen, deren Beziehung trotz der gemeinsam erlittenen Verfolgung von ideologisch begründetem, permanentem Streit gekennzeichnet war.