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Karl-Heinz Erdmann/Michael H. Faber (Hgg.)

Pützchens Markt. 650 Jahre in Bonn am Rhein

Bonn 2017, Bouvier, 295 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, zum Teil farbig
Rezensiert von Hermann Wellner
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 24.07.2018

Pützchens Markt ist ein fünftägiger Jahrmarkt in dem Bonner Ortsteil Pützchen-Bechlinghoven. Er findet um den zweiten Septembersonntag von Freitag bis Dienstag statt. 2017 besuchten 1,3 Millionen Menschen den Jahrmarkt; zum Vergleich mit bayerischen Volksfesten: Das 11-tägige Gäubodenvolksfest in Straubing hatte im gleichen Jahr 1,4 Millionen Besucher. 2017 stand das Alter des Marktes besonders im Fokus, da, bezogen auf eine Urkunde aus dem Jahr 1367, der Jahrmarkt 650. Jubiläum feierte. Der vorliegende Band nimmt sich dies zum Anlass, um unterschiedliche Blicke auf die Geschichte und das heutige Geschehen auf Pützchens Markt zu werfen und versammelt 14 sehr heterogene Beiträge.

Herausgegeben wurde der Band von dem Geographen Karl-Heinz Erdmann und dem Volkskundler Michael H. Faber. Nachdem Faber zunächst die Bedeutung der „Volksfestkultur“ in Deutschland beleuchtet hat, widmen sich die beiden Herausgeber der Geschichte von Pützchens Markt. Die Autoren zeigen den Werdegang der Wallfahrt zum Adelheidis-Brunnen, aus der sich sowohl der Ort Pützchen als auch der Jahrmarkt entwickelt haben, und erläutern kurz deren Hintergründe. Die erste Quelle, welche die Autoren für die Wallfahrt bzw. den Jahrmarkt anführen, ist die bereits erwähnte Urkunde aus dem Jahr 1367. Es handelt sich hierbei um eine Verkaufsurkunde, in welcher „Adelheidispützchen“ Erwähnung findet. Bis ins 18. Jahrhundert fehlen jedoch Belege für ein Marktgeschehen. Durch die verbesserte Quellenlage nimmt die Entwicklung des Marktes ab dem frühen 19. Jahrhundert eine stärkere Rolle in den Ausführungen ein, die bis in die Gegenwart verfolgt wird.

Die Aufgabe, die Wallfahrt zur hl. Adelheid zu beleuchten, übernimmt der Volkskundler Alois Döring. Er lässt die unterschiedlichen Quellen mit Beschreibungen etwa zu Heilpraktiken, zur Wahrnehmung der Wallfahrt oder auch zur Heiligenvita sehr ausführlich sprechen, was ein spannendes Gesamtbild der Geschichte der Wallfahrt und der Hintergründe ergibt.

Marco Heinz, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Vorstandsmitglied bei dem Sinti und Roma Verein „Latscho Drom“, widmet sich dem Begriff der „Zigeuner“ im Zusammenhang mit Pützchens Markt, wobei er versucht, das Narrativ des „Fahrenden Zigeuners“ zu dekonstruieren. Hierzu geht er der Darstellung von „Zigeunern“ auf Pützchens Markt in Zeitungsartikeln nach.

Michael H. Faber widmet sich Ansichtskarten und Fotografien von Pützchens Markt. Jahrmarktspostkarten stellen, bei allen quellenkritischen Bedenken, eine bedeutende bildliche Quelle zur Analyse von öffentlichen Festen für die Zeit um 1900 dar. An mehreren Beispielen zeigt der Autor die Mehrfachverwendung der Postkartenmotive für verschiedene Feste, so auch am Beispiel einer Postkarte aus dem Jahr 1898 (Abb. 8): „Blauweiße Fahnen [...] hätten die Rheinländer gewiss nicht geduldet. Und auch ‚Schichtl’s Theater‘, damals eine Größe auf dem Münchener Oktoberfest, ist nie in Pützchen aufgetaucht.“ (108) Der Autor hat insgesamt 18 Postkarten aus der Zeit um 1900 abgedruckt und nimmt diese als Quelle, schaustellerische Angebote oder auch Kleidungsweisen abzulesen. Ergänzt werden diese durch vier Postkarten aus den Jahren 1964 bis 1968.

Die Fotografien von Jens Unglaube, die Ute Herborg in ihrem Beitrag präsentiert, zeigen Pützchens Markt aus eher ungewöhnlichen Perspektiven. Es sind Bilder von Buden und Fahrgeschäften am frühen Morgen, die auf die Besucher warten, oder von Schaustellern in ihren Kassenhäuschen. „Es sind Momentaufnahmen des Wartens, der Routine, vielleicht der Langeweile oder der Erschöpfung. Man versteht, dass das Vergnügungsgewerbe der Schausteller verdammt harte Arbeit ist.“ (132)

Der Bonner Heimatforscher Heribert Faber (geboren 1926) schildert in seinen „Erinnerungen“ den Ablauf eines Tages auf Pützchens Markt. Diese Erinnerungen datiert er nicht genauer; illustriert sind sie mit Fotografien der 1960er und 1970er Jahre. Die Schilderungen zeigen den Tagesablauf als ritualisiertes Handeln und binden zentrale Elemente des Jahrmarkts wie „Adelheidis-Brünnchen“, den Gottesdienst im „Bayernzelt“, den „Plutenmarkt“ sowie Fahrgeschäfte und Buden mit ein.

