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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Julian Traut

Ein Leben für die Kultur. Reinhard Raffalt (1923-1976) zwischen Bayern, Deutschland und Italien

Regensburg 2018, Friedrich Pustet, 304 Seiten, 27 Abbildungen
Rezensiert von Egon Johannes Greipl
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 19.07.2018

„Wer war also dieser Mann, der in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland, Bayern und auch Italien einen so klingenden Namen hatte, heute jedoch fast vergessen ist?“ Diese Frage stellt Julian Traut seiner Dissertation voran. Es geht in erster Linie um das Leben, das Schaffen und die Wirkung von Reinhard Raffalt, den aus Passau stammenden Deutschrömer, Musiker und Musikwissenschaftler, erfolgreichen Autor, Hörfunk- und Fernsehjournalisten, zeitweisen Kulturbotschafter der Bundesrepublik Deutschland und des Freistaats Bayern auf drei Kontinenten. Warum Raffalt, der vor 50 Jahren noch eine Person des öffentlichen Lebens in der alten Bundesrepublik war, heute vergessen ist: Dieser Teil der Frage führt tief hinein in die Ursachen für die Kultur-, Identitäts- und Kontinuitätsbrüche im westdeutschen Bürgertum, die um 1960 einsetzten und an Intensität die Brüche von 1918, 1933 und 1945 weit übertreffen sollten. Nicht nur deshalb ist Trauts Arbeit mehr als eine Biographie. Sie sie ist auch ein wesentlicher Beitrag zur Geschichte und zu den kulturellen Ambitionen des Bayerischen Rundfunks, zur Geschichte des kulturellen Elements in der bundesdeutschen Außenpolitik und nicht zuletzt ein Beitrag zur Entwicklung des Föderalismus in der alten Bundesrepublik.

Traut gliedert seine Darstellung in vier Abschnitte: Im Abschnitt A behandelt er den Stand der Forschung und - etwas umständlich - die Fragen der Methodik, sowie die Quellenlage und die Fragestellung, im Teil C sind die Ergebnisse knapp zusammengefasst. Der höchst wertvolle Anhang D enthält neben dem Quellen- und Literaturverzeichnis vor allem ein Verzeichnis der von Raffalt für den BR geschaffenen Hörfunk- und Fernsehsendungen, eine Publikationsliste, und eine Edition von Raffalt-Texten, die einen Schlüssel zum Kultur- und Weltverständnis ihres Autors darstellen.

Die einleitende, eher knappe biographische Skizze untersucht Fragen nach Raffalts Sozialisation in der Jugend und nach seinem Weltbild. Hier kommen auch seine Mitgliedschaft in der HJ und der NSDAP, sein Wehrdienst, seine musikalischen Aktivitäten und seine frühe journalistische Tätigkeit zur Sprache. Mit dem BR-Journalisten Alois Fink, dem Kulturdiplomaten Dieter Sattler, dem Politiker Franz Josef Strauß, dem Vatikanprälaten Bruno Wüstenberg und der Industriellengattin Gabriele Henkel möchte Traut zentrale Knotenpunkte im Netzwerk Raffalts identifizieren. Hier hätte man weiter ausgreifen und beispielsweise auch den einflussreichen Verleger Hans Kapfinger oder den „Medienmogul“ Leo Kirch nennen können.

Gründlich fällt die Analyse des publizistischen Schaffens aus, zutreffend ist auch die Schlussfolgerung, dass Raffalts Werk, insbesondere auch die erfolgreichen Rom-Bücher damals voll dem Zeitgeist und den Erwartungen des Bildungsbürgertums entsprachen. Nur der Sprachkurs „Eine Reise nach Neapel…e parlare italiano“ (16. Auflage, 2006) ist noch im Handel. Raffalts seinerzeit bemerkenswert erfolgreiches Konklave-Theaterstück „Der Nachfolger“ (1962) und der Flop „Das Gold von Bayern“ (1966), eine rustikale Komödie, werden heute nicht mehr aufgeführt.

