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Günter Ulbert

Der Auerberg IV. Die Kleinfunde mit Ausnahme der Gefäßkeramik sowie die Grabungen von 2001 und 2008

Mit Beiträgen von Stefan Biermeier, Karlheinz Dietz, Jörg W. Fassbinder, Christof Flügel, Rupert Gebhard, Verena Hasenbach, Franz Herzig, Hermann Jerz, Roland Linck, Stefan Mühlemeier, Andrea Rottloff, Maike Sieler, C. Sebastian Sommer und Bernward Ziegaus (Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 63), München 2015, Verlag C. H. Beck, 526 Seiten, 163 Abbildungen, 3 Beilagen
Rezensiert von Valeria Selke
In: Bayerische Vorgeschichtsblätter
Erschienen am 05.07.2018

Der bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, aber v. a. zwischen 1969 und 1979 in insgesamt zwölf Grabungskampagnen unter Leitung von Günter Ulbert untersuchte, 1055 m hohe Auerberg bei Bernbeuren, stellt aufgrund seiner kurzen Belegungszeit, die zwischen 13 n. Chr. und den beginnenden 40er Jahren des 1. Jahrhunderts n. Chr. eingegrenzt werden kann, einen wichtigen Referenzplatz für die ersten Jahrzehnte römischer Präsenz in Raetien dar. Nach den bereits erschienenen Arbeiten zu den Befunden und der Keramik stellt der hier vorliegende vierte Band, der neben den Kleinfunden, Fundmünzen und Gläsern weitere Beiträge zu kleineren Ausgrabungen der Jahre 2001 und 2008, naturwissenschaftlichen Untersuchungen an Keramik, dendrochronologischen Untersuchungen und geophysikalischer Prospektion versammelt, die abschließende Publikation der Auerberg-Reihe dar.

Der erste Beitrag von Günter Ulbert behandelt die Kleinfunde vom Auerberg in Form eines Katalogs (Kleinfunde der Grabungen 1901–1979, S. 13–140), wobei ausgewählte Funde ausführlich besprochen werden. Zu Beginn steht die 22 Stücke umfassende Fibelserie (S. 13–33), die erwartungsgemäß auch frühe, noch in die Spätlatènezeit reichende Formen, darunter die Knotenfibel Almgren 65 (A1) und zwei Exemplare der verbreiteten Nauheimer Fibeln (A2–3), umfasst. Eine gegossene Variante der Fibeln Nauheimer Art stellt vermutlich ein Halbfabrikat dar, was für eine Herstellung vor Ort sprechen würde. Regelmäßig an frühen Fundplätzen in Raetien vertreten sind die auch auf dem Auerberg gefundenen Fibeln vom Mittellatèneschema, norisch- pannonische Doppelknopffibeln A236b/c, Scharnierflügelfibeln und die mit vier Exemplaren häufigste Gruppe, die Aucissafibeln. Eine gegitterte Variante des letzten Typs ist dagegen der Frauentracht zuzurechnen und findet Parallelen in der Schweiz. Um eine „fast ausschließlich in Raetien verbreitete Gewandspange“ (S. 28) handelt es sich dagegen bei der kräftig profilierten Fibel Cambodunum 1/Almgren 67. Auf die Nordwestschweiz verweisen die mit drei Exemplaren ebenfalls recht häufig belegten Hülsenspiralfibeln. Ein alpines Element macht Ulbert bei der Eisenfibel vom Spätlatèneschema (A6) aus, die sich von den üblichen Vertretern dieses Typs durch eine hörnchenartige Erweiterung am Nadelhalter auszeichnet. Hier deutet sich eine „südlich-alpine Verbindung […] wie bei A1–3“ an (S. 22). Ebenfalls möglicherweise alpiner Herkunft ist eine große, schwere Variante einer geschweiften Fibel. Zwei Exemplare, die geschweifte Fibel A5, die „im gesamten Alpen- und Voralpenland in römischem Fundzusammenhang bislang singulär“ (S. 19) ist und eine frühe Augenfibel Almgren 45/45b deuten in den germanischen Raum. Dies bestätigt den sich in neueren Arbeiten für das Raetien der Okkupationszeit besonders an Militärplätzen immer deutlicher abzeichnenden „Schleier“ an germanischen Funden, der auf dem Auerberg auch eine Entsprechung in sowohl importierter als auch vor Ort hergestellter Ware „germanischer Form und Technik“ (S. 27) findet. Unter den zwölf Fragmenten von Bronzegefäßen finden sich zum einen Bruchstücke der zur „Standardausrüstung … in frührömischen Militär- und Zivilsiedlungen“ (S. 33) gehörenden Schwanenkopfkasserollen, eines Bronzebeckens, eines Simpulums sowie verschiedene Gefäßfüßchen. Ein durchbrochener Griff eines Siebes (?) verweist auf eine Herkunft des Gefäßes aus der Schweiz (S. 48). Detailliert behandelt werden die beiden tierförmigen Attaschen B5–6. Trotz der Sammlung aller Belege dieses Typs, von denen viele aus gesicherten Fundkontexten der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts stammen, konnte die Frage, welches Tier dargestellt ist, nicht abschließend beantwortet werden, wobei Ulbert für den Typ 2 vom Auerberg die Deutung als Hund vorschlägt (S. 38). Die Zusammenstellung aller Funde von Deckelgriffen von Bronzekrügen Typ Pompeji (B7) zeigt, dass diese Form relativ häufig im Fundmaterial römischer Plätze vertreten ist. Die vorgeschlagene Deutung als im Laufe der Zeit missverstandene und reduzierte Darstellung ursprünglicher Greifenprotome mag auch Auswirkungen auf die Interpretation der Funktion bis hin zur Benutzung im kultischen Bereich gehabt haben (S. 41. 46).

