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Aktuelle Rezensionen


Serina Heinen

„Odin rules“. Religion, Medien und Musik im Pagan Metal

(Religion und Medien 3), Bielefeld 2017, transcript, 241 Seiten mit 7 Abb., zum Teil farbig
Rezensiert von Imke von Helden
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 25.06.2018

„Odin Rules“, ein 2017 veröffentlichter Band aus der Reihe „Religion und Medien – zeitgenössische mediale Repräsentation von Religionen“, hat zum Ziel, anhand von Pagan Metal, einem Subgenre von Heavy Metal, das sich vor allem durch inhaltliche Bezüge auf vorchristliche Religionen auszeichnet, Form und Rolle von Religion in der zeitgenössischen Populärkultur zu analysieren. Damit bietet die Studie neben einer kulturwissenschaftlichen Perspektive auf mediale Repräsentationen von Religion auch einen Beitrag zu den aufstrebenden Metal Studies. Heavy Metal als dem Pagan Metal übergeordnetes musikalisches Genre bietet neben einem oft transgressiven musikalischen Erleben eine komplexe Kultur, die seit einigen Jahren aus verschiedenen disziplinären Blickwinkeln erforscht wird – neben dominierenden kulturwissenschaftlichen und soziologischen Untersuchungen spielen bisher vor allem die Musikwissenschaften eine bedeutende Rolle.

Serina Heinen wendet sich zunächst zeitgenössischen, „modernen“ Ausformungen von Religion und dem Verhältnis von Religion und Populärkultur zu, um dann auf Metal Studies und die Geschichte und die Kultur(en) des Metal einzugehen. Nach Vorstellung des theoretischen Rahmens, der Methodik und der untersuchten Bands werden Beobachtungen von vier Metal-Festivals formuliert, wobei hier visuelle, akustische sowie performatorische Ebenen für die Autorin von Relevanz sind. Darüber hinaus werden Songtexte auf ihre inhaltlichen Komponenten hin geprüft. Ein besonderer Fokus liegt auf der Darstellung von keltischer und germanischer Mythologie sowie der Repräsentation der damit verbundenen Volksgruppen. Auf visuell-ästhetischer Ebene interessieren die Autorin die (Selbst-)Inszenierungen von Bands, die Darstellung von Inhalten und Typografie, wie sie beispielsweise auf CD-Booklets abgebildet werden. In Interviews mit ausgewählten Musikern schließlich werden deren persönliche Einstellungen zu einzelnen religiösen Traditionen und Auffassungen zur Disposition gestellt. In der Zusammenführung der empirischen Ergebnisse geht Heinen auf die spezifische Konstruktion von Kelten und Germanen im Pagan Metal ein und prüft eine mögliche Verbindung zwischen der Rezeption vorchristlicher Archäologie in diesem Kontext und dem religiösen Selbstverständnis der Musiker.

Die Autorin versteht die Studie als Beitrag zur Debatte um den Wandel von Religion und bezieht sich dabei vorrangig auf drei bedeutende religionssoziologische Theorien, die sie fortzuschreiben sucht: Wie entwickelt sich Religion? Welche sozialen Ausprägungen ergeben sich daraus? Zur Beantwortung der Fragen zieht Heinen neben Thomas Luckmanns Begriff der „unsichtbaren Religion“ als Vorreiter der Individualisierungstheorie, dem Weiterbestehen von Religion im Privaten anstelle eines institutionalisierten Kontexts, José Casanovas Begriff der „öffentlichen Religion“ heran. Letzterer fokussiert eine Entprivatisierung von Religion. Unklar bleibt in den Augen der Autorin jedoch, was dieser Umstand für das religiöse Selbstverständnis des Einzelnen bedeutet. Zuletzt erwägt Heinen mit Hubert Knoblauchs „populärer Religion“ ein Konzept, das medial „vermarktete“ Religion in Augenschein nimmt und ein Verwischen der Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem sowie einen individualisierten Umgang von in Medien vermittelten religiösen Inhalten betont, was im Verhältnis von Pagan Metal und Religion untersucht werden soll.

In Bezug auf die Frage nach der Gestalt von Religion im Pagan Metal führt die Autorin folgende Beobachtungen an: Die Darstellung von Kelten und Germanen im Pagan Metal orientiere sich – bewusst oder unbewusst – an Tacitus und Darstellungen aus der Romantik. Gleichzeitig bestätigten diese Darstellungen die von Deena Weinstein konstatierten Grundgrößen im Metal, dem Prinzip des Dionysischen (allem Hedonistischen, Lebensbejahenden) und dem des Chaotischen (beinhaltet Dunkelheit und Tod), das sich durch alle untersuchten Produktionsebenen (Coverartwork von CDs, Bühnendekoration, Fonts) zieht. Die Frage nach dem Grund dieser Inszenierung stellt die Autorin zwar, beantwortet sie aber nur lückenhaft mit dem Verweis auf Legitimation, wobei unklar bleibt, worauf sich diese beziehen soll. Heinen merkt an, dass lediglich diejenigen Elemente aufgegriffen werden, die zum rebellischen Metal-Image passen, wobei offenbleibt, welche Funktionen die doch zahlreich und ausgeprägt vorhandenen Naturdarstellungen demzufolge zu erfüllen haben. In einer Analyse der religionsbezogenen Elemente, die in der Untersuchung zutage treten, konstatiert Heinen einen zurückhaltenden Einsatz von religiösen Bezügen in visueller Hinsicht zugunsten einer kriegerischen Selbstdarstellung der Musiker und der Darstellung von kriegerischen Elementen auf CD-Covern.

