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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Patrick Rotter

Religiös geprägte Lebenswelt in der Reichsstadt Dinkelsbühl von 1350 bis 1660

(Studien zur Kirchengeschichte 29), Hamburg 2017, Dr. Kovač, IX, 481 Seiten mit 205 Abbildungen
Rezensiert von Walter Pötzl
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 10.07.2018

Die Augsburger kirchengeschichtliche Dissertation trug den Leitsatz „Thue dich Gott gantz ergeben, du edles Dinckelsbuehl“. Patrick Rotter verfasste die Arbeit über seine Heimatstadt Dinkelsbühl und konnte dabei auf die Unterstützung eines größeren Personenkreises bauen, aus dem der Stadtarchivar Gerfrid Arnold durch eine stattliche Zahl jüngerer Veröffentlichungen hervortritt. Ansonsten ist die herangezogene Literatur eher dürftig. Bei diesem Thema das Handbuch der bayerischen Kirchengeschichte (Band 1: St. Ottilien 1998, Band 2: St. Ottilien 1993), das Walter Brandmüller, ehedem Kirchenhistoriker an der Universität Augsburg, herausgab, außer Acht zu lassen, ist ebenso nachlässig wie etwa der Verzicht auf Dieter Harmenings Würzburger Dissertation „Fränkische Mirakelbücher“ von 1965/66 oder auf Wolfgang Behringers monumentales Werk „Hexenverfolgung in Bayern“ (München 1987). Eine derartige Mängelliste ließe sich noch mit weiteren Titeln, insbesondere der religiösen Volkskunde, fortsetzen.

An die erste Stelle seiner Quellenübersicht setzt Rotter die Sachüberreste. Im Kapitel über die religiösen Rahmenbedingungen stellt er nach der Pfarrei und den Orden (Heilig-Geist, Karmeliten, Beginen, Deutscher Orden, dazu auch das Chorherrenstift Feuchtwangen und das Benediktinerkloster Mönchsroth) die Kirchen und Kapellen der Stadt vor. Aus diesem Fundus bringt er dann über 200 Abbildungen als Quellendokumentation ein. Unter dem Schriftgut führt er als einzige relevante ungedruckte Quelle die vom Rat im Mai 1633 erlassene Eheordnung an. Von besonderer Bedeutung sind neben der evangelischen Kirchenordnung die Tagebücher des evangelischen Pfarrers Thomas Wirsing im zur Reichsstadt gehörigen Dorf Sinbronn sowie 21 Leichenpredigten aus der Zeit von 1588 bis 1633. Dass die Reformation in Dinkelsbühl Aufnahme fand, lag vor allem daran, dass die Bevölkerung über das Treiben der vielen Geistlichen stark verärgert war.

Das erste Hauptkapitel, „Der Einfluss der Religion auf die Lebenswelt“ (103–275) leitet Rotter mit einem Abschnitt über die „Gliederung der Zeit“ ein. Er rekonstruiert dazu aus den Datierungen der Dinkelsbühler Urkunden einen Kalender (105 f.), ohne dies als Notwendigkeit daraus zu erklären, dass sich aus den Kirchen und Kapellen der Stadt oder wenigstens aus Feuchtwangen oder Mönchsroth kein realer Kalender erhalten hat. Ein solcher wäre noch aufschlussreicher als eine Rekonstruktion. Vorzüglich aufgearbeitet hat den Komplex Kalendar und Urkundendatierung Adolf Lagemann für das Bistum Bamberg (in: Bericht des Historischen Vereins Bamberg 103 [1967], S. 9–264). Auch aus dem rekonstruierten Kalendar ließe sich die besondere Bedeutung von Heiligen aus ihrem Umgriff erkennen (wie lange vorher auf den betreffenden Tag hin und wie lange nachher von ihm aus, unter Umständen mit Verdrängung anderer Heiliger, datiert wurde). Dass in den Monaten März und April weniger Heilige in den Kalendaren stehen, rührt daher, dass man den Messen der Fastenzeit den Vorzug gab. Dafür boten sich die Sonntage an, die nach dem Introitus der Messe benannt wurden, was auch für die Sonntage der Osterzeit gilt. Deutlicher als mit der Urkundendatierung nach dem Heiligenkalender (bzw. nach benannten Sonntagen) lässt sich der Einfluss der Religion auf die Lebenswelt kaum ausdrücken.

