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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Klaus Bergdolt

Kriminell, korrupt, katholisch? Italiener im deutschen Vorurteil

Stuttgart 2018, Franz Steiner, 243 Seiten
Rezensiert von Wolfgang Brückner
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 10.06.2019

Endlich eine seriöse Abhandlung und thesenreiche Analyse zum Bild des Italieners in Deutschland! In Bayern kennen wir Ludwig Thomas Sketch aus dem „Simplicissimus“ in Brief- und Postkartentexten über „Käsebiers Italienreise“, natürlich die eines bornierten Berliners. Und viele wissen um die traurige Liebesgeschichte der engen Partnerin des gefeierten Kabarettisten Karