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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Bernhard Koch/Bernhard Schoßig/Bernd-Michael Schülke

… nur ein Mitläufer? Der Pasinger Bürgermeister Dr. Alois Wunder während der Zeit des Nationalsozialismus. Kommentierte Dokumente

Hg. vom Institut für zukunftsweisende Geschichte e. V., München 2017, Pro Business, Berlin (book on demand), 152 Seiten, 4 Abbildungen
Rezensiert von Paul Hoser
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 05.07.2018

Anlass des Buchs ist das Ringen um die Umbenennung der Pasinger Alois-Wunder-Straße. Der Streit um eine neue Namensgebung für Straßen, deren Bezeichnungen aus der Zeit der NS-Herrschaft stammen, ist bekanntlich eine deutschlandweite Erscheinung. Alois Wunder wurde 1907 Rechtsrat im Ort, der damals noch den Charakter einer selbständigen Stadt hatte. Seit 1919 war er Erster Bürgermeister; seit 1928 konnte er sich Oberbürgermeister nennen. Eine Reihe wichtiger Modernisierungen wurde von ihm eingeleitet und durchgesetzt. 1933 wurden keineswegs überall die amtierenden Bürgermeister schlagartig durch Nationalsozialisten ersetzt. In Ober-, Niederbayern und Schwaben konnten zwischen 1932 und 1934 rund 40 % im Amt bleiben, einige sogar bis zum Ende des Kriegs. Auch Wunder musste nicht gehen; das Ende seiner Zeit kam erst, als Pasing 1938 eingemeindet wurde. Das Ziel der Dokumentation besteht darin nachzuweisen, dass Wunder keineswegs nur der objektive über den Parteien stehende Sachwalter der kommunalen Interessen Pasings war, als den er sich selbst stilisierte und als der er in der Presse in Geburtstagsartikeln und Nachrufen dargestellt wurde. Zwar protestierte er formal gegen das Hissen der Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus. Als er aber am 23. November 1933 auf Adolf Hitler vereidigt wurde, hielt er eine Jubelrede auf ihn und das neue System. Bis 1938 ließ er eine ganze Reihe von Reden mit ähnlichem Tenor folgen. Die Anpassung war ihm leichtgefallen, da er auch vorher schon Zeugnisse für seine nationalkonservative Gesinnung an den Tag gelegt hatte. Sie deckte sich in vielem mit der nationalsozialistischen Ideologie. Wunder unterstützte nach Kräften die Hitlerjugend und unterzeichnete auch den den jüdischen Geschäften geltenden Boykottaufruf vom 1. April 1933.

Zwischen 1920 und 1925 sprach sich der Stadtrat entschieden gegen eine Eingemeindung Pasings nach München aus; Wunder bemühte sich sogar, wenn auch erfolglos, um den Status der Kreisfreiheit für Pasing. Seit 1936 aber begannen die Verhandlungen für eine Eingemeindung. Das besondere Interesse daran erklärt sich an den in den Büchern von Hans-Peter Rasp und Anton Joachimsthaler minutiös geschilderten gigantischen Bauplänen, die eine Ost-West-Achse durch München und Pasing vorsahen. Anders als manch andere Vorortbürgermeister sträubte sich Wunder keineswegs entschieden dagegen, dass München sich Pasing einverleibte. Er zeigte sich von vornherein bereit, den Willen des Gauleiters von München-Oberbayern und den Hitlers zu erfüllen. Das einzige, was er herausschlug, war eine eigene Bezirksverwaltungsstelle für Pasing. Zufrieden zog sich Wunder bereits im Alter von 61 in die Pensionierung zurück, zumal man ihm auch keine gleichwertige Stellung mit entsprechendem Entscheidungsspielraum anbieten konnte. 1938 trat er, schon im Ruhestand, der NSDAP bei. Ihm zu Ehren hatte der Pasinger Stadtrat vor seiner Auflösung noch der Planegger Straße seinen Namen gegeben. Im Spruchkammerverfahren, aus dem er wegen der Formalbelastung als Mitläufer hervorging, stellte er es so hin, als sei er laufend Anfeindungen der Nationalsozialisten ausgesetzt gewesen. Die inzwischen aufgefundenen Dokumente zeigen dagegen, dass er sehr gut mit ihnen auskam. 1945 schaffte der im Zusammenhang mit der allgemeinen Beseitigung von Überbleibseln der Selbstglorifizierung der Nationalsozialisten gebildete Aktionsausschuss auch deren neue Straßennamen wieder ab. Obwohl schon in einem Nachruf des Münchner Stadt-Anzeigers vom 19. Juli 1974 betont wurde, Wunder sei nie gegen die Eingemeindung gewesen, hielt sich die Legende, er habe sich ihr energisch widersetzt. Auch der ehemalige Leiter des Münchner Stadtarchivs, Richard Bauer, verfocht ursprünglich diese Version (Süddeutsche Zeitung vom 31.1.2012; dieser Artikel wird in der Dokumentation, S. 79, Anm. 9 mit dem vom 30.1.2012 verwechselt). Später betonte er zumindest dessen politische Willfährigkeit im Dritten Reich (laut Süddeutscher Zeitung vom 30.1.2012, S. R 7). 1977 beantragten ausgerechnet zwei Stadträte der SPD, die daran glaubten, wieder eine Straße nach Wunder zu benennen und hatten damit im Jahr darauf Erfolg. 2012 stellten dann jedoch die Sozialdemokraten im Bezirksausschuss den Antrag, dies wieder rückgängig zu machen. Im Stadtarchiv wurde ein mit dem Schleier der Geheimhaltung umgebenes Gutachten erstellt. Eine Bürgerversammlung entschied sich auf einen anonymen Antrag hin mit Mehrheit gegen die Umbenennung. Bei solchen Beschlüssen spielt oft auch die Unlust der Anwohner eine Rolle, ihre Adresse zu ändern. Das Problem wird wohl erst gelöst werden, sobald ein im Oktober 2016 vom Stadtrat beschlossenes Projekt über den Umgang mit historisch belasteten Straßennamen abgeschlossen sein wird.

Die Dokumentation bildet eine Ergänzung zu dem von denselben Autoren miterarbeiteten Buch über Pasing im Dritten Reich. Die ausführliche Reproduktion von Zeitungsartikeln und Archivdokumenten kann in zweifacher Hinsicht nützlich sein: Zum einen können Schüler und Studenten einen Einblick in das erhalten, was sie in einem Archiv erwartet, zum anderen kann man Bürgern und Lokalpolitikern, die von der historischen Wahrheit nichts wissen wollen, die klar sprechenden Dokumente entgegenhalten. Vielfach werden sie sich allerdings auch davon nicht beeindrucken lassen.