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Katharina Löffler

Allgäu reloaded. Wie Regionalkrimis Räume neu erfinden

(Edition Kulturwissenschaft 158), Bielefeld 2017, transcript, 379 Seiten mit 10 Farbabbildungen
Rezensiert von Gabriele Wolf
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 31.07.2018

In ihrer Dissertation im Fach Empirische Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen untersucht Katharina Löffler populäre Regionalkrimis und ihre Raumdarstellungen. Ihr wichtigstes Material sind die Allgäu-Krimis um „Kommissar Kluftinger“ des Autorenduos Volker Klüpfel und Michael Kobr. Seit dem Erscheinen des ersten Bandes „Milchgeld“ im Jahr 2003 ist die Reihe auf zehn Bände (zuletzt 2018) angewachsen. Zahlreiche Auflagen und hohe Verkaufszahlen, teilweise auch Verfilmungen, sind Belege eines großen Publikumserfolgs. Laut Löffler gehören die „Kluftinger“-Krimis zu den erfolgreichsten eines äußerst populären belletristischen Genres, von dem ja tatsächlich kaum eine Region in Deutschland (aber auch anderswo) unberührt ist. Die im Untertitel ihres Buches zugespitzte Ankündigung „Wie Regionalkrimis Räume neu erfinden“ verfolgt Löffler in zwei Hauptperspektiven: „Raum im Buch“ handelt von Elementen und Strategien, mit denen in den belletristischen fiktionalen Krimis das Allgäu als Raum konstruiert und dargestellt wird; „Buch im Raum“ thematisiert die Umsetzung der populärliterarischen Raumdarstellung in unterschiedlichen touristischen Angeboten und Medien und deren Folgen für Wahrnehmungen der Region Allgäu. Aus zwei Richtungen nähert sie sich damit Fragen von semantischen und kognitiven kulturellen Raumkonstruktionen und kann sie mit reichlichem empirischen Material aus ihren text- und medienanalytischen sowie ethnografischen Recherchen differenziert veranschaulichen.

Im Kapitel „Raum im Buch“ stellt Löffler zunächst die Region Allgäu anhand verschiedener Krimis dar, deren Autoren persönlich mal mehr, mal weniger mit der Region verbunden sind und deren Äußerungen zu Orten, Bewohnern und sozialen Verhältnissen für die jeweiligen Krimihandlungen von nachgehbaren Landschaftsbeschreibungen bis zu beliebigen Allgemeinplätzen reichen. Im Allgäu-Krimi konkurrieren demnach „verschiedene literarische Raumnarrative: persiflierende stehen neben touristisch-ästhetisierenden, andere betonen ein Klischee-Korrektiv oder zielen auf die Engführung von Fiktion und außertextlicher Wirklichkeit“ (83). Genauer analysiert Löffler die Strategien der Autoren für die von 2003 bis 2013 erschienenen sieben „Kluftinger“-Krimis und zeigt unter dem Begriff „Wirklichkeitsimporte“ (87), dass die literarischen Handlungsorte zwar auf kulturelle Geschichten oder historische Orte verweisen, aber „fiktionalisierte Orte“ (88) sind. Detailliert geht sie schließlich einzelnen Elementen aus dem Repertoire nach, die das „Allgäu im Krimi“ ausmachen, ausgerichtet auf die Hauptfigur „Kommissar Kluftinger“. Es geht um Speisen („Kässpatzen“ stehen für eine „nur vordergründig [...] homogenisierte und repräsentative Regionalküche“ [93]), Rituale (die „Musikprobe“ als Beispiel des dörflichen Soziallebens u. a.), Sprache (der regionale Dialekt in Abgrenzung zu anderen Sprachen und Dialekten), materielles und immaterielles Kulturerbe (Ruinen, Klöster, Sagen usw.), Orte (tatsächliche Orte dienen der Verortung der Erzählung „an wirklichkeitsadäquaten Institutionen, Gebäuden und Plätzen“ [115]) und Landschaften (die auch Emotionen transportieren). „Wenn Klüpfel und Kobr Kluftinger majestätische Gebirgszüge der Allgäuer Hochalpen passieren und Kässpatzen genießen lassen, festigen auch sie romantisierende Zuschreibungen und streuen vermarktungsfähige Ikonografien einer attraktiven Destination.“ (131) Unter „Dynamik“ und „Reibung“ sind dann heterogene Raumelemente der Krimis dargestellt, die jenseits touristisch-idyllischer Zuschreibungen liegen und Brüche in diesem Bild markieren (Industriebrache, Kaufhaus, Gefängnis usw.), sie sogar – als Meinung „Kommissar Kluftingers“ – satirisch kritisieren können. Die Allgäu-Krimis sind für Löffler damit ein „Speichermedium [...] multipler alltäglicher, kultureller, historischer Wissensbestände einer Region, ihrer Herstellung und Erweiterung“ (146). Die Krimihandlung selbst scheint im Fall der „Kluftinger“-Bände nachrangig, es gilt „Spaßfaktor vor Nervenkitzel“ (147). Die Bücher sind Löffler zufolge Bestseller, weil die Autoren sowohl „Markenqualität und Popularität“ (148) des Allgäus referieren als auch die „populäre Allgäu-Semantik“ aufbrechen und „Region in ihrer Heterogenität“ (152) schildern. „Der Boom der Regionalkrimis liegt nicht an Darstellungen arkadischer Landschaften, die kompensationskompatibel auf spätmoderne, enttraditionalisierte Alltage wirken. Das zeitgeistige Pfund der Regionalkrimis ist vielmehr ihr situatives Identifikationspotential für den Einzelnen. Sie halten in der Fiktion Wiedererkennungsmöglichkeiten des Erlebten oder Erlebbaren einem globalisierten Allerweltskulturkonglomerat entgegen.“ (162) Mit der Möglichkeit, die Krimis als „Reiseführer“ im Sinne eines „Literaturtourismus“ (164) zu nutzen, leitet Löffler zu ihrem zweiten Hauptkapitel über.