Von den militärischen Ausrüstungsgegenständen (S. 51–90) erfahren die beiden Dolche C1 und C2 eine ausführliche Behandlung. Insgesamt fanden sich auf dem Auerberg vier vollständige Dolche und eine Dolchspitze – eine im Vergleich zur Gesamtmenge der Militaria (Teile des Cingulums, Schnallen vom Schienenpanzer, Pferdegeschirranhänger, Geschossbolzen, Pilum-, Speer- und Pfeilspitzen sowie Schleuderbleie) und den Funden anderer Plätze ungewöhnliche Konzentration dieser aufwendig verzierten Waffengattung. Bisher singulär war die Befundsituation des pugio C1, der komplett mit zugehörigem cingulum umwickelt im Wasserbecken gefunden wurde (S. 55), doch konnten durch die Untersuchung der Originalberichte von Ch. Frank aus dem Jahre 1901 nun auch weitere gut erhaltene Beschläge sicher dem Dolch C2 zugewiesen werden, so dass vom Auerberg nun zwei vollständige Garnituren vorliegen (S. 72–76). Der Fundzusammenhang und die gute Erhaltung geben den Stücken eine besondere Bedeutung für die Erforschung frühkaiserzeitlicher Dolche: „Die Originallage der Bronzebeschläge einschließlich der Gürtelschnalle erlauben beim Dolch C1 eine sichere Rekonstruktion der Umwicklung und Funktion sowie des Ledergurtes: ein bislang singulärer Fall in der Erforschung früh[römischer] Dolche.“[1] (S. 76). Das Röntgen der Objekte brachte weitere Details der Nielloverzierungen, teilweise wohl auch Spuren von ehemaligen, möglicherweise roten Emaileinlagen, zum Vorschein. Der Verzierung und Herstellungstechnik nach weist Ulbert die Dolche „der gleichen Kunstlandschaft, nämlich Oberitalien zu“ wie den bekannten Dolch von Oberammergau. Für die Signatur des C. Antonius auf der Parierstange, schlägt er – da „noch etwas Platz für zwei bis drei eventuell ligierte Buchstaben vorhanden ist“ (S. 60) – eine Ergänzung um AQV für Aquileia als Herstellungsort vor. Der Nachweis römischer Legionen der Okkupationszeit durch die Funde des Brandopferplatzes vom Döttenbichl lassen damit den Fundort Oberammergau nicht mehr isoliert erscheinen (S. 61). Da es sich bei allen vier Dolchen vom Auerberg um Gewässerfunde handelt, deutet der Bearbeiter sie als Weihefunde (S. 76), wobei eine nähere Erklärung der Gründe und Umstände für eine Weihung leider ausbleibt.

Sehr interessant sind die Schätzungen zum Herstellungsaufwand durch die Rekonstruktion eines Teils einer solchen tauschierten Dolchscheide. Ohne die Zeit für die Herstellung der Drähte rechnet der ausführende Goldschmied mit einer Arbeitszeit von 26–28 Tagen (S. 62). Interessant wäre noch eine Kalkulation der Kosten gewesen, denn es dürfte sich um entsprechend teure Waffen und somit um Statussymbole gehandelt haben.