Lohnend wäre es gewesen, der Frage nachzugehen, warum Raffalts Rom praktisch nur aus der Stadt innerhalb der aurelianischen Mauern bestand und die Geschichte dieser Stadt am Ende des 18. Jahrhunderts aufhört. Ihm, der jahrelang im Palazzo del Grillo unmittelbar an den Kaiserforen lebte, konnte es eigentlich nicht entgangen sein, wie gewaltig das späte 19. Jahrhundert und, in größter Kontinuität, die faschistische Epoche in den 1920er und 1930er Jahren in die historische Textur der Stadt eingegriffen hatten, um einen „Mythos Rom“ mit den Mitteln des Städtebaus hervorzubringen, wie der Regensburger Historiker Franz J. Bauer vor zehn Jahren gezeigt hat.

Der eingeengte Blick Raffalts zeigt sich auch in seinen Arbeiten über Bayern, seiner geliebten Heimat, der er Zeit seines Lebens die Treue hielt. Das Schwelgen in den Bildern der Vergangenheit und das Ausblenden der Gegenwart führten dazu, dass die ARD den für den Eröffnungstag der Olympischen Spiele in München (22. August 1972) geplanten Raffalt- Film „Variationen über Bayern“ nicht sendete und ihn durch einen Beitrag des ebenfalls aus Passau stammenden Carl Amery ersetzte.

Das Wort „Verdrängung“ kommt bei Traut nicht vor. Dennoch könnte man die Verdrängung unübersehbarer, bedrohlich erscheinender moderner Entwicklungen als ein wesentliches Motiv und zugleich Erfolgsrezept im Werk Raffalts sehen. Zutreffend ist Trauts Beobachtung, dass mit „Wohin steuert der Vatikan“, einem Bestseller des Jahres 1973, Raffalt sich erstmals im großen Stil mit den zeitgenössischen Entwicklungen in der Kirche und der vatikanischen Politik auseinandersetzte. Diese Abrechnung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der Ostpolitik Papst Pauls VI. bedeutete aber für den Autor - drei Jahre vor seinem Tod - zugleich der Anfang vom Ende seines publizistischen Erfolgs.

Traut nennt Raffalt einen „Barockmenschen“ (was immer das ist), „Eklektiker und Tausendsassa“. Die Kehrseite der hier angesprochenen Vielseitigkeit und Individualität war, dass sich Raffalt schwer tat mit Terminen, mit Verwaltungsabläufen, mit Hierarchien, mit finanzieller Disziplin. Das ging gut, solange er Förderer wie Dieter Sattler im Bonner Außenministerium, Walter Keim im Bayerischen Kulturministerium oder den Fernsehdirektor Helmut Oeller beim BR hatte.

Raffalt war erfolgreich tätig als Gründungsdirektor der Deutschen Bibliothek in Rom, als Sonderbeauftragter des Auswärtigen Amtes für die deutschen Kulturinstitute in Asien und Afrika, und höchst erfolgreich war er als Reisejournalist, Korrespondent in Rom und Filmemacher beim BR. Er schuf 200 Hörfunk- und 33 Fernsehbeiträge, als Sprecher war er - für viele Hörer faszinierend - mit seiner Stimme in ganz Bayern präsent. Andererseits dauerte Raffalts Tätigkeit als dramaturgischer Berater am Staatsschauspiel in München nur acht Monate, und als Angestellter der Hanns-Seidel-Stiftung, wo er die Auslandsabteilung aufbauen und als Kontaktmann in Rom fungieren sollte, kündigte er nach 15 Monaten und einem heftigen Krach mit Otto von Habsburg: „Herr Dr. Raffalt (ist) nicht gewillt, trotz eines Spitzengehaltes Weisungen auszuführen oder auch nur zu arbeiten“. Als im Jahre 1963 das erste BR- Auslandsstudio in Rom den Betrieb aufnahm, hatte Raffalt zwar intensiv die Vorbereitungen begleitet, den Posten selbst aber dann doch verschmäht.

