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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Ingrid Tomkowiak/Brigitte Frizzoni/Manuel Trummer (Hgg.)

Action! Artefakt, Ereignis, Erlebnis

(Kulturen populärer Unterhaltung und Vergnügung 4), Würzburg 2017, Königshausen & Neumann, 255 Seiten mit Abbildungen, Tabellen
Rezensiert von Christian Schönholz
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 21.06.2018

Mit dem Begriff Action widmet sich der Band einem integralen Bestandteil populärer Unterhaltungs- und Vergnügungsformen, mit dem nicht nur genrespezifische Charakteristika angesprochen werden, sondern über den sich eine ästhetische Qualität artikulieren lässt, die sich aus der sinnlichen Erfahrung von Spannung, Geschwindigkeit, Gefahr, Zerstörung und Gewalt speist. Damit ist zugleich ein Erlebnismodus umschrieben, der außer für Fragen nach Stilmitteln auch als Indikator für soziokulturelle Prozesse fruchtbar gemacht werden kann.

Der vorliegende Band versammelt 13 Beiträge der gleichnamigen Tagung der dgv-Kommission Kulturen populärer Unterhaltung und Vergnügung (KPUV), die im Juni 2016 in Kooperation mit dem Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zürich stattfand; ergänzt werden diese um drei zusätzliche Aufsätze. Die fachliche Bandbreite der Beiträge reicht über den engeren Fachzusammenhang der Europäischen Ethnologie/Kulturwissenschaft/Volkskunde hinaus und umfasst Ansätze aus den Gender Studies, der Literatur- und Medienwissenschaft sowie der Soziologie. Inhaltlich ist der Band nach den einführenden Beiträgen von Manuel Trummer und Christine Lötscher in die drei im Titel angesprochenen Zugänge zum Begriff Action – als Artefakt, Ereignis und Erlebnis – unterteilt.

Eingangs weist Manuel Trummer darauf hin, dass Action zwar einer der häufigsten semantischen Marker im Bereich der Kulturen der populären Unterhaltung ist, konstatiert in Bezug auf die theoretische Auseinandersetzung mit ihm jedoch zugleich eine gewisse Forschungslücke. So erscheint Action in der Regel als Kompositum in Verbindung mit Medien (Comics, Filme etc.) und findet dergestalt zumeist als Genrebezeichnung Verwendung. Anhand des exemplarischen Untersuchungsgegenstandes des US-amerikanischen Rock’n’Roll der Nachkriegszeit wird Action im weiteren Verlauf als ein Komplex von Emotionspraktiken gefasst, der als zentrales Dispositiv die einzelnen Motive wie Geschwindigkeit, Wettstreit und Spektakel zusammenhält. Trummer legt hiermit zu Beginn über die Auswertung von Songtexten und Filmen einen akteurszentrierten Forschungszugang dar, in dem über die Aspekte des doing emotion Action zum Spiegelbild zeitspezifischer kultureller Prozesse avanciert: „Es materialisiert sich so die emotionale Erfahrung des Zusammenstoßes zweier Sphären und der Grenzüberschreitung durch Aktionen, die in Konflikt zu der von Highschool und Elternhaus geordneten Welt standen.“ (24 f.)

Der zweite einführende Beitrag von Christine Lötscher beleuchtet die medienspezifische Ästhetik von Action am Beispiel von Hongkong-Martial-Arts-Filmen. Daran anschließend setzen sich die Beiträge von Aleta-Amirée von Holzen, Petra Schrackmann, Alexandra Müller und Laura Zinn, Cristina Alonso-Villa, Malte Völk und Tobias Brücker mit Action als Artefakt auseinander. Der Schwerpunkt in den untersuchten Gegenständen liegt hier auf (Action-)Filmen und den genrespezifischen ästhetischen Erfahrungen, visuellen Techniken, grundlegenden Narrativen und den genderspezifischen Rollenverteilungen. Der stark an filmischen Artefakten wie dem Marvel Cinematic Universe ausgerichtete erste Block wird durch den Beitrag von Stefan Krankenhagen und Marie Charlotte Simons erweitert, die anhand des Phänomens Professional Wrestling zeigen können, wie durch eine zwischen allen beteiligten Akteuren verabredete Authentizitätsfiktion eine narrative Struktur entsteht, die aus Sportlern Serienfiguren und aus Konkurrenten Figurationen macht. Verblüffend ist an dieser Analyse, dass Action gerade im Wrestling (wo sie genrespezifisch so omnipräsent zu sein scheint) suspendiert wird, zugunsten einer am Zuschauer orientierten Zusammenarbeit, die „mühelos und elegant wirken muss“ (138). So wird diese spezifische Performance verstehbar als eine Choreografie der Körper, die eine Expertise in Gestik und Mimik voraussetzt, um Gefühlsausdrücke zeitlupenhaft präsentieren zu können – die Formierung sozialer Körper zu Bildern substituiert die fehlende Action. Damit steht Wrestling in engerer Verwandtschaft zum Ballett und zum Synchronschwimmen als zu den viel bemühten Superheldinnen und Superhelden.