Ringsteine und Gemmen (S. 91–103) liefern zu einem guten Teil Darstellungen aus der römischen Mythologie; die bisher erste in Raetien gefundene sog. Adoptionsgemme weist auf einen Bezug zum Kaiserhaus. Obwohl die Serie zu klein sei, „um aus dem Bildprogramm Rückschlüsse auf die Zusammensetzung […] der dort lebenden Siedlergemeinschaft zu ziehen“ (S. 101), müssen sie doch mit den ersten Zivil- und Militärpersonen, die auf dem Berg lebten, hierher gelangt sein.

Der erste Beitrag schließt mit dem Katalog „Alltagsgerät aus Metall, Bein, Korb, Ton, Bernstein und Stein“ (S. 127–133).

Den Kleinfunden folgt die detaillierte Analyse der im Gegensatz zu den seinerzeit in FMRD aufgelisteten 20 Münzen durch die neuen Ausgrabungen nunmehr auf 244 Stücke angewachsene Fundmünzenreihe des Auerbergs (Bernward Ziegaus, Die Fundmünzen vom Auerberg, S. 145–260). Nach wie vor fehlen von numismatischer Seite jegliche Hinweise auf eine irgendwie geartete spätkeltische Besiedlung: die Reihe besteht aus 15 republikanischen Münzen, 5 Prägungen aus der Übergangszeit, 130 augusteischen, 13 tiberischen und der bei der Ausgrabung 2001 gefunden Schlussmünze, einem As des Claudius. Damit bietet die Münzreihe eine gute Materialbasis und einen Querschnitt zum Geldumlauf in der frühen Kaiserzeit im Alpenvorland. Lediglich der aufgrund der Übersäuerung des Bodens ausgesprochen schlechte Erhaltungszustand der Münzen, von dem die Farbabbildungen S. 205–219 einen Eindruck geben und der zur Folge hat, dass immerhin 78 Münzen (35,6 %) nur grob zwischen der Regierungszeit des Augustus und etwa der Mitte des 1. Jahrhunderts datiert werden können, schränkt dies ein.

Das Verhältnis von Silber zu Bronze hat sich aufgrund mehrerer Sondengängerfunde auf den für frührömische Siedlungen eher ungewöhnlichen Wert von 1:9 verschoben, liegt aber bei den Münzen aus den Ausgrabungen vom Westplateau mit 1:15 im normalen Bereich.

Die meisten Silbermünzen stammen noch aus republikanischer Zeit, die jüngsten fünf wurden unter Tiberius geprägt und gehören alle zum selben Typ. Dagegen finden sich unter den Bronzemünzen kaum republikanische Prägungen; bei den kaiserzeitlichen führen mit großem Abstand die Bronzeserien des Augustus die Münzreihe an, wobei „ein deutliches Übergewicht der Lugdunum-Münzen zugunsten der Nemausus-Serien und den Münzmeister-Prägungen festzustellen“ ist (S. 153). Dementsprechend kommt diesen Serien bei der Auswertung besondere Bedeutung zu. Der Vergleich mit zeitgleichen Fundplätzen führt allerdings zu dem erst einmal überraschenden Ergebnis, dass es „kaum Übereinstimmungen bei den prozentualen Anteilen der augusteischen Typen und Serien, die man eigentliche für zeitgleiche Gründungen erwarten würde“ (S. 156) gibt. Zu folgern ist, dass diese unterschiedlichen Mengen der Serien wie teilweise auch der Anteil republikanischer Asse und der Divus Augustus Pater-Serien des Tiberius wesentlich von der Lage des Ortes, der dort ansässigen Personen und ihrer Herkunft und der Belieferung mit frischem Münzgeld abhängig sind (S. 154. 156). Im Falle des Auerbergs dürfe seine Lage abseits der großen Fernstraßen für den fehlenden Nachschub neu geprägter Münzen wesentlich verantwortlich sein.