Gewiss war das Streben nach beruflicher Unabhängigkeit ein wesentlicher Charakterzug Raffalts; daraus folgten aber ein beständiger Zwang zur Produktion und ein Raubbau an seiner Gesundheit. Maßlose Projekte kennzeichnen Raffalts letzte Jahre: Mit Leo Kirch (Taurus-Film) schloss er 1974 einen 650 000 DM – Honorarvertrag für eine 26-teilige Fernsehreihe über die Renaissance in Europa; um die gleiche Zeit wollte er sich - zwei Jahre vor seinem Tod - in der Nähe von Tivoli einen Landsitz bauen und dazu ein Benediktinerkloster gründen.

Julian Traut hat die vorhandenen Quellen in größtem Umfang ausgeschöpft. Hierzu zählt insbesondere der 12 Regalmeter umfassende persönliche Nachlass von Reinhard Raffalt, den seine Witwe Nina Raffalt 1989 der Universität Passau anvertraut hat. Ohne diesen persönlichen Nachlass hätte die Biographie zwar nicht geschrieben werden können, aber gerade deshalb war es besonders wichtig, die Gegenüberlieferungen heranzuziehen, vor allem das Historische Archiv des Bayerischen Rundfunks und andere BR-Aktenbestände, das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes, das Archiv des Instituts für  Zeitgeschichte und das Archiv für Christlich-Soziale Politik in München, in Rom die Archive der deutschen Nationalkirche Santa Maria dell’ Anima, des Deutschen Historischen Instituts, des Collegium Germanicum et Hungaricum und des Campo Santo Teutonico. Mit Rücksicht auf die zu Recht oft diskutierte Problematik bediente sich Traut auch der Oral History und führte Gespräche mit der Witwe Nina Raffalt, seiner Sekretärin Gerda Hörl, Jugendfreunden und Bekannten aus der römischen Zeit. Offenbar bestand leider keine Möglichkeit mehr, ehemalige Kollegen aus dem BR wie Walter Flemmer und Helmut Dotterweich oder den damaligen bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus, Prof. Hans Maier, für ein Gespräch zu gewinnen.

Julian Traut hat die bisher fehlende wissenschaftliche Biographie von Reinhard Raffalt vorgelegt, dieses ebenso eigenwilligen wie schöpferischen und einflussreichen bayerischen Römers. Raffalts Rom prägte das populäre Italienbild der Deutschen nach 1945. Raffalts Rombild aber gehört der Vergangenheit an wie Raffalts Stammrestaurant Angelino ai Fori an der Via die Fori Imperiali: Dort, wo elegante Kellner einst hausgemachte Pasta, edle Fische aus dem Mittelmeer und Wachteln aus der Campagna auftrugen, stehen heute Amerikaner, Asiaten und tätowierte Germanen in kurzen Hosen Schlange für ein überteuertes Stück Fabrikpizza, um dieses drüben auf dem Forum Romanum lauwarm zu verschlingen.

Mit einem biographischen Ansatz hat Traut zugleich einen Beitrag zur Erforschung der Kulturpolitik / Kulturaußenpolitik in München und Bonn in den Jahren 1950-1975 sowie zur Geschichte des Bayerischen Rundfunks geleistet. In Verbindung mit den Arbeiten von Ulrike Stoll (Kulturpolitik als Beruf. Dieter Sattler (1906-1968) in München, Bonn und Rom, 2005), Georg Karl Maximilian Schulz (Die Stimme Bayerns. Der Bayerische Rundfunk zwischen Tradition und Moderne, 2018) und Thomas Jehle (Die auswärtige Kulturpolitik des Freistaates Bayern von 1945 bis 1978, 2018) betritt Trauts sorgfältige Untersuchung landesgeschichtliches Neuland und ist vor allem auch aus diesem Grund von hohem Wert.