Das soziale und musikalische Erlebnis wird aus Sicht der Musiker als kulturelles, weniger als religiöses Phänomen wahrgenommen und dient als Mittel der Interaktion mit den Fans und des künstlerischen Ausdrucks. Die mythologischen Bezüge dienen nach Analyse der Interviews eher der Schaffung einer bestimmten Atmosphäre denn einer Anrufung von Gottheiten oder einer anderen religiösen Praxis. „Heidnische“ bzw. „neuheidnische“ Lebensentwürfe werden, so Heinen, skeptisch bis distanziert betrachtet. Darüber hinaus zeigt sich, dass meist nicht die kollektive religiöse Auffassung von Bandmitgliedern als Bandeinheit untersucht werden kann, sondern dass individuelle Auffassungen in ein- und derselben Band gang und gäbe sind, wie zum Beispiel im Falle der niederländischen Band Heidefolk.

Heinen zieht aus der Betrachtung von Pagan Metal folgende Rückschlüsse für die Entwicklung von Religion in unserer Zeit: Massenmedien dienen als Vermittler von Religion(sbezügen). Auch Live-Performances von Bands dienen als Massenmedium. Die zahlreichen Verweise auf religiöse Elemente, so die Autorin, verliehen dem Phänomen Pagan Metal für Außenstehende oft den Eindruck einer religiösen Bewegung. Ihre im Gegensatz zu anderen Forschenden emische Perspektive konzentriert sich aber auf das Selbstverständnis der Musiker, die Pagan Metal und ihr eigenes Wirken darin mehrheitlich nicht als religiös wahrnehmen. Wie bewusst rebellisch die Abgrenzung von der gesellschaftlich vorherrschenden christlichen Religionsprägung stattfindet, bleibt unklar.

Mit Blick auf die einbezogenen Theorien konstatiert Heinen eine Bestätigung von Luckmanns Theorie der unsichtbaren Religion, indem religiöse Bezüge im Pagan Metal losgelöst von kirchlicher Institution erscheinen. Dies steht im Widerspruch zu einem der Ergebnisse der Interviewanalyse, wonach es sich im Sinne der befragten Musiker bei ihren musikalischen Projekten mehrheitlich nicht um religiöse Praktiken handelt. Die Autorin merkt an, dass populärkulturelle Religionsbezüge potenziell vieldeutig sind und damit eine eindeutige Einordnung der Phänomene in religiös und nicht-religiös unmöglich machen.

Serina Heinen hat mit „Odin Rules“ einen weiteren, wichtigen Mosaikstein in der Betrachtung von Metal-Kultur aus Sicht der Religionswissenschaften vorgelegt, wonach der Umgang mit Religion in diesem populärkulturellen Kontext nicht unbedingt mit institutionalisierter Religion gleichzusetzen ist. Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch eine längst überfällige Untersuchung der Rezeption solcher Metal-Kulturen, speziell im Pagan Metal: Hier könnte sich durch die hohe Bedeutung von Spezialwissen tatsächlich eine interessante Untersuchung darüber ergeben, welche Bedeutung religiöse Bezüge für das Erleben von Einzelpersonen, den Fans, in der Szene haben. Eine Befragung der Fans/Rezeption der Metal-Bands könnte klären, wie die vielen religiösen Elemente in den Werken und der Performance der Bands auf die Rezipienten unterschiedlicher Altersklassen und gegebenenfalls in unterschiedlichen geographischen Dimensionen wirken. Auf Produzentenseite wird dieser Aspekt potenziell dadurch verzerrt, dass eine Band für gewöhnlich aus mehreren Akteuren besteht und ein Bandkonzept verfolgt wird, das letzten Endes mehr künstlerischer Ausdruck als Ergebnis einer religiösen Auseinandersetzung mit vorchristlichen Elementen ist.

Neben einer fehlenden geographischen Einordnung – Metal ist ein globales Phänomen und existiert damit auch in anderen als in christlichen Kulturkreisen, die hier nicht explizit ausgeklammert werden, aber auch keine Erwähnung finden – wäre ein Bezug zu Ideologie und Gender interessant, die in der medialen Repräsentation von Religion ebenfalls eine Rolle spielen sollten.