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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Barbara Michal

Von Kopf bis Fuß. Kleider und Leute auf dem Land

(Schriften des Kreismuseums Bogenberg 5), Bogen 2017, Kreismuseum Bogenberg, 203 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, zum Teil farbig
Rezensiert von Christine Burckhardt-Seebass
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 15.04.2019

Der Band dokumentiert aufs Schönste, was ein initiatives Regionalmuseum zu leisten vermag. Angeregt von vielen Ausstellungen der jüngsten Zeit zum unerschöpflichen Thema Kleidung und Tracht, aber unbeeindruckt von den „Großen“, unternimmt es Barbara Michal mit ihrem Kreismuseum Bogenberg, seiner textilen „Feld-, Wald- und Wiesensammlung“ und vielen motivierten Gesprächspartnern und -partnerinnen, am Beispiel eines kleinen ländlichen Gebiets alle nur möglichen Facetten des Sich-Kleidens, nicht nur von Kopf bis Fuß, sondern von 1800 bis heute zu entdecken, zu explizieren und um neue Erkenntnisse zu bereichern. Eine geschickte Buchgestaltung – türkisfarbenes Papier für die kurzen Überblicke, weißes für den ausführenden Text und beiges für die dazwischengeschobenen illustrierenden Fotointerviews – erleichtert die Orientierung im steten Wechsel der Blickpunkte und Betrachtungsebenen, der sich durch die Lebendigkeit des Themas rechtfertigt. Wer will, kann also zunächst alle Einführungen hintereinander lesen und wird in knapper, aber nicht unzulässig verkürzter Form Bescheid bekommen über die Begriffe Kleidung, Tracht und Trachtenmode und ihre wichtigsten historischen Veränderungen und Verschränkungen, er oder sie kann sich kundig machen über die Quellen der Forschung und erfährt Grundsätzliches zu Kleidungstypen in Alltag und Fest, Arbeit und Freizeit.

Der Hauptteil breitet sozusagen das ganze wirkliche Leben aus. Nun erscheinen die Museumsobjekte im Zusammenhang, sie explizieren ihre Zeichenhaftigkeit und erzählen Biografien, unterstützt durch zahlreiche Fotografien, zeitgenössische Berichte und Anweisungen aus Hauswirtschaftslehrbüchern. Sie dokumentieren Dorfläden, Arbeitsprozesse und festliche Ereignisse. Auch repräsentative Prunksucht und verhüllende Armut werden thematisiert. Die Einsichten beziehen sich auf eine spezifische ländliche Region, lassen sich aber in Vielem verallgemeinern, wenn die Wertschätzung von Uniformen aller Art und die Wichtigkeit von öffentlichen Aufzügen, Festen, Theater- und Brauchvorführungen außerhalb Bayerns auch etwas geringer ausfallen dürften.

Zusammenfassung und gleichzeitig Herz der Publikation (und wohl auch der vorausgehenden Ausstellung) bilden die beiden Foto-Interview-Projekte, in denen eine Reihe von Dorfbewohnern, Migrantinnen und jungen Migranten zu Wort kommen und sich in je zwei Kleidern vorstellen. Angeregt wurden diese durch die Ausstellung der Porträt-Fotografien von Herlinde Koelbl „Kleider machen Leute“ im Hygienemuseum Dresden (Katalog Ostfildern 2012). Hier sind es aber keine künstlerischen Atelier-Aufnahmen, sondern bebilderte Gesprächsnotizen. Das Verbindende des Orts oder der Situation, der gemeinsamen Erlebnisse, der Arbeit, auch des Alters ist stärker als die jeweilige gesellschaftliche Rolle und das Ansehen der einzelnen Personen. Sie bleiben auch, trotz subtilen Veränderungen in Haltung und Gestik, sie selbst, wenn sie nicht die gewohnten Sachen tragen, sondern Förmliches anziehen. Man betrachte die alte Bäuerin, sonst mit Kopftuch und Kleiderschürze, zur Hochzeit des Enkels aber in einem eleganten Wollkostüm, den Feldwebel oder die Laienschauspielerin, wo Unterschiede und Kleiderregeln zwischen Beruf und Feierabend respektive Auftritt und Alltag doch recht groß sind. Ergreifend die jungen, mit Nichts geflüchteten Afghanen in T-Shirt und Jeans, die sich um teures Geld in München ein traditionelles heimatliches Gewand kaufen, um ihre Herkunft hie und da noch auf der Haut zu spüren. Dass diese Inszenierungen zwar genau und aussagekräftig, aber zurückhaltend sind und den Gesprächspartnerinnen und -partnern ihren Stolz, ihre Würde und, wenn es so ist, auch ihre Befangenheit lassen, ist das Besondere an diesen Fotoreihen. Sie stehen für das Ganze: eine informative, anregende, kluge und menschliche Schrift über ein Thema, eine Ausstellung und ein Museum, die zu wirken wissen.