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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Manuela Daschner

Mobilität und Lebenswelt der ländlichen Bevölkerung. Die Herrschaft Falkenstein im ausgehenden 18. Jahrhundert

(Thurn und Taxis Studien NF 9), Regensburg 2017, Pustet, 246 Seiten mit 31 Abbildungen, 20 Tabellen
Rezensiert von Walter Hartinger
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 15.04.2019

Als Volkskundler greift man mit einer gewissen freudigen Überraschung zu diesem Buch in der Hoffnung, dass eine vertraute Spezies der Forschungen im eigenen Fach doch noch am Leben ist und mit „Lebenswelt“ und „Mobilität“ Aspekte in den Blick nimmt, die einem geläufig sind. Freilich gefehlt: Es ist eine junge Historikerin, die ihre Dissertation präsentiert, Schülerin von Bernhard Löffler an der Universität Regensburg, folgend manchen Spuren von dessen Œuvre, dem man mit gutem Recht einen Ehrenplatz in der eigenen Disziplin zuweisen möchte. Doch zum Detail!

Zwischen dem Untersuchungsraum von Manuela Daschner (Herrschaft Falkenstein im Bayerischen Wald) und ihrem Editions-Ort (Thurn und Taxis Studien) besteht insofern ein Zusammenhang, als die Familie Thurn und Taxis nach ihrer definitiven Entscheidung für Regensburg als Stammsitz im Jahr 1810 eben diese Herrschaft zur repräsentativen Akzentuierung des neuen Mittelpunktes (Jagd und dergleichen) im Jahr 1829 angekauft hat. Die Lage in einem (vermuteten) Beharrungsraum (Bayerischer Wald) zwischen bekannten Bewegungsräumen (Cham-Further-Senke im Norden und Donau-Niederung mit städtischen Zentren wie Straubing und Regensburg im Süden) konnte unter Umständen Hinweise ergeben auf dynamische Prozesse, die sich hier vielleicht abspielten, vor allem in einem Zeitraum (Ende des 18. Jahrhunderts), dem die Zunft üblicherweise Schwellen-Charakter zur Moderne zuspricht.

In den Blick nimmt Manuela Daschner den „gemeinen Mann“ im alltäglichen Leben, zentrale Quelle sind ihr neben den Matrikeln und Amtsrechnungen die Briefprotokolle, deren Qualität als virtuelle Ego-Dokumente Altherren der Volkskunde wie Karl-S. Kramer und Hans Moser seit den 1950er Jahren des letzten Jahrhunderts gepredigt und meiner Generation als Schülern eingebläut haben.

In unaufgeregter, gleichwohl zwingender Systematik arbeitet nun die Autorin die zeitgenössischen Aspekte von Lebenswelt/Alltag und Mobilität – mit deutlichem Schwerpunkt auf dem ersten Aspekt – ab, beginnend mit den immanenten Zwängen der morphologischen und politischen Struktur sowie den seinerzeitigen Rahmenbedingungen für Mobilität und Kommunikation (Wegenetz, Fortbewegungsmittel, Träger unterschiedlicher Formen der Kommunikation) hin zu den diversen Segmenten des alltäglichen Lebens mit seinen Nöten: Familie, Verwandtschaft, Gemeinde, Lösung von Konflikten als Grund- und Gerichtsmann, Bedarf nach Bildung, Gesundheit, Versorgung, Seelenheil und gesellschaftlicher Erfahrung. In einem zweiten Anlauf wird diese Thematik quergelesen von den sozialen Erfahrungen her (Bauern, Handwerker, unterbäuerliche Schichten, kirchliche und weltliche Funktionsträger). Die dieser Gesellschaft innewohnenden Zwänge und Entfaltungsmöglichkeiten werden bevorzugt dargestellt am Heiratsverhalten und münden dann logischerweise in schichtspezifische Überlegungen zur Mobilität.

Jeder Einzelschritt beginnt – soweit sinnvoll und möglich – mit theoretischen Vorüberlegungen und endet mit der Konkretisierung anhand von Beispielen. Die Vertrautheit mit dem offensichtlich reichhaltigen Quellenbestand fügt so immer wieder „Fleisch zum Bein“ und gibt dem Ganzen den Charme einer Gemeinde- oder Dorfmonographie, wie sie in meinem Fach einmal in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts en vogue gewesen sind. Bei Manuela Daschner müsste man freilich von einer Regional-Monographie sprechen, die aber gleichwohl diese Nah-Perspektive auf das tägliche Leben zu halten versteht. Ihr Fazit: Vieles bewegt sich im Kirchturm-Horizont von fünf bis vielleicht neun Kilometern. Zwingend aber ist für fast jeden das gelegentliche Aufreißen dieser „Enge“ auf bis zu 20, 30, 50 Kilometern (Bedienung der Herrschaft, Marktbesuch, Handwerkswanderung, Suche nach Stellung und Seelenheil). Und über die unumgänglichen Kontakte zu den weltlichen und geistlichen Funktionsträgern mit ihrer überregionalen Herkunft, Lebenserfahrung und Denkweise ist sowieso die Horizontüberschreitung jederzeit in Sicht. Im sozialen Bereich überwiegt die Orientierung an den eigenen lebensweltlichen Erfahrungen und Traditionen; doch sind diese nicht zementiert. Grenzüberschreitungen sind möglich, gesellschaftlicher Aufstieg gelegentlich, Abstieg allerdings jederzeit, bei Nichtsesshaften ändert sich kaum etwas zum Besseren. Räumlich Entferntes hat seine Verlockung, hier vor allem der Donauraum mit den zentralen Orten Straubing und Regensburg, nicht die Furth-Cham-Rodinger Senke, deren Unattraktivität freilich rätselhaft bleibt. Die Welt der Moderne gerät noch nicht in den Blick.

Die Arbeit kommt zu einem aus den Quellen heraus entwickelten Ergebnis ihrer eingangs gestellten Forschungsfrage, regt an zu analogen, vergleichenden Folgearbeiten und bietet dem interessierten Leser durch ihre Quellennähe einen durchgängigen Lesegenuss. (Schade, dass sie nicht von einer Volkskunde-Studentin geschrieben wurde.)