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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Sebastian Bolz/Hartmut Schick (Hgg.)

Richard Wagner in München. Bericht über das interdisziplinäre Symposium zum 200. Geburtstag des Komponisten München, 26.-27. April 2013

(Münchner Veröffentlichungen zur Musikgeschichte 76), München 2015, Allitera, 332 Seiten, zahlr. Abbildungen
Rezensiert von Dieter J. Weiss
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 05.07.2018

Anlässlich des 200. Geburtstages von Richard Wagner fanden im Jahr 2013 weltweit eine Fülle von Veranstaltungen statt. In München, dem Ort der Uraufführung mehrerer Wagner-Opern, veranstalteten die Bayerische Gesellschaft für Musikgeschichte und das Institut für Musikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität unter der Leitung von Hartmut Schick ein Interdisziplinäres Symposium. Die damit abgestimmte Ausstellung „Richard Wagner: Die Münchner Zeit (1864-1865)“ in der Bayerischen Staatsbibliothek wird durch einen eigenen Katalog dokumentiert. Auf dem Symposium stand stärker die Wirksamkeit der Persönlichkeit Wagners in München als die Rezeption seines Werkes im Mittelpunkt, doch wurde auch seine Wirkungsgeschichte berücksichtigt. Den Referenten gelang es, dem Thema Wagner in München neue Aspekte und Facetten abzugewinnen, während die bereits erschöpfend untersuchten Uraufführungen von Tristan und Isolde, Meistersinger von Nürnberg, Rheingold und Walküre nur am Rande berührt wurden. Die Ergebnisse liegen nunmehr in einem Tagungsband vor.

Hartmut Schick erarbeitet in seinem einleitenden Beitrag „Zwischen Skandal und Triumph“ einen konzisen Überblick über „Richard Wagners Wirken in München“, der dieses umfassend dokumentiert, die Forschungsgeschichte dazu vorstellt und zu weiterer Beschäftigung mit dem Thema anregt. Der Verfasser gliedert seinen Beitrag in sieben Szenen. Der Würzburger Musikwissenschaftler Ulrich Konrad stellt „Münchner G’schichten“ vor „Von Isolde, Parsifal und dem Messelesen“, in denen das Privatleben Wagners vorgeführt wird. Wagner lernte bei der Taufe Isolde von Bülows den Taufpriester P. Petrus Hamp von St. Bonifaz kennen, den er dann während der Proben zur Tristan-Uraufführung in der Münchner Abtei zu regen Gesprächen besuchte. Bei weiteren Treffen berührten sie in theologisch-philosophischen Erörterungen das Themenumfeld des Parsifal. Dabei erbat sich der Komponist Belehrung über den liturgischen Ablauf der Hl. Messe natürlich in ihrer tridentinischen Form, wobei die Wandlung im Mittelpunkt stand. Zwei Beiträge beschäftigen sich mit König Ludwigs II. Verhältnis zu Richard Wagner, Katharina Weigand behandelt die politischen Umstände, Jürgen Schläder analysiert die Meistersinger von Nürnberg als Instrument kultureller Identifikation und bezieht dazu Wagners Schrift „Was ist deutsch“ ein.

Einen zentralen Punkt des Verhältnisses Wagners zu München untersucht Markus Kiesel, der dessen Münchner Festspielhausprojekte sowohl im Hinblick auf die Theorie – Festspielidee und Architektur – wie die Praxis mit den Entwürfen von Gottfried Semper eingehend vorstellt. Als perfektes Wagnertheater sieht Kiesel aber erst das von Otto Brückwald in Bayreuth ausgeführte Festspieltheater an. Günter Zöller analysiert unter dem eleganten Titel „Wahnspiel“ Staat, Religion und Kunst in Richard Wagners Münchner Meta-Politik und ordnet dessen 1864 entstandenen Traktat „Über Staat und Religion“ in die deutsche Philosophiegeschichte ein. Die Beziehungen Wagners zum Münchner Hoforchester behandelt unter musikwissenschaftlichen Aspekten Manfred Hermann Schmid.  Klaus Aringer wertet detailliert die Dienstlisten dieses Orchesters als Quellen für die Streicherbesetzungen von Wagner-Aufführungen des 19. und 20. Jahrhunderts aus.

Bernd Edelmann unternimmt den mutigen Versuch, Wagner am Beispiel der Motive Liebestrank und Entsagung dramaturgische Mängel in der Kompilation des Tristan-Stoffes nachzuweisen. Als Grundkonflikt macht er nicht Ehebruch, sondern Treuebruch des Vasallen Tristan gegenüber seinem König aus. Edelmanns Thesen lohnen jedenfalls die Auseinandersetzung. Robert Maschka beschäftigt sich ebenfalls mit Tristan und Isolde, indem er die Funktion der Bühnenmusiken untersucht. In seinem Verständnis ließen sie die Abkehr des Titelpaars von der es umgebenden Wirklichkeit erkennen.

Hans-Joachim Hinrichsen behandelt Hans von Bülows Münchner Wagner-Premieren, wobei der Tristan „seinen bis dahin größten künstlerischen Erfolg und zugleich seine größte biographische Katastrophe“ bedeutete. Robert Braunmüller untersucht ausführlich die Münchner Aufführungsgeschichte der Meistersinger von Nürnberg, die über Jahrzehnte von August Everdings Inszenierung von 1979 dominiert wurde, mit der die Opernfestspiele beendet wurden. Sehr willkommen für den Opernfreund ist die Dokumentation aller Münchner Inszenierungen der Meistersinger und des Rings des Nibelungen. Sebastian Werr stellt seine Beobachtungen zum Dogmatismus der Münchner Wagner-Tradition der Jahre 1900 bis 1945 unter die Überschrift „Jeder Punkt ein Heiligtum“. Unter anderem wertet er dazu den „Protest der Richard-Wagner-Stadt-München gegen Thomas Mann“ aus dem Jahr 1933 aus. Hans Pfitzner hat diesen Aufruf mitunterzeichnet, obwohl Thomas Mann sich 1917 von der Uraufführung des Palestrina begeistert gezeigt und ihn in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ in einer Traditionslinie von den Meistersingern her gewürdigt hatte. Martin Schneider beleuchtet vor diesem Hintergrund Konzepte des Illusionstheaters, wobei Pfitzners Palestrina im Mittelpunkt steht.

Insgesamt geben die Beiträge dieses interdisziplinär angelegten Bandes tiefe Einblicke in die Beziehungen Richard Wagners zu München wie zur Rezeptionsgeschichte seiner Werke. So liegt ein gewichtiger Beitrag des Münchner Instituts für Musikwissenschaft vor, der einem schon öfter behandelten Forschungsgegenstand neue Erkenntnisse und weiterführende Thesen abgewinnen kann, ein wertvolles Geschenk zum Richard-Wagner-Jahr 2013 auf hohem wissenschaftlichen Niveau.