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Alexandra Rabensteiner

Fleisch. Zur medialen Neuaushandlung eines Lebensmittels

(Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Wien 43), Wien 2017, Verlag des Instituts für Europäische Ethnologie, 186 Seiten
Rezensiert von Barbara Wittmann
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 15.04.2019

Die Ausrichtung der eigenen Ernährung ist in den letzten Jahren zu einem zentralen Bestandteil individueller Lebensstile geworden und hat damit auch in der kulturwissenschaftlichen Forschung an Relevanz gewonnen. Denn längst geht es bei Verbraucherentscheidungen nicht mehr nur um stoffliche Aspekte der Nahrungsaufnahme – anhand der Auswahl bestimmter Lebensmittel lassen sich Einstellungen zu Körperdesign, tierethischen, ökologischen und letztlich auch politischen Positionierungen der Konsumenten ablesen. Zu einem Dreh- und Angelpunkt gesellschaftlicher Diskurse rund um das richtige Essen ist dabei der Verzehr von Fleisch geworden, mit dem sich Alexandra Rabensteiner in ihrer am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien abgefassten und 2017 in Buchform erschienenen Masterarbeit auseinandergesetzt hat. Mit ihren 186 Seiten kommt die Studie zwar nicht im Umfang, so doch inhaltlich dem Niveau einer Dissertation nahe, weshalb ihre Veröffentlichung einen Gewinn für die Nahrungsforschung darstellt.

Die Autorin geht anhand der Untersuchung zweier überregionaler Presseorgane – Der Spiegel und Der Standard – sowie dreier als „Fleischzeitschriften“ bezeichneter Journale der Frage nach, wie das seit Jahrhunderten als Distinktionsmittel fungierende tierische Produkt zu Beginn des 21. Jahrhunderts medial neu ausgehandelt wird. Dazu rollt die Verfasserin die Bedeutung von Fleisch zunächst im historischen Kontext auf, was angesichts der gegenwartsorientierten Ausrichtung der Studie besonders zu begrüßen ist, zeigt sich doch hierin die Stärke unseres Faches, Bestehendes als Gewordenes zu kontextualisieren. Methodisch verortet Rabensteiner ihre Untersuchung als Diskursanalyse, wobei sie hier pragmatisch zwischen verschiedenen Verfahren abwägt, ohne sich in unnötigen theoretischen Manövern oder Begriffsdefinitionen zu verlieren. Stattdessen wird das hohe Niveau der Studie vor allem über den umfangreichen Kenntnisstand der Verfasserin im Bereich der Nahrungsforschung deutlich, wobei Rabensteiner nicht nur bestehende Forschungen auflistet, sondern stets versucht, an deren Thesen anzuknüpfen oder sie aus dem gesichteten Material heraus weiterzuentwickeln.

Die Analyse der deutschen Wochen- und der österreichischen Tageszeitung erfolgt anhand der fünf Kategorien Gesundheit, Fleischskandale, Tier(leid), Veganismus/Vegetarismus und Umwelt, wobei die Komplexität der verschiedenen Diskursstränge zusammengedacht und in gesamtgesellschaftliche Prozesse eingeordnet wird. Während im ersten Quellenkorpus eine starke Negativthematisierung von Fleisch konstatiert wird, schaffen die Inszenierungen in den drei ebenfalls untersuchten Zeitschriften BEEF!, fleisch.pur und Meat-Magazin Gegennarrative. Rabensteiner zeigt auf, wie historisch wirkmächtige Bilder von Männlichkeit und Ursprünglichkeit aufgegriffen oder regionale Bezüge hergestellt werden, um den zunehmenden Attribuierungen als Billigprodukt auf der einen Seite Wertigkeit und somit auch eine Verteidigung des eigenen Konsums auf der anderen Seite entgegenzusetzen. Dabei unternimmt die Autorin keine Pauschalisierungen, sondern geht durchaus differenziert auf die unterschiedlichen Ausrichtungen der Organe ein: Während sich BEEF! an eine gutverdienende männliche Leserschaft wendet und als Lifestyle-Magazin versteht, versucht fleisch.pur weiblich-gesundheitsorientierte Käuferinnen zu erreichen. So wird Fleisch je nach Magazin als exotisches Luxusprodukt à la Kobe-Rind, Basis einer traditionsbewussten gutbürgerlichen Küche oder „natürliches“ Nahrungsmittel im menschlichen Evolutionsprozess verhandelt – jede Darstellung ist dabei auch im Sinne einer Antwort auf kritische Diskurse zu verstehen, nicht zufällig entstanden die „Fleischzeitschriften“ ab 2009 parallel zum Anstieg kritischer Auseinandersetzungen rund um den Verzehr tierischer Produkte.

Besonders wohltuend ist bei der Lektüre, dass Alexandra Rabensteiner zwar ihre eigene Ernährungsweise als Veganerin einleitend im Zusammenhang mit ihrer Rolle als Forscherin beleuchtet, bei der Analyse aber nicht in Bewertungen oder Moralisierungen verfällt, sondern stets eine wissenschaftliche Distanz zum Forschungsfeld wahrt. Zusammenfassend kann „Fleisch. Zur medialen Neuaushandlung eines Lebensmittels“ daher als rundum überzeugende Studie einer Nachwuchswissenschaftlerin eingestuft werden, die sowohl historischen Weitblick als auch Gespür für gegenwärtige Entwicklungen besitzt.