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Michael Schilling
Frömmigkeit und Schrankpapier. Die frühneuzeitlichen Flugblätter der Lübecker Jakobikirche. Bestandskatalog mit Kommentar und Abbildungen
Regensburg 2018, Schnell & Steiner, 160 Seiten mit 97 Abbildungen, meist farbigRezensiert von Wolfgang Brückner
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 13.05.2019
Die Imagerie-Forschung wusste schon immer, dass es in Lübeck um und nach 1600 Briefmaler gab, die aus Augsburg stammten und dadurch ikonographische Themen katholischer Provenienz der sogenannten Holzschnitt-Bauernbriefe oder genauer Einblattdrucke in den Norden Deutschlands tradierten. Ich selbst habe schon 1968 für die italienische Originalausgabe meiner „Populären Druckgraphik Europas. Bd. Deutschland“ zwei Marienblätter von 1630 farbig publiziert, die aus den Beständen des Lübecker Annenmuseums stammten. 2016 entdeckte man bei Restaurierungsarbeiten in der Lübecker Jakobikirche, dass 32 der Schränkchen in den Rückenlehnen des Kastengestühls mit Andachts- und Erbauungsblättern aus dem frühen 17. Jahrhundert ausgekleidet sind. Ist dieser Fund an und für sich schon sensationell, so erwächst seine Bedeutsamkeit für die Volkskunde auch aus der Tatsache des hier erhaltenen lebensweltlichen Gebrauchszusammenhangs, dienten diese mit über 60 religiösen Blättern verzierten Schränkchen doch der Aufbewahrung von Gebet- und Gesangbüchern.
In vorliegender Publikation geben fotografische Aufnahmen dieser Situation einen guten Einblick, und der Autor Michael Schilling erörtert in seiner Einleitung die mediengeschichtlichen Zusammenhänge. Für die Herkunft der Bildvorwürfe ist es ihm gelungen, eine Reihe typischer Kupferstichvorlagen zu finden. Seine Verwunderung über die bisweilen naive Umsetzung erinnert ihn an „Volkskunst“. Dazu sollte man in Anschlag bringen, dass die hier tätigen Briefmaler aus Augsburg dort wirklich fürs Volk und zwar das katholische des bäuerlichen Umlandes geliefert haben. Die protestantischen Eliten kauften sich unkolorierte Kupferstiche, eben ganz anders als in Lübeck, einer rein evangelischen Stadt. In Augsburg gab es seit 1648 eine „unsichtbare Grenze“ zwischen den beiden Konfessionen der paritätisch regierten kaiserlichen Reichsstadt.
Ich glaube daher, dass aus der nun vorliegenden wissenschaftlichen Dokumentation für die Historiker der sogenannten Konfessionalisierung eine Menge zu lernen wäre. Und von daher lassen sich dann Überlegungen an heutige Forschungsförderung anschließen. Hätte der Magdeburger Kollege Schilling einen Antrag bei der DFG gestellt, wäre dieser geradezu unbesehen abgelehnt worden, weil für positivistisch gehalten. Kataloge durften früher schon meist nur Akademien oder Museen erstellen. Derartige Grundlagenforschung, wie das bei den Mint-Fächern heißt, ist heute für Geisteswissenschaftler verpönt. Darum großer Dank an die hier Verantwortlichen. Ein wunderbares Buch, das in jede volkskundliche Bibliothek in Bayern gehört.