Im zweiten inhaltlichen Block steht Action als Ereignis im Fokus. Eingangs diskutiert Christoph Bareither über den praxistheoretischen Ansatz der ethnografischen Emotionsforschung Action als metakommunikatives Signal; entwickelt werden diese Überlegungen anhand von umfangreichen qualitativen Untersuchungen zum Vergnügen an Gewalt in Computerspielen. Dem Zusammenhang von Action und Computerspielen gehen auch die Beiträge von Joanna Nowotny und Julian Reidy sowie Desirée Dörner nach. Marguerite Rumpf widmet sich dem Sammeln und Verwenden von Action-Figuren. Am Beispiel von Star-Wars-Merchandise-Produkten zeigt sie die starke Bedeutung dieser Artefakte für das persönliche Wiedererleben von Kindheitserfahrungen und Spielsituationen auf. Abschließend beschreibt Pauline Lörzer die Zugänge, Regeln und Varianten der Erlebniswelt Geocaching.

Der Bereich des Erlebens von Action wird in den beiden letzten Beiträgen thematisiert. Zum einen fasst Christine Hämmerling anhand des video activism im Zusammenhang mit Demonstrationen den Erlebnismodus Action als Grenzerfahrung. Dabei kann sie unter anderem zeigen, dass sich das Nachempfinden der Erfahrungen mittels Demo-Videos bei ästhetischen Stilen von Action-Genres bedient. Zum anderen bietet der Beitrag von Ronald Hitzler über die Analyse phasenweiser Re-Action auf die Loveparade-Katastrophe 2010 in Duisburg zum Abschluss eine am Ereignis und am Risiko orientierte Beantwortung der Frage, was Action ist beziehungsweise welche Qualität sie ausmacht, nämlich „das freiwillige Sich-Einlassen auf Vorgänge und Geschehnisse, die riskant sind, das heißt die sowohl folgenreich als auch von Unsicherheit geprägt sind und daher als ereignisintensiv und schicksalhaft angesehen werden“ (247). Aus einem an der eigenen Unversehrtheit ausgerichteten Alltag resultiert, in Anlehnung an Erving Goffman, der Bedarf, diesen „mit erregenden Vorstellungen, mit aufregenden Erlebnissen und vor allem mit riskanten Unternehmungen, bei denen dann durchaus absichtsvoll ernstzunehmende körperliche, soziale, emotionale und wirtschaftliche Risiken eingegangen [...] werden“, zu „würzen“ (248). Hitzler zeigt gleichermaßen prägnant und sensibel auf, welche komplexen sozialen Prozesse und langwierigen Aushandlungen einsetzen, wenn kollektive Erregungszustände wie bei der Loveparade vom kalkulierten und tradierten Nervenkitzel innerhalb der Action zur tatsächlichen Gewaltwiderfahrnis in der Massenpanik umschlagen, die dann eben keine Action mehr sein kann, sondern zur Katastrophe wird.

Die Ergebnisse der 16 Beiträge bilden die sehr unterschiedlichen fachlichen Zugänge und Konzepte zum Begriff Action ab, die von genrespezifischen Charakterisierungen in (Action-)Filmen und (Action-)Computerspielen über performativ suspendierte Action im Wrestling bis zum bewussten Aufsuchen von Risikosituationen in der Event- und Erlebnisgesellschaft und deren in Einzelfällen folgenreichen Kippmomenten reichen. Der Band spannt inhaltlich einen weiten Bogen und verdeutlicht zugleich die Vielschichtigkeit und Heterogenität von Action als Erlebnismodus und Erfahrungsraum. Das Herausgeberteam liefert damit einen wichtigen Beitrag zum näheren und am Material entwickelten Verständnis eines zentralen Genremarkers im Bereich der populären Unterhaltungs- und Vergnügungskulturen und macht Action anschlussfähig für weitere theoretische und analytische Zugänge.