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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Richard Winkler

Ein Bier wie Bayern. Geschichte der Münchner Löwenbrauerei 1818-2003

(Veröffentlichungen des Bayerischen Wirtschaftsarchivs 4), Neustadt an der Aisch 2016, Ph. C. W. Schmidt, 471 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, zum Teil farbig, 196 Tabellen
Rezensiert von Birgit Speckle
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 04.09.2018

Der Slogan ‚Löwenbräu. Ein Bier wie Bayern‘ ist bis heute weit bekannt. Die dazugehörige Münchner Brauerei blickt auf eine über vierhundertjährige Geschichte zurück, die 2003 ein zeittypisches Ende nahm. Im Strudel des Konzentrationsprozesses im Brauereigewerbe wurde die Löwenbrauerei Teil eines globalen Großkonzerns: „Zum 1. Oktober 1997 übernahm die Gabriel Sedlmayr Spaten Franziskaner Bräu KGaA die schwer angeschlagene Löwenbräu AG mit ihren noch 622 Beschäftigten und führte sie als Tochtergesellschaft weiter.“ (304) 2003 gingen die Marken Spaten, Franziskaner und Löwenbräu sowie die Stuttgarter Dinkelacker-Schwaben Bräu AG an die belgische Interbrew, 2004 erfolgte die Fusion der Interbrew-Gruppe mit dem größten Brauer Lateinamerikas, der brasilianischen Companhia de Bebidas das Américas zur InBev. 2008 schließlich übernahm die InBev die US-amerikanische Brauerei Anheuser-Busch. Es entstand die ABInBev und so „fand sich die Traditionsmarke Löwenbräu in einem weltumspannenden Mega-Brauereiverbund wieder“ (306).

Richard Winkler, stellvertretender Leiter des Bayerischen Wirtschaftsarchivs in München, hat den dort aufbewahrten archivalischen Nachlass der Traditionsbrauerei aufgearbeitet und die letzten rund 120 Jahre Brauereigeschichte in den Mittelpunkt gestellt. Er knüpft dabei an die Arbeit von Wolfgang Behringer an, der im Auftrag von Löwenbräu insbesondere die Frühgeschichte dieser Brauerei erforscht hat [1].

Richard Winklers Text liest sich spannend und unterhaltsam wie ein Wirtschaftskrimi. Mit der flüssigen und souveränen Sprache desjenigen, der sein Material von Grund auf kennt und durchdacht hat, schafft er die Erzählung vom Aufstieg und Fall einer weltbekannten Brauerei. Statt wissenschaftliches Pathos zu bemühen, spricht Winkler dabei ironisch-heiter vom „lahmenden“ Löwen oder der „Löwen-Dämmerung“. Haupt- und Zwischenüberschriften gliedern das komplexe Geschehen, sorgsam ausgewähltes und hervorragend aufbereitetes Bildmaterial ermöglicht ein Durchatmen bei der Lektüre, um die Grundzüge des Geschehens Revue passieren zu lassen: Ab 1818 mauserte sich die Löwenbrauerei unter ihrem neuen Besitzer Georg Brey und danach dessen Sohn Ludwig von einem durchschnittlichen Betrieb zum Marktführer, der innovativ Dampfmaschinen und Eiskeller einsetzte und als Pionier im Bierexport auf den neu entstehenden Eisenbahnlinien agierte (4-6).

Probleme rund um die Bierqualität zu bewältigen, den Export in alle Welt auszubauen, die Marke Löwenbräu zu prägen und den jeweiligen Kundenwünschen anzupassen – das waren damals und bis 2003 zentrale Herausforderungen der Betriebsleitung. 1872 gelang dies durch die Umwandlung in die Aktienbrauerei Löwenbräu AG, 1893 galt Löwenbräu als drittgrößte Brauerei in Deutschland. Ein Einbruch erfolgte durch den Ersten Weltkrieg - mit Dünnbier und Exportstopp. Durch die Fusion mit den Münchner Brauereien Union und Bürgerliches Brauhaus im Jahr 1921 erholte sich der Betrieb wieder.