Da ein großer Teil der Fundmünzen keine Lesefunde sind, sondern aus Ausgrabungen stammen – allein die Flächen auf dem Westplateau erbrachten 65 % aller Münzen – legt der Bearbeiter einen Schwerpunkt auf die Auswertung der Münzen im archäologischen Kontext. Die „Analyse der Münzen vom Auerberg nach Grabungarealen und ihre Kartierung erlaubt den Hinweis auf ihre Benutzung, Verbergung oder den Verlust in Verbindung mit ihrem speziellen Auffindungsort und der Befundlage“ (S. 158). Dieser noch immer relativ neue Ansatz der Auswertung macht einen wesentlichen Wert dieses Beitrags aus. Die Kartierung (Beilagen 2 und 3) zeigt dabei unterschiedliche Fundkonzentrationen sowohl in Bezug auf die einzelnen Grabungsflächen als auch z. B. innerhalb der Hausbefunde auf. So stammen z. B. auf dem Westplateau 81 Münzen aus Areal I gegenüber 46 aus Areal II und nur sieben Münzen aus Areal III. Insgesamt konzentrieren sich die Fundmünzen im Bereich der Streifenhausbebauung mit den Wohnquartieren und der Straße, während diejenigen Bereiche, die vorwiegend als Werkstätten und Lagerräume interpretiert werden, nur sehr wenige Fundmünzen erbrachten, wie im Fall des Areals III auf dem West plateau oder dem Ostplateau, von dem nur insgesamt 18 Münzen stammen (S. 171–173). Häufig fehlen tiberische Prägungen, d. h. für alltägliche Geschäfte wurden weiterhin die augusteischen Bronzen verwendet. Von besonderem Wert für diesen Aspekt der Interpretation sind gerade auch die einzeln aufgelisteten und besprochenen Befunde, in denen diese Münzen mit teilweise spättiberischer Keramik vergesellschaftet waren (vgl. Liste 1 S. 250–252).

Im Falle der Kanalgrabung des Jahres 2008 lassen die immerhin 13 Fundmünzen „selbst in diesem steilen Gelände auf eine intensivere Besiedlung schließen, als man dies bisher vermutete“ (S. 179). Die jüngste Münze, ein As des Claudius, stammt aus der Ausgrabung 2001 in der Erosionsrinne, die gleichzeitig den Nachweis für die frühesten Rodungsarbeiten am Auerberg erbrachte. Es handelt sich um einen verlagerten Fund, der Wert als Schlussmünze sollte nach Ziegaus jedoch nicht überschätzt werden, da sich unter den zahlreichen unbestimmten Bronzemünzen weitere Prägungen des Caius oder Claudius verbergen könnten (S. 179).

Das Westplateau lieferte auch drei kleine Barschaften von denen „Barschaft I […]der wichtigste numismatische Befund aus der ältesten Besiedlungsphase des Auerbergs (stammt) und zwar nicht zuletzt wegen der vielen gegengestempelten Stücke […], die in dieser Anzahl nur in Verbindung mit der Anwesenheit von augusteischen Soldaten in der Zeit frühestens nach 9 n. Chr. und bis Mitte des 2. Jahrzehnts vorstellbar ist“ (S. 166). Insgesamt liegen vom Auerberg 14 Münzen mit 15 Gegenstempeln vor. Gefunden wurden sie ausnahmslos auf dem Westplateau und die Gegenstempel wurden mit Ausnahme zweier Münzmeisterprägungen alle auf Lugdunum-Assen „mehrheitlich in mittel- bis spätaugusteischer Zeit angebracht“ (S. 181 f. mit Tab. 7). Der Vergleich mit anderen frühkaiserzeitlichen Fundorten zeigt, dass das Spektrum der Gegenstempel mehr Gemeinsamkeiten mit Vindonissa als mit dem deutlich näher gelegenen Augsburg-Oberhausen aufweist (S. 186–189). Allerdings konnten enge Beziehungen zum Legionsstandort Vindonissa bereits von Ch. Flügel in seiner Bearbeitung der Keramik vom Auerberg nachgewiesen werden. Da „Vindonissa trotz einer Entfernung von rund 200 km der nächstgelegene Ort zum Auerberg war, an dem nachweislich eine Legion stand, führt dies zu der Frage, ob zusammen mit abkommandierten Soldaten auf diesem Weg auch das erste Geld auf den Auerberg gelangt ist“ (S. 189). Mit der Stationierung dieser Soldaten kam das erste Münzgeld auf den Auerberg und obwohl es wahrscheinlich ist, dass diese aus Vindonissa abkommandiert wurden, möchte Ziegaus eine Herkunft aus Augsburg-Oberhausen dennoch nicht völlig ausschließen (S. 204).