Im weiteren Verlauf dieses Hauptkapitels geht Rotter auf ganz verschiedene Bereiche ein, auf Taufe und Geburt sowie auf Ehe und Sexualität (6.2 und 6.3), aber auch auf die Bildung in der Reichsstadt Dinkelsbühl (6.4) sowie auf weltliche Freuden und moralische Ansprüche (6.5). In den Punkten 6.6–6.10 dominiert irgendwie das Thema Angst. Hier bringt er auch die Hexenverfolgung unter. Der strafende Gott bedrängte die Menschen. Von besonderem Interesse ist dabei das Fegefeuer (6.10.2), wobei Rotter nicht nur auf das viel beachtete Buch von Jacques Le Goff (deutsch 1991) eingeht, sondern auch auf die Auseinandersetzungen damit (Martina Wehrli-Johns 1994 und Andreas Merkt 2005). Für die weitere theologische Entwicklung der Konfessionen wird das Fegefeuer dann zu einem wichtigen Unterscheidungskriterium, denn Martin Luther lehnte es schließlich ab (Schmalkaldische Artikel 1536). Dagegen halten beide Konfessionen an der Vorstellung vom Jüngsten Gericht fest. In Dinkelsbühl und seiner Umgebung kann Rotter zunächst zehn Darstellungen dieses Gerichtes, die meisten um 1500, nachweisen. Dazu kommt noch ein Epitaph in der Kapuzinerkirche (Abb. 118). Auf schließlich fünf Bildern bitten Maria und Johannes den Weltenrichter um Gnade für die Menschen. Rotter kommt aber nicht auf den terminus technicus Deesis (vgl. Engelbert Kirschbaum SJ [Hg.]: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 1. Rom u. a. 1968, Sp. 494–499).

Das zweite Hauptkapitel gilt der „Frömmigkeit als Konsequenz der religiös geprägten Lebenswelt“ (277–444). Den größten Komplex bildet die Verehrung der Heiligen und Marias, der Dreifaltigkeit und von Jesus Christus, die vor allem anhand vorhandener Bilder dargestellt wird. Ein kleiner Abschnitt beschäftigt sich mit Pilgerreisen und Wallfahrten (283–289). Erhard Etzlaub hat Dinkelsbühl im Jahre 1500 in seine Rompilgerkarte eingetragen, was bedeutet, dass es Pilgerstation auf der Nord-Süd-Route war. Rotter verweist auf die Wallfahrt der Maria Scheller von Dinkelsbühl am 15. Juni 1639 in die hölzerne Kapelle auf dem Schönenberg über Ellwangen (288). Dort hatten Jesuitenpatres im Jahr zuvor in ein Holzkreuz eine tönerne Marienfigur eingesetzt und den Grundriss einer Loretokapelle abgesteckt (vgl. Remigius Bäumler u. Leo Scheffczyk [Hgg.]: Marienlexikon, Bd. 6. St. Ottilien 1994, S. 50). Im Ellwanger Mirakelbuch erscheinen im Jahre 1639 noch vier weitere Wallfahrer aus Dinkelsbühl, darunter auch der Stadtbaumeister Johann Stephan Huster. Weitere folgen in den Jahren 1640 und 1682 (siehe Dieter Harmenings „Fränkische Mirakelbücher“).

Die durchaus schwache Dissertation leidet vor allem daran, dass die religiöse Volkskunde, die sich seit Jahrzehnten um die Erforschung der Frömmigkeit (des Volkes) bemüht, ausgeklammert wird. Die Gegenstände unserer Forschung sind älter als die Fakultäten unserer Universitäten, deswegen dürfen sie nicht dadurch eingeschränkt werden.