Logo der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Kommission für bayerische Landesgeschichte

Menu

Aktuelle Rezensionen


Petra Weber/Wolfgang Sauter/Susanne Sagner/Astrid Pellengahr (Hgg.)

Die protestantischen Hinterglasbilder des Stadtmuseums Kaufbeuren

(Kaufbeurer Schriftenreihe 18), Thalhofen 2017, Bauer, 271 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, meist farbig
Rezensiert von Wolfgang Brückner
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 20.06.2018

Es gibt Rezensenten, die schreiben gerne Verrisse. Ich gehöre zu denen, die oft loben, weil ich meine, jene Titel gehen uns in Bayern an oder besondere bayerische Arbeiten gehören über unsere Grenzen hinaus bekannt gemacht. Das vorliegende Buch passt in beide Kategorien, ja es bietet darüber hinaus ein wunderbares Beispiel für Wissenschaft vor Ort, und das Thema zeugt von genereller Relevanz. Dabei kommt es ganz bescheiden daher als ein Realienkatalog des kleinen städtischen Museums, erschienen in dessen Schriftenreihe. In Wirklichkeit aber haben wir eine Team-Leistung außerhalb der akademischen Projektmanie vor uns, die öffentlich prämiert gehört und zwar angemessen, nämlich von ganz oben.

Worum geht es? Ich darf mit zwei persönlichen Erfahrungen beginnen. Das Cover des Buches bildet in Farbe die Verkündigung der Confessio Augustana im Jahre 1530 ab. Dahinter steht eine Nürnberger Druckgraphik aus dem Jubiläumsjahr 1630, die in meinem Buch „Die lutherischen Bekenntnisgemälde“ die Katalognummer 36 besitzt, der dann eruierte Gemäldekopien folgen. Diese hier nun habe ich nicht gekannt, auch nicht gewusst, dass sie sich auf einen Kupferstich aus der Reihe der Augsburger sogenannten Friedensgemälde der jährlichen Jubelfeste seit 1648 bezieht, mithin gleich zwei Neunennungen für das Genre erbringt.

Deshalb bin ich begeistert, und zwar auch, weil ich mitbekomme, wie sehr das wirklich neue Erkenntnisse sind. Ich habe nämlich an der Universität Eichstätt 1995 den Otto-von-Freising-Stiftungslehrstuhl für Gastprofessuren innegehabt und dort unter anderem ein Seminar über Hinterglas angeboten. Eine Studentin aus Kaufbeuren durfte das entsprechende Referat übernehmen. Damals besaß das ehrenamtlich verwaltete Museum jenes Bild noch nicht, sondern nach nur 15 Exemplaren im Jahre 1960 erst heute 73 Stück.

Nur diese Stücke sind im vorliegenden Buch durchgezählt und nach Motiven geordnet und einzeln bearbeitet. Hinzu treten allerdings viele weitere Stücke aus öffentlichen und privaten Sammlungen zum Vergleich und zur Hilfe für Zuschreibungen. In vorangestellten Kapiteln haben die Herausgeber und weitere Autoren das historische Umfeld, die wenigen greifbaren Hersteller, die Techniken und stilistischen Eigenarten ausführlich behandelt.

Warum erscheint mir das so aufregend? Die reiche, aber entlegene landesgeschichtliche Literatur wird sachkundig ausgewertet und durch eigene Quellenstudien vor Ort ergänzt. Die genaue Erforschung der Familienverhältnisse der örtlichen Kaufleute und Gewerbetreibenden steht richtigerweise im Vordergrund. Hersteller und Abnehmer der Kunstproduktion (auch aus den umliegenden protestantischen Gemeinden) kommen damit in den Blick und zwar im Rahmen der regionalen Entwicklung schwäbischer Reichsstädte. Vor allem im Vergleich mit Augsburg, dessen Graphikproduktion über die Friedensgemälde viele Vorlagen für die geistlichen Themen der Hinterglasmaler abgaben. In Kaufbeuren war es die konfessionelle Konstellation nach 1648, als die schwäbischen Reichsstädte im Friedensschluss von Münster und Osnabrück Sonderkonditionen erhielten, um ihre vorhandene Bikonfessionalität politisch und gesellschaftlich leben zu können. Demographische Veränderungen ergaben sich im Laufe der Zeit durch massenhaften Zuzug katholischer Landleute in die protestantisch regierte Stadt mit zunächst 80 Prozent evangelischer Bevölkerung, der schließlich zur Parität führte (trotz zeitweisem Einwanderungsverbot). In Kaufbeuren standen sich im 18. Jahrhundert die zwei verschiedenen kulturellen Milieus und deren Identitätsstiftungen mit Hilfe des symbolischen Kapitals des spezifischen Kunstgebrauchs erkennbar gegenüber. Dies deutlich herausgearbeitet zu haben, stellt meiner Ansicht nach die Hauptleistung der wissenschaftlichen Gemeinschaftsarbeit dar.

Natürlich gehört auch die ikonographische Rechercheleistung besonders belobigt. Die Themenkreise des 18. Jahrhunderts waren für die Protestanten der Rückblick auf Luther und die Augustana, auf den als Befreier gefeierten Schwedenkönig Gustav Adolf, dann aber auch den zeitgenössischen Volkshelden Fridericus Rex von Preußen. Neben Szenen der biblischen Geschichte dominierten fromme Spruchtafeln im Blumenschmuck und veränderbare Kalender. Selten sind allegorische Gestalten der Augsburger Stecher.

Wo gibt es in Deutschland ein vergleichbares Tableau der Entstehung von sogenannter Volkskultur oder gar Volkskunst? Ich weiß nur die Studien von Helmut Ottenjann (1931-2010) aus dem Niedersächsischen Freilandmuseum, Museumsdorf Cloppenburg, zu nennen. Dort hat er in den vergangenen Jahrzehnten durch systematische Dokumentation der Sachkultur und parallele umfassende archivalische Untersuchungen zeigen können, dass es „historische Identifikationsräume und deren kulturelle Artikulationen“ gab, was wir früher „Kulturlandschaften und deren zivilisatorische Eigenprägung“ genannt haben. Gemeint sind gezielte museale Materialaufbereitungen bestimmter Gebildeproduktionen und neu entdeckter Massenbilderangebote, das heißt die genaue Untersuchung der Hersteller, des Vertriebs und des Gebrauchs solcher „Luxusgüter“ (im Gegensatz zu den existenznotwendigen Umständen) als Waren bestimmter sozialer Verkehrskreise und historisch bedingter regionaler Herkunft sowie sich wandelnder technischer Bedingungen und Kunstfertigkeiten. Ottenjann spricht von „emblematischer Regionalkultur“ zur „Identitätsstiftung der führenden Schicht teilautonomer Landgemeinden“ im 18. Jahrhundert (also einem winzigen bäuerlichen Patriziat vorrevolutionären Rechtsverständnisses).

Ich habe diese Begründung seiner Grundaussagen zum Problem sogenannter Volkskultur 2011 „Kulturwissenschaftliche Exzellenzforschung aus dem Museum“ genannt. Genau das Gleiche gilt für das vorliegende Veröffentlichungsergebnis aus einem Museum. Was gegenwärtig Universitätsinstitute nicht mehr schaffen, leisten inzwischen Einzelkämpfer in der Region. Große Gratulation!