Logo der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Kommission für bayerische Landesgeschichte

Menu

Aktuelle Rezensionen


Harald Lemke

Über das Essen. Philosophische Erkundungen

München 2014, Wilhelm Fink, 203 Seiten
Rezensiert von Andreas Kühne
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 11.09.2018

Der Autor nimmt den Leser in seinem bemerkenswerten Essay mit auf eine spannende Reise durch die Geschichte der Philosophie des Essens, der „Gastrosophie“. Unter der Überschrift „In aller Munde“ geht er von Ludwig Feuerbachs These „Der Mensch ist, was er isst“ aus: „Weil der Mensch ein rein sinnliches, sich ernährendes und sich entleerendes, von täglicher Nachfüllung und lustvoller Sättigung abhängiges Wesen ist, strebt er nach einem erfüllten Leben im wahrsten Sinne des Wortes.“ (17) Harald Lemke geht auf weitere Vordenker der Gastrosophie wie zum Beispiel Friedrich Nietzsche ein, der ein leidenschaftlicher Fleisch- und Wurstesser war und deswegen regelmäßig durch seine Familie mit Proviantpaketen versorgt wurde. Er machte sich zahlreiche Gedanken über das Essen: Da ihm seine Wurstbegeisterung nicht gut bekam und er außerdem ein leidenschaftlicher Tierfreund war, entschloss er sich zu einer fleischlosen Ernährung, die ihm von seinem späteren Freund Richard Wagner wieder ausgeredet wurde, denn Letzterer vertrat die Ansicht (die sich leider bis heute hält): „geistig-produktive Naturen müssen Fleisch haben“ (52).

In dem mit „Einkaufen“ überschriebenen Kapitel begegnet der Leser den antiken Philosophen, denn bereits diese hatten Überlegungen und Ansichten zu Essen und Genuss: Sokrates betonte die Lust und den Genuss am Essen. Denn er war „nicht nur der erste Mensch, der sich als ethischer Philosoph verstand, [sondern auch] der erste gastrosophische Mensch“ (27). Deswegen interessierte er sich für den Einkauf von qualitätvollen Lebensmitteln und diskutierte gerne darüber. Eine ganz andere Auffassung vertrat dagegen Platon: Er und seine Schüler lehnten die Beschäftigung mit dem Essen als unwichtig und eines Denkers nicht würdig ab. Besonders deutlich wird das in Bezug auf Platons Meinung zur Essenszubereitung, die Lemke so charakterisiert: „Essen zu machen sei eine [...] ebenso kunstlose wie geistlose Tätigkeit, die [...] nichts mit wahrem Wissen und Philosophie zu tun habe.“ (62)

Im Kapitel „Kochen“ geht der Autor auf die gastrosophische Kochpraxis am Beispiel des deutschen Sternekochs Michael Hoffmann ein, der sich seit Jahren einem neuen, ganzheitlichen Kochen widmet: Er entwickelt und erforscht ständig neue Zubereitungsmöglichkeiten für die unterschiedlichsten Gemüsesorten, die er auch noch eigenhändig anbaut und sich konsequenterweise deswegen als Koch und Gärtner bezeichnet. „Das entscheidende Kriterium für eine gastrosophische Küche ist mithin die geglückte Vermählung von Ästhetik und Ethik, das sinnlich-sittliche Zusammenspiel von gutem Geschmack und gutem Gewissen.“ (67) Auch die fernöstliche Weisheitslehre ist ein Wegbereiter, denn bereits im 13. Jahrhundert beschäftigte sich der japanische Zen-Meister und Klostergründer Dôgen Kigen mit der Gastrosophie. Er reiste nach China, um sich dort mit Zen-Buddhismus zu beschäftigen; nach Japan zurückgekehrt, schrieb er das Kochbuch „Anweisung für den Küchenmeister“ (82) für die japanischen Zenklöster. Das enthielt keine Rezepte, dafür aber umso mehr Weisheiten. Die Praxis, die Dôgens Gastrosophie lehrt, ist nicht mehr und nicht weniger als das Gute, das wir tun, beispielsweise indem wir kochen. „[Denn] überall, wo sich Esser selbst in die Küche stellen, statt untätig und selbstentsagend das eigene Wohl irgendeiner Form von Fremdverköstigung zu überlassen, und überall, wo Menschen ihrem täglichen Essen einen größeren Wert beimessen als in den internationalen Fastfood-Tischgesellschaften üblich, aktivieren sie die beste Küche aller Küchen.“ (93)

Unter dem Kapitel „Genießen“ wird auf den langsamen Genuss der Slow-Food-Bewegung, die in den 1980er Jahren in Italien entstanden ist, und ihre historischen Vorgänger eingegangen. Bereits Epikur scharte zahlreiche Freunde um sich, um Essen langsam bei guten Gesprächen zu genießen, ein Trend, der immerhin 500 Jahre anhielt, bis er wegen angeblich zu großer Ausschweifungen verboten wurde. Der deutsche Philosoph Immanuel Kant beschäftigte sich ebenfalls mit einer genussvollen Ernährung. Ganz praktisch umgesetzt fanden bei ihm gesellige Tischrunden statt, bei denen das Essen gewürdigt wurde. Seine theoretischen Überlegungen zur Gastrosophie sind jedoch weniger bekannt.

Was das Buch so lesenswert macht, sind die imaginären Dialoge und der leicht ironische Unterton, angereichert durch zahlreiche Anekdoten. Doch das Ganze ist verbunden mit einem Aufklärungsauftrag, ohne dabei moralisierend zu wirken. Es bietet eine sehr kurzweilige Lektüre, da der Autor es versteht, dem Leser sehr unterhaltsam recht komplexe philosophische Gedanken nahezubringen. Die Botschaft dieses sehr empfehlenswerten Buches lautet: Wer beim Einkauf auf qualitätvolle Produkte achtet oder die Lebensmittel am besten noch selbst anbaut, der Zubereitung des möglichst vegetarisch-veganen Essens die nötige Zeit widmet und anschließend das Essen in guter Gesellschaft langsam genießt, wird sich selbst besser fühlen und seiner körperlich-geistigen Gesundheit viel Gutes tun.