Abschließend werden halbierte und durchlochte Münzen betrachtet und mit entsprechenden Stücken aus den zeitgleichen raetischen Gründungen Bregenz, Epfach, Augsburg-Oberhausen, Friedberg-Rederzhausen, Kempten und Dietringen verglichen. Der vergleichsweise hohe Anteil zerteilter Bronzen auf dem Auerberg bestätigt das bereits in den vorangegangenen Teilen der Auswertung herausgearbeitete Ergebnis, dass die Siedler nach ihrer Ankunft nur unzureichend mit frischem Kleingeld versorgt wurden. Da auch der Zustrom tiberischer Prägungen gering blieb, scheint dieses Problem dauerhaft bestanden zu haben. „Nur durch einen Austausch von auf dem Berg stationierten Militärkontingenten oder durch Händler, die frisches Wechselgeld mitbrachten, war ein Geldzufluss und Abfluss überhaupt möglich“ (S. 197).

Mit mehr als 370 Katalognummern liefern die S. 260–351 eingehend analysierten Gläser vom Auerberg „eine für Süddeutschland vergleichsweise große Anzahl an fest datierten frühen römischen Glasfunden“ (S. 261) (Andrea Rottloff, Die Gläser vom Auerberg, S. 260–351).

Weitestgehend deckt sich das Fundspektrum vom Auerberg „mit de[m] vergleichbarer Siedlungen in Oberitalien und den Nordwestprovinzen“ (S. 296). Neben dem in der Frühzeit üblichen Buntglas und verbreiteten Formen wie Rippenschalen, freigeblasenen Gläsern, Krügen und Balsamarien, erbrachte der Auerberg darüber hinaus einige für diese Region bisher kaum nachgewiesene Typen, so das Fragment einer Enniontasse oder Rippenschalen auf hohem Fuß, die bisher nur aus Italien und Südfrankreich bekannt waren, womit neben der Terra Sigillata, der Feinkeramik und den Amphoren auch die Gläser die weitreichenden Fernhandelskontakte der Auerbergsiedlung belegen. Die eigentlich erst ab flavischer Zeit vermehrt auftretenden Vierkantkrüge sind mit immerhin drei Bruchstücken nachgewiesen; seltenes „pfauenblaues“ und „schwarzes“ Glas ist ebenfalls in einzelnen Fragmenten überliefert. Von besonderer Bedeutung ist weiterhin ein Paar beinahe identisch geschliffener Skyphoi, die zusammen mit einer zwiebelförmigen Flasche Is16 aus identischer Glasmasse ein Trinkgeschirr bildeten (S. 276. 285). Über Vergleichsfunde aus Sheepen, Kempten und vom Magdalensberg konnte darüber hinaus mit „den steilwandigen, naturfarbenen Schalen mit beidseitigen Polierspuren“ ein neuer Typ definiert werden (S. 273–275). Interessanterweise liefern die Glasfunde mit dem Fragment einer Kanne Is88 aus dem 2. bis frühen 3. Jahrhundert und einer spätrömischen Polyederperle Hinweise, dass der bereits in den 40er Jahren des 1. Jahrhunderts aufgegeben Siedlungsplatz auch in späterer Zeit sporadisch begangen wurde (S. 284. 293).

Trotz der Vielfalt der gefundenen Gläser lieferte der Platz bisher keinen eindeutigen Beleg für Glasproduktion vor Ort. Der Fundort verschiedener Rohglasbarren lässt sich nicht zweifelsfrei verifizieren (S. 295 f. mit Abb. 7), ein möglicherweise durch „sekundäres, grobes Abknipsen der Wandung zu einem Untersetzer oder Deckelchen“ umgearbeiteter (S. 282) Gefäßboden stellt nur einen sehr vagen Hinweis dar und „echte Belege […] wie  Öfen, Abschläge und Schmelzabfälle oder auch Tiegelreste“ fehlen bisher (S. 297).

Den umfangreichen Fundgruppen der Kleinfunde, Fundmünzen und Gläser schließt sich im Folgenden eine Reihe kürzerer Beiträge zu verschiedenen Themen an. So hat sich Karlheinz Dietz erneut des bereits 1901 gefundenen Bleietiketts angenommen (Revision des Bleiplättchens vom Auerberg, S. 353–365) und konnte eine im Vergleich zu den älteren Vorschlägen unterschiedene und erweiterte Lesung des mehrfach beschriebene Warenetiketts liefern. Obwohl die Ritzinschrift aufgrund der Bleierhaltung nicht zweifelsfrei deutbar ist, scheint es sich um ein Warenschild, das „auch im Zusammenhang mit der Textilverarbeitung“ benutzt (S. 360) wurde, zu handeln – eine in Raetien im Vergleich zur Nachbarprovinz eher seltene Fundgattung und damit ein umso interessanteres Stück.