Der Zeit des Nationalsozialismus widmet sich Richard Winkler ausführlich. Die Löwenbrauerei überstand das Nazi-Regime durch „Anpassung und Bestechung“ (123), es gelang der Geschäftsführung aber auch, dass der jüdische Direktor Hermann Schülein in die USA emigrieren konnte. Schülein machte Löwenbräu dort zur erfolgreichen Importmarke und baute sich selbst eine zweite Karriere auf. Im Abschnitt über den Nationalsozialismus werden mit Hermann Schülein und anderen einzelne Personen fassbar und mit dem Bericht über Zwangsarbeiter gibt es einen Einblick in die Welt der Arbeiter in der Brauerei. Dieses Thema kommt ansonsten leider nur selten zur Sprache, was sich jedoch mit dem Fokus des Buches auf wirtschaftsgeschichtliche Fakten begründen lässt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, der auch bei Löwenbräu zahlreiche Menschenleben gefordert und Betriebsgebäude und Gaststätten zerstört hatte, begann die Brauerei praktisch wieder bei Null. Während die Geschäfte im Inland eher schlecht gingen, mauserte sich das Bier der Löwenbrauerei rasch wieder zum Exportschlager: „In den USA wurde Löwenbräu zur meistgetrunkenen Importbiermarke.“ (307) Der Absturz erfolgte ab den 1970er Jahren. Gründe waren erfolglose Lizenzgeschäfte, ein misslungenes Marketing – erinnert sei an die „Weiße Frau mit dem Löwen“ vor türkisblauem Hintergrund – und Fehler des Managements wie die Abspaltung des Immobilienbesitzes im Jahr 1982.

Das sind nur einige zentrale Informationen aus Richard Winklers detailgesättigter Studie. Sie bildet einen wohltuenden Kontrast zu den vielen Bier-Büchern auf dem Markt, die seit Jahren mehr oder weniger die immer gleichen Stereotypen und Anekdoten zum Bier wiedergeben. Richard Winkler zeigt, was Brauereien waren und sind und worauf die so gerne medial inszenierte Bierseligkeit bzw. Gemütlichkeit basiert: auf Wirtschaftsbetrieben, die sich mit Konzentrationsprozessen und damit einhergehenden Fusionsmöglichkeiten, mit Expansionen und Lizenzfragen, mit Absatzzahlen und Marketingstrategien auseinandersetzen müssen. Ihr Erfolg steht und fällt mit den jeweiligen Entscheidungen des Managements.

Teile von Winklers Quellenmaterial – Tabellen unter anderem zu Bierabsatz und -export, zu Erlösen, Bilanz- und Betriebsergebnissen – sind in einem umfangreichen Anhang zusammengefasst, als Zugabe hübsch aufgemacht mit Vignetten der Löwenbrauerei. Hier steht auch der Anmerkungsapparat, welcher teilweise umfangreiche Co-Referate zum Text beinhaltet und so de facto eine zweite, vertiefende Leseebene bietet. Neben dem Quellen- und Literaturverzeichnis findet sich im Anhang schließlich ein ausführliches Orts-, Personen- und Sachregister.

Denkt man an die im Bayerischen Wirtschaftsarchiv gehüteten Bestände bleibt zum Schluss die Frage, wie sich die archivalische Situation der zahlreichen Craft-Brauereien darstellt, die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden schießen. Sie bilden lokale Gegenbewegungen zu den eingangs beschriebenen Mega-Brauereikonzernen, in denen schließlich Löwenbräu untergegangen ist. Aus volkskundlicher Sicht wird zu beobachten sein, wie lange diese Betriebe jeweils existieren und welchen Wert sie darauf legen, ihre Geschichte – egal, wie kurz oder lang diese ausfallen wird – archivalisch zu bewahren.

Bedürfte es jedenfalls eines überzeugenden Beweises für die Notwendigkeit von Einrichtungen wie dem Bayerischen Wirtschaftsarchiv, das Firmengeschichten vor dem Vergessen rettet, Richard Winkler hätte ihn mit seinem Buch geleistet.

 

[1] Wolfgang Behringer: Löwenbräu. Von den Anfängen des Münchner Brauwesens bis zur Gegenwart. München 1991.