In „Buch im Raum“ fragt sie nach der Rolle und Bedeutung, die die Krimi-Erzählungen in der touristischen Vermarktung der Region gewonnen haben. Ein kurzer historischer Exkurs erläutert den Wandel der wirtschaftlichen Struktur des Allgäus seit dem 19. Jahrhundert und den Stellenwert des Tourismus als Wirtschaftsfaktor heute. Die „mediale Transformation“ der populären Kriminalromane in touristische Angebote wird sowohl von lokalen Veranstaltern als auch der Allgäu GmbH als zentraler Agentur für Regional- und Wirtschaftsstandortmarketing vorangetrieben. Löffler hat mit diesen Akteuren ausführliche Interviews geführt und ihre „Produkte“ untersucht. Schwerpunkt hierbei sind Krimi-Führungen als „konsumierbare Events“ (182), die an „originalen“ Schauplätzen der Romane stattfinden und sich auf literarische Szenen, Ereignisse oder Figuren beziehen. Katharina Löffler war bei sieben unterschiedlichen Angeboten mit „auf Tour“ und untersucht sie mit Methoden der teilnehmenden Beobachtung. Ihre Darstellung speist sich aus dem Verhältnis von Literatur und vorfindbarem Raum und folgt jeweils drei Etappen. Unter „Start“ stellt sie den „realen“ Ort vor, der im literarischen Schauplatz mit eingefangen ist (z. B. Altusried als den Heimatort „Kluftingers“; Orte als Schauplätze der Morde usw.). Unter „Design“ analysiert Löffler detailreich, was bei den Führungen wie und mit welchen literarischen Motiven verwoben besucht und gezeigt wird. Unter „Effekte“ schließlich fragt sie nach Auswirkungen des Krimi-Angebots auf den „realen“ Ort, meist scheinen sie eher marginal zu sein. Löfflers Hauptinteresse gilt den Raumkonzepten und sie konstatiert: „Die Führungen präsentieren mehrheitlich stabile und monolithische Raumeinheiten. Allgäu ist dort komplexitätsreduziert und ein thematisch jeweils eindeutig festgelegtes Konstrukt“ (249 f.), das sich nicht um Nuancierungen und Differenzierungen der Raumdarstellung in den Romanen kümmert. Der „Raumkreateur Fremdenverkehr modelliert Destinationen nach seinen eigenen Interessen“ (254). Löffler beobachtete und befragte auch die anderen Führungs-Teilnehmer*innen. Diese sehen die Veranstaltungen als Urlaubs- oder Freizeitunterhaltung an, reagieren locker und kreativ. Ein Beispiel liefern Löffler zwei Freundinnen, die sich nicht für die Krimis interessieren und sich dennoch an der Themen-Stadtführung beteiligen, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Nach Löffler „unterlaufen [sie] den kluftingerisierten Stadtraum im metaphorischen und buchstäblichen Sinn und gravieren ihm autonom semiotische Spuren ein“ (266). Löfflers Interpretation scheint hier jedoch von der im Widerspruch zu ihren Befunden stehenden Annahme auszugehen, man müsste die angebotenen Konzepte unbedingt ernst nehmen.

Ergebnis ist ein „Allgäu im Plural“. Für eine Region, die als touristische Destination gut bekannt ist, erweitert sich durch die Romannarrative der „Kluftinger“-Krimis der „Pool an regionalen Polysemien“ (322). „Allgäu reloaded“ soll heißen, eine neue Geschichte ist zu den bereits bestehenden hinzugekommen. Die Autoren Klüpfel und Kobr fiktionalisieren in ihren Romanen Elemente der „Region Allgäu“ und die hier verarbeiteten Räume werden wiederum in eigene touristische Konzepte umgesetzt und vermarktet. Wirklich neu erfinden weder Regionalkrimis noch Tourismusindustrie die Räume, neu sind die Kombinationen. Diese zirkulierenden Transformationen sind in Katharina Löfflers Buch detailreich und vielstimmig – mit Interviewzitaten im Dialekt – präsentiert und vielfach mit hohem theoretischen Aufwand analysiert. Die wenigen Zitate hier verweisen auf Sprache und Schreibstil der Autorin. Einfallsreiche Wortschöpfungen und mitunter stark abstrahierende Formulierungen überhöhen und wiederholen variantenreich bisweilen aber auch eher schlichte Sachergebnisse oder Zusammenhänge.