Die beiden einzigen latènezeitlichen Funde vom Auerberg (Rupert Gebhard, Latènezeitliche Funde vom Auerberg, S. 367–371) – wobei es sich in einem Fall um einen Sondengängerfund handelt – stammen beide aus Perioden vor der spätkeltischen Oppidazeit in Südbayern und fallen damit ebenfalls als möglicher Nachweis einer vorrömischen Besiedlung des Platzes bzw. eines Nachweises einheimischer Bevölkerung zur Okkupationszeit aus.

Chemische Analysen an italischer Terra Sigillata aus Kempten dienten als Referenzdaten für Untersuchungen an entsprechender Keramik vom Auerberg (Maike Sieler, Bemerkungen zur Provenienz der italischen Sigillata vom Auerberg. Mit einem Beitrag von Gerwulf Schneider, S. 373–382). Für mehrere optisch zuvor Südgallien bzw. Oberitalien zugewiesene Stücke steht nun eine Herkunft aus Mittelitalien fest. In ihrer Gesamtheit entsprechen die Importe früher Sigillaten zeitgleichen Fundorten in Raetien wie Kempten, Augsburg und Chur (mit Ausnahme von Bregenz), die alle „in frühtiberischer Zeit bis ca. 20 n. Chr. vornehmlich aus Mittelitalien versorgt [werden], während padanische ebenso wie südgallische Betriebe nur einen kleinen Produktionsanteil der Importe liefern“ (S. 380).

Der Beitrag von Christof Flügel (Fleischkonserven für Raetien. Archäometrische Untersuchungen an Schwarzen Auerbergtöpfen mit Marmormagerung, S. 383–392) stellt eine Zusammenfassung seiner zahlreichen früheren Aufsätze zu naturwissenschaftlichen Untersuchungen an Auerbergtöpfen, vorwiegend schwarzen Auerbergtöpfen der Technik 1, dar. Inzwischen wurden „etwa 400 Proben aus dem gesamten Verbreitungsgebiet“ (S. 384) mittels Dünnschliffen, Neutronenaktivierungsanalyse, Mößbauerspektroskopie und Isotopenanalyse untersucht. Es zeichneten sich drei verschiedene Gruppen, aber mit einheitlicher Herstellungstechnik ab. Die schwarzen Auerbergtöpfe selbst wurden jedoch nicht am namengebenden Fundort hergestellt, wie die Einschlüsse von „Marmorsplitt, der nach den Isotopenuntersuchungen aus Sterzin/Südtirol oder Gummern/Kärnten stammt“ (S. 386) zeigen. Die sich fettig anfühlende Oberfläche ist auf Hammelfett zurückzuführen; es handelte sich bei den schwarzen Auerbergtöpfen somit um „Transportcontainer für Fleischkonserven“ (S. 390). Als Herstellungsort nimmt Flügel das Territorium von Aguntum südlich des Alpenhauptkammes an, obwohl sichere Nachweise entsprechender Töpfereien bisher fehlen (S. 388). Die in Raetien zahlreich verbreiteten „Derivate“, die auch auf dem Auerberg selbst hergestellt wurden, sind dagegen „nach Rußspuren auf der Außenseite und am Boden der Gefäße eindeutig als Kochgeschirr anzusprechen“ (S. 386).

Von entscheidender Bedeutung für die Anfangsdatierung des Platzes ist eine im Jahre 2001 in einer Erosionsrinne am Hang des Auerbergs durchgeführte, zweiwöchige Ausgrabung durch Stefan Biermeier (Die Grabung des Jahres 2001 am Osthang des Auerbergs, S. 393–420). Die insgesamt vier Schnitte gaben einen völlig neuartigen Befund frei, nämlich die Überreste von Rodungsarbeiten aus der Zeit der Erstbesiedlung des Auerbergs. Die zahlreichen Hölzer, von denen 347 Stücke dendrochronologisch untersucht werden konnten (Franz Herzig, Caught in the Act – Rodungen auf dem Auerberg und der Beginn des römischen Raetien. Die Holzfunde der Grabung des Jahres 2001, S. 449–463), weisen mehrheitlich Fälldaten des Winterhalbjahres 12/13 n. Chr. auf. Bei einigen Weißtannenspänen mit Waldkante, an denen bereits etwas Frühholz ausgebildet war, konnte der Zeitpunkt der Baumfällarbeiten sogar auf Mai 13 n. Chr. eingegrenzt werden. Diese Hölzer datieren somit noch etwas früher als das bisherige früheste Dendrodatum des Auerbergs, das 14 n. Chr. gebaute Wasserbecken, und belegen zudem im Zusammenhang mit dem Befund der Ausgrabung die ersten Arbeiten im Vorfeld der Bebauung des Geländes.

