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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Peter F. N. Hörz (Hg.)

Eisenbahn Spielen! Populäre Aneignungen und Inszenierungen des Schienenverkehrs in großen und kleinen Maßstäben

(Göttinger Studien zur Kulturanthropologie/Europäischen Ethnologie 3), Göttingen 2016, Universitätsverlag, 232 Seiten mit Abbildungen, zum Teil farbig, 1 Tabelle
Rezensiert von Andreas Kühne
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 14.08.2018

Das Buch ist das Ergebnis eines Lehrforschungsprojektes von Studierenden im Masterstudiengang am Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie 2012/2013 der Georg-August-Universität Göttingen und eines darauffolgenden öffentlichen Kolloquiums zum Thema „Eisenbahn Spielen! Populäre Aneignungen und Inszenierungen des Schienenverkehrs in großen und kleinen Maßstäben“. Zunächst inhaltlich auf das Thema „Modellbahn“ beschränkt, wurde es auf Eisenbahnen im großen Maßstab ausgedehnt.

Nach einer Einführung in das Thema durch den Herausgeber wird es in insgesamt zehn Beiträgen aus unterschiedlichsten Perspektiven behandelt: Bernd Rieken („Homo faber trifft Homo ludens“, 27-48) – selbst bekennender Modelleisenbahner – geht zunächst auf den kultur- und ideengeschichtlichen Kontext ein.

Der darauffolgende Beitrag von Charlotte Kalla („Spur und Spiel: Die Eisenbahn als Spielzeug im 19. und 20. Jahrhundert“, 49-64) nimmt die Entstehungsgeschichte von Spielzeugeisenbahnen (1830 bis 1950) und deren pädagogische Verwendung in den Fokus.

Elisabeth Müller beschreibt das Phänomen der „Eisenbahnmodelle im Museum“ (65-84), der seit Beginn des Eisenbahnzeitalters beliebten und anschaulichen Funktionsmodelle einzelner Maschinen, die zum Teil auch aufgeschnitten präsentiert werden. Dabei zeigt sie auch die Grenzen von Modelltechnik im Museum, da sie das Erlebnis des Bahnfahrens nicht ersetzen kann.

Anna Schäfer geht in ihrem Beitrag „Die Kleinbahn im Kopf: Erinnerungen zwischen Göttingen und Duderstadt“ (85-108) der Frage nach, inwieweit eine längst stillgelegte und abgebaute Schmalspurbahn – in diesem Fall die Gartetalbahn – als Erinnerungsort für Biographien von Bedeutung ist.

Der (längste) Beitrag von Peter F. N. Hörz und Susanne Klinke „Sehnsuchtsorte: Eisenbahnlandschaften in kleinen Maßstäben“ (109-156) ist ganz dem Thema Landschaft auf Modellbahnen gewidmet. Dabei wird der Landschaftsbau aus kunsthistorischer Sicht als eine Spielart der „Naiven Kunst“ (114) betrachtet, d. h. jede in Form von Bricolage selbstgebaute Modelllandschaft stellt ein eigenes ganz persönliches Kunstwerk dar, was in der Regel auch nicht für die Öffentlichkeit gedacht ist. Ausführlich wird die bevorzugte Themenwahl behandelt, die häufig durch persönliche Erlebnisse oder Sehnsüchte gelenkt wird, wie befragte Akteure berichten. Dabei wird die Landschaft häufig „romantisiert“ und eine historische Eisenbahnepoche als Grundlage gewählt, d. h. zu moderne und als störend empfundene Elemente, wie etwa Hochhäuser, werden vermieden.

Dass man auch mit „großen“ Bahnen spielen kann, belegt das vorgestellte Feldforschungsprojekt von Margaux Jeanne Erdmann „Wenn die Modelleisenbahn zur Modell-Eisenbahn wird: Männliche Idyllvorstellungen im Maßstab 1:1“ (157-176). Dabei untersucht sie am Beispiel der „Interessengemeinschaft Feldbahn Eichenberg“, deren Mitglieder mit ausgedientem Feldbahnmaterial auf einem Gelände – 20 km von Göttingen entfernt – Gleise immer wieder neu verlegen und auf diesen mit Arbeitszügen fahren, die Motive der Beteiligten.

Johanna Marie Elle („Interkulturelle Inszenierungen auf der Pressspanplatte. Modelleisenbahnbastelei als Integrationsprojekt“, 177-192) geht von der „integrativen Modellbahnanlage in Bergisch Gladbach“ aus, „einer Collage, die plastisch verschiedene Orte und Länder repräsentiert“ (177). Dabei werden von mehreren Personen einzelne Teile als Dioramen gebaut, die später zu einer Anlage zusammengefügt werden. Die Autorin untersucht dabei Beweggründe für die jeweilige Motivwahl und in welcher Form die Verarbeitung von persönlichen Schicksalen umgesetzt wird.

Dem (Modell-)Eisenbahnverein und seiner „hegemonialen Männlichkeit“ widmet sich Laura Stonies (193-210) – in geradezu klischeeartiger Form zeigt sich hier das Rollenbild: Die Männer kümmern sich um die Eisenbahntechnik, die Frauen der Vereinsmitglieder um das leibliche Wohl derselben.

Manfred Seifert geht zum Abschluss in seinem Aufsatz „Wellenreiter im Alternativformat: Zu Strukturen und Perspektiven der aktuellen Eisenbahnbegeisterung“ (211-230) auf die verschiedenen Formen der Eisenbahnbegeisterung ein. Nach einem kurzen Blick auf die Geschichte dieser „Fankultur“ widmet er sich dem gegenwärtigen Wandel: Während die Begeisterung für historische Dampfzüge ungebrochen scheint, schwindet das Interesse an der klassischen Modellbahn bei der jüngeren Generation immer mehr.

Das Buch bietet aus kulturwissenschaftlicher Sicht einen spannenden Einblick in ein Phänomen, das Generationen von Männern seit ihrer Kindheit begleitet hat und beschäftigt.