Michael H. Faber widmet sich in den folgenden beiden Aufsätzen zwei zentralen Elementen des heutigen Jahrmarktgeschehens, den Speisen und Getränken sowie den Spielbuden auf Pützchens Markt. Aufgrund der Quellenlage beginnt der Autor mit der Darstellung von Essen und Trinken in den 1820er Jahren. Zunächst geht er auf die Entwicklung des Getränkekonsums, insbesondere auf die Bedeutung von Wein und Bier, ein. Er beleuchtet die Geschichte der Hauswirtschaften, die um den Markt entstanden sind, und deren Speiseangebot, das er als „Rheinische Kost“ (143) umschreibt, im Gegensatz zur „Bayerischen Kost“ (146), die es im großen Bayernzelt, welches seit Mitte der 1960er Jahren am Pützchens Markt steht, gebe.

Beispielhaft für die verschiedenen Schaustellungen, die ein Fest wie Pützchens Markt heute prägen, beleuchtet Faber Geschicklichkeits-, Kraft-, und Glücksspiele. Er zeichnet die Entwicklung solcher Angebote seit Mitte des 19. Jahrhunderts nach, wobei ihm für die Zeit ab dem endenden 19. Jahrhundert Anzeigen in der Schausteller-Zeitschrift „Der Komet“ als zentrale Quelle dienen.

Dagmar Hänel, Leiterin der Abteilung Volkskunde im LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn, nimmt verschiedene Brauchformen in den Blick, die rund um Pützchens Markt entstanden sind. Hierbei beleuchtet sie zum einen die einzelnen Akteure – Schausteller, Anwohner, Besucher – und zeigt, wie die unterschiedlichen Brauchformen und Handlungen zur Vernetzung dieser Akteursgruppen dienen und so integrativ wirken. Zum anderen führt sie an den Beispielen des Fassanstichs und des, seit 2011 stattfindenden, Festumzugs aus, wie auf regional tradierte Formen des Karnevals – Festumzug – oder auf Muster des Münchener Oktoberfestes – Fassanstich, Trachtenmode – zurückgegriffen wird. Wobei die Autorin bei der Zunahme der Trachtenmode festhält, dass „diese symbolische Kleidung im Rheinland eher ein eskapistisch-karnevaleskes Statement“ (178) sei.

Die Diplom-Geographin Pia Baumert, die sich in ihrer Diplomarbeit bereits mit Pützchens Markt aus Sicht des Stadtmarketings beschäftigt hat, weitet zusammen mit Karl-Heinz Erdmann den Blick auf den Jahrmarkt und zeigt diesen nicht nur als fünftägiges Fest, sondern als Ganzjahresveranstaltung. Die Autoren geben einen Einblick in die verschiedenen organisatorischen Aufgaben, die vor, während und nach dem Jahrmarkt durchgeführt werden müssen. Hierfür wurden unterschiedliche Akteure des Pützchens Marktes befragt, wie die Stadtverwaltung, Polizei, Feuerwehr, Stadtwerke, Pfarrei, Vereine und Schausteller.

Gabriele Dafft, wissenschaftliche Referentin bei der Abteilung Volkskunde im LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn, nimmt Pützchens Markt als Erinnerungsort und Erlebnisraum in den Blick. Die Beobachtungen wurden im Rahmen einer Filmdokumentation über Pützchens Markt durch den LVR 2016 gesammelt und zeigen die Bedeutung des Festes für die unterschiedlichen Akteure des Marktes. Die Autorin geht der Frage nach, was den Markt zum Erinnerungsort für die befragten Akteure macht und wie erinnert wird. „Die subjektiven Erzählungen transformieren sich so zum Bestandteil einer kollektiven Erinnerungskultur, die gemeinschaftsbildende und identitätsstiftende Kraft für die Menschen in und um Pützchen und ganz Bonn entfaltet.“ (199)

Michael H. Faber überlässt den Beschickern des Pützchens Marktes das Wort. Diese berichten jeweils knapp davon, welche Bedeutung der Markt für sie selbst hat oder wie sie Veränderungen wahrnehmen.

Abgeschlossen wird der Band durch eine umfangreiche Fotosammlung mit Impressionen vom Markt. Die einzelnen Bilder sind chronologisch nach Jahrzehnten geordnet und beginnen in den 1960er Jahren. Jedes Jahrzehnt wird begleitet von einem knappen Erläuterungstext zu den gezeigten Fotografien.

Der gelungene und schön bebilderte Band gibt mehr als nur einen Überblick über Geschichte und Gegenwart des Jahrmarktes. Die Collage aus überblickshaften Zusammenstellungen, volkskundlichen Darstellungen sowie Erinnerungen und Meinungen der unterschiedlichen Akteure bilden die Entwicklung von Pützchens Markt, zumindest seit Mitte des 19. Jahrhunderts, und dessen heutige Ausgestaltung umfassend ab. Der titelgebende Hinweis auf das vermeintliche Alter des Jahrmarktes ist sicherlich ein gutes Verkaufsargument, wie aber bei vielen vergleichbaren Festen suggeriert dies eine Kontinuität, die so selbstverständlich nicht aufrechterhalten werden kann. Erfreulicherweise wird dies im Großteil der Texte auch nicht versucht.