Bei der Keramik aus dieser Ausgrabung handelt es sich um größten Teil um bereits vom Auerberg belegte Waren und Typen (Verena Hasenbach, Die Keramikfunde der Grabung des Jahres 2001 am Osthang des Auerbergs, S. 421–447). Mit 80 % machten Amphoren den größten Teil der Gefäßkeramik aus. Obwohl kaum Rand-, Fuß- oder Henkelscherben erhalten waren, ließen sich dennoch Aussagen zur Herkunft der Stücke machen. „So sind die südspanischen Fischsaucenamphoren am weitaus häufigsten, gefolgt von den adriatisch-istrischen Wein- bzw. Ölamphoren“ (S. 436); weitere Amphoren stammen aus der Region des Guadalquivir, dem Rhônetal und dem östlichen Mittelmeerraum, wenige Stücke aus Marseille und Nordafrika. Obwohl die meisten der ca. 400 Gefäßfragmente Formen entsprechen, die bereits vom Auerberg bekannt sind, wird „das kleine Keramikensemble […] der Grabung des Jahres 2001 am Osthang des Auerberges […] nicht als repräsentativ für die römische Siedlungstätigkeit am Auerberg“ gewertet (S. 436).

Während einer weiteren Ausgrabung im Jahr 2008 konnte Stefan Mühlemeier (Die Ausgrabung auf dem Auerberg im Jahr 2008, S. 465–469) in einem 110 m langen, schmalen Suchschnitt, der dem Verlauf einer früher verlegten Wasserleitung folgte, trotz des gerin gen Flächenausschnittes Gräbchen und Pfosten mindestens eines Holzgebäudes nachweisen. Vor der Bebauung hatte man am Südhang des Kirchbergs großräumige Terrassierungen unternommen. Weitere Gräbchen unterhalb des Schlossbergs könnten als Abzugsgräbchen zu deuten sein.

Anschließend werden die Ergebnisse bodenkundlicher Untersuchungen mehrere Profilschnitte, die zwischen 1969 und 1979 während der archäologischen Ausgrabungen, angelegt wurden, vorgestellt (Hermann Jerz, Bodenkundliche Untersuchungen am Auerberg, S. 471– 476). Forschungsgeschichtlich interessant ist der Beitrag zur geophysikalischen Prospektion von Jörg W. Faßbinder/Roland Linck (Vier Jahrzehnte geophysikalische Prospektion: Die Entwicklung des bayerischen Magnetometersystems und Testmessungen auf dem Auerberg, S. 477–485), die die Entwicklung der Magnetometerprospektion anhand der Messungen auf dem Auerberg, welcher im Jahre 1976 als Testgelände für die noch in der Entwicklung befindliche Methode diente, nachzeichnen.

Abschließend unternimmt C. Sebastian Sommer den Versuch, unter Zusammenführung aller bisherigen Forschungsergebnisse, ein Gesamtbild des Auerbergs und der Stellung des Platzes im historischen Zusammenhang zu zeichnen (Hat der Auerberg sein Geheimnis gelüftet? Überlegungen zur Funktion des Auerbergs in [der Provinz] Raetien, S. 487–526). In Anbetracht der teilweise recht spekulativen Gedankengänge warnt der Autor selbst zu Beginn, dass „mancher Gedanke […] dabei überspitzt vorgetragen sein“ (S. 489) mag.

