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Marguerite Rumpf

„Pantoffeln gebe ich Dir mit auf den Weg“. Schenken in den Konzentrationslagern Ravensbrück, Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald

Würzburg 2017, Königshausen & Neumann, 311 Seiten mit 15 Farbabbildungen
Rezensiert von Sebastian Gietl
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 06.07.2018

Mit dem Schenken in Konzentrationslagern beschäftigte sich Marguerite Rumpf in ihrer Dissertation am Institut für Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg, die nun in Buchform vorliegt. Um es kurz zu machen: Es ist ein wunderbares Buch, ein wichtiges zugleich und mit seiner sachkulturellen Fokussierung ein großartiges Beispiel dafür, was unser Fach auf diesem Gebiet leisten kann. Danke und Bravo!

Derzeit arbeitet Marguerite Rumpf als Projektkoordinatorin in der Kulturabteilung des Goethe-Instituts und ist Lehrbeauftragte am Institut für Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft an der Philipps-Universität.

In sechs umfangreichen Kapiteln nähert sich die Autorin akribisch, stark kontextorientiert und vielschichtig dem Thema, so dass es dem Leser einfach gemacht wird, dem schwierigen und gerade in heutiger Zeit umso wichtigeren Thema zu folgen. Die zentrale Frage, der die Arbeit folgen sollte, lautete: „Welche Themen wurden vom Schenkenden in das Geschenk auf welche Weise hineingelegt?“ Dazu bezieht sich die Autorin im ersten Kapitel auf die Schenktheorie von Marcel Mauss und gibt einen kurzen Einblick in das Themenfeld „Schlimme Gaben“, bevor sie sich kontextual mit der Schenkkultur in Europa im Allgemeinen befasst. Eine systematische Einführung in die Theorien der Sachkulturforschung folgt, in der die Autorin auch zu dem Schluss kommt, dass die Gedanken Günter Wiegelmanns und Karl-Sigismund Kramers zur „Dingbedeutsamkeit“ für sie das ideale Forschungsfundament bilden, um sich den vorliegenden Gegenständen auf differenzierte Weise nähern zu können. Über den materiellen Aspekt hinaus gehören die untersuchten Objekte jedoch auch zur Erinnerungskultur, da sie exemplarisch in den konsultierten Gedenkstätten verwahrt werden.

Im zweiten Kapitel führt die Autorin kontextual in das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager ein. Die Intention dahinter, dem Leser ein besseres Verständnis der „Häftlingsgesellschaft und -kategorien“ und der „Einteilung der Konzentrationslager in verschiedene Entwicklungsphasen“ zu vermitteln, bringt den Entstehungsprozess und die -situation der Geschenkobjekte näher und zeigt ganz eindrücklich Alltag und Leben im KZ. Dabei beschäftigt sie sich auch mit den Thematiken Funktionshäftlinge, Schwarzmarkt und Tauschhandel.

Im dritten Kapitel beschäftigt sich Marguerite Rumpf mit der Methodik der Forschung. Um sich dem Themenfeld zu nähern, konzentrierte sie sich auf die im Titel genannten Mahn- und Gedenkstätten der frühen Hauptlager der SS. Sie wählte aus über 500 Objekten zehn aus, „die in ihrer Stilistik und Materialität, aber auch im Geschenkanlass beispielhaft für die verschiedenen Orte stehen, an denen sie entstanden“. Im Zentrum der Arbeit standen daher eine Karte mit Miniaturpantoffeln, ein Leporello, ein Taschentuch, ein rotes Miniaturpferd, eine Karte mit Aufschrift „Souvenir“, eine Karte des Fußballausschusses, ein Pfannkuchen, eine Karte mit Giftflasche/Karte mit Karikatur und Gedicht, ein Zigarettenetui und eine Karte mit Reh. Nach Recherchen der Autorin entstanden die Objekte allesamt zwischen Juni 1940 und Weihnachten 1944 innerhalb der Lager. Eine Unterscheidung in Männer- und Frauenlager wollte die Autorin nicht, da es sich um die erste Arbeit zu diesem Thema handelte und deswegen beide Geschlechter repräsentiert werden sollten. Die gesamte Arbeit ist, wie bereits an dieser Stelle erkennbar, exemplarisch angelegt und schafft es auf der Ebene einer Mikrostudie hervorragend, Form, Funktion aber vor allem auch Bedeutung des Schenkhandelns in Konzentrationslagern zu beleuchten und die Wichtigkeit weiterführender Studien zum Thema zu unterstreichen.

Im vierten Kapitel beschäftigt sich Marguerite Rumpf mit Geschenkkarten und -akten allgemein mit einem speziellen Fokus auf den Akt des Schenkens während der Lagerhaft, wozu sie auch das Schenken an Funktionshäftlinge oder die SS zählt. Die beiden Kapitel des Hauptteils, fünf und sechs, widmen sich dann dezidiert den Objekten, wobei die Autorin im fünften Kapitel die Objekte und ihren Kontext in Form beispielsweise der Biografien der Gebenden und Nehmenden beschreibt. Darauf aufbauend folgt im „Analysekapitel“ eine Beleuchtung der einzelnen Themen und eine Darstellung, wie jene in den jeweiligen Objekten erscheinen. Intention dahinter ist das Aufzeigen der Sprache, der Themen, schlicht die Geschichte der Menschen, der „Erschaffer und Besitzer“, hinter den Objekten. Auch das gelingt der Autorin sehr eindrucksvoll.

Die Arbeit von Marguerite Rumpf zeigt, dass die Schenkenden über die Objekte nicht nur mit den Beschenkten, sondern auch mit der „Jetztzeit“ kommunizieren und richtig kontextualisiert und analysiert zu wichtigen Zeitzeugen werden können. Sie verdeutlicht, dass die Objekte „einzigartige Zeugnisse der Beziehungen zwischen Menschen, die innerhalb der Zwangssituation der nationalsozialistischen Konzentrationslager aufeinandertrafen“, sind. Auf inhaltlicher Ebene weist die Autorin nach, dass „thematisch die (eigene) Verarbeitung der Erlebnisse“, aber auch der Wille, „Bindungen zu festigen“, zentrale Motive darstellten. Daneben standen aber auch Erinnerungen an die gemeinsame Lagerhaft und die „Möglichkeit des Zeugnisablegens zur Lagerhaft an sich“. Als weiterer Themenschwerpunkt identifizierte die Autorin „die Sehnsüchte der Schenkenden und die Wünsche an die Beschenkten nach einem baldigen Ende der Haftzeit“, und trotz der Codierung verstand der Beschenkte die Inhalte und Andeutungen der Geschenke, die zumeist zum Geburtstag erfolgten. Ein Stück Menschlichkeit in einer unmenschlichen Zeit!

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass es sich hier um ein äußerst lesenswertes, logisch aufgebautes und gut geschriebenes Buch zu einem vordergründig schrecklichen Thema handelt. Ist man jedoch bereit, sich dem Thema zu nähern, überrascht einen das Buch immer wieder und schafft es, die volkskundliche Sachkulturforschung - abseits einer allgegenwärtigen Metropolen- und Ländlichkeits- und Heimatforschung - mit all ihrem Potential und ihrer Relevanz zurück in die Erinnerung des gegenwärtigen Forschungskanons zu katapultieren.