Mit seiner besonders im Bereich des Kirchbergs dichten Bebauung und einer geschätzten Einwohnerschaft von ca. 1000 Personen (S. 496), könne man vom Auerberg als von einer „städtischen oder zumindest stadtartigen Siedlung“ (S. 495 mit Anm. 34) sprechen. Da der Auerberg gleichzeitig abseits der großen Fernstraßen liegt, schließe dies eine primäre Gründung als Handelsort – vergleichbar dem Magdalensberg in Kärnten – aus (S. 507). Aufgrund der zahlreichen nachgewiesenen Handwerke sei von einer weitgehenden Autarkie des Auerbergs auszugehen, obwohl gleichzeitig gewisse Keramikgattungen „weitreichende Fernbeziehungen“ anzeigen (S. 497). Stattdessen schließt sich Sommer der Deutung Ulberts und Zaniers an, die die Anlage als „Entwurf aus militärischen Umfeld“ (S. 499) ansehen. Für die „in militärisch-römischer Manier“ (S. 491) erbauten Wallanlagen geht Sommer von einer Errichtung durch Veteranen aus, welche aus den Reihen der nach dem Tode des Augustus meuternden Rheinlegionen stammen sollen (S. 500. 514). Auch für die spätere Zeit sei von einer allerdings nur temporären Anwesenheit von Soldaten auszugehen, wofür aufgrund der durch Keramik und Münzen bezeugten Beziehungen zu Vindonissa auch ein Detachement von diesem Legionsstandort möglich sei. Weitere Bewohner der Siedlung könnten Kolonisten aus Italien gewesen sein (S. 500), während Keramik und Fibeln eine gewisse germanische Komponente anzeigen. Das Fehlen einer einheimischen Bevölkerung deckt sich weitgehend mit dem Befund der übrigen Plätze in der Region.

Die natürliche Verteidigungslage stellt den Auerberg in Zusammenhang mit der römischen Besetzung des Voralpenlandes, welches von zentraler Bedeutung für die Kontrolle der Verkehrs- und Handelswege über die Alpen war (S. 504). Obwohl die „eigentliche militärische Sicherung nach Norden […] durch Augsburg“ anzunehmen ist (S. 508), postuliert Sommer den Auerberg als „formellen Hauptort der Provinz Raetien spätestens ab 12/13 n. Chr.“ (S. 513). Erst mit der planmäßigen Räumung der Siedlung und dem etwa zeitgleich einsetzenden Ausbaus Kemptens zu Beginn der Regierungszeit des Claudius, sei dieser verlegt und die Einwohner nach Cambodunum umgezogen (S. 516). Spekulation muss allerdings die geäußerte Vermutung bleiben, die Gründung der Siedlung auf dem Auerberg sei noch von Tiberius veranlasst worden, während er sich, mit einem Gallien, Germanien und Raetien umfassenden imperium proconsulare ausgestattet, nach der Varusniederlage wieder ins Gebiet nördlich der Alpen begeben hatte; nicht nur weil – wie der Autor selbst zugibt – die „Quellenlage für die Zeit des Tiberius in Germanien 9–12 n. Chr. […] bruchstückhaft“ ist (S. 513), sondern auch aufgrund der längst nicht abgeschlossenen Diskussion um den Zeitpunkt der Provinzeinrichtung. Gleiches gilt für den Versuch, Sextus Pedius Lusianus Hirrutus als praefectus Raetis Vindolicis vallis Poeninae et levis armaturae als „für die Anlage des Auerbergs unmittelbar Verantwortliche[n]“ und „ ‘faktischen’ “ ersten Provinzstatthalter mit Sitz auf dem Auerberg auszumachen (S. 514 f.).

Insgesamt stellt die Vorlage der Kleinfunde, Fundmünzen, Gläser und jüngsten Ausgrabungen auf dem Auerberg einen würdigen Abschluss der im Jahre 1994 mit dem ersten Band zu den Befunden an den Wällen begonnenen Reihe dar. Der einzigartige Nachweis von Rodungsarbeiten und die Holzfunde konnten den Zeitpunkt der Besiedlung weiter präzisieren. Die umfangreiche Auswertung der Fundmünzen gerade innerhalb des archäologischen Kontextes liefert wertvolle Einsichten in die Besonderheiten des Geldumlaufes und die Wirtschaftsgeschichte dieses frührömischen Fundplatzes. Darüber hinaus verdichten v. a. die über Analyse der Keramik und Gegenstempel der Münzen erschlossenen Beziehungen nach Vindonissa, die Korrektur der Belieferungsstrukturen früher Terra Sigillata sowie der dünne Schleier germanischer Funde das in den letzten Jahren entstandene Forschungsbild des frühen Raetien. Für laufende und zukünftige Arbeiten zur Okkupation des Alpenvorlandes und den folgenden Jahrzehnten wird die Vorlage der Funde vom Auerberg von großem Wert sein.

[1] Im Text versehentlich „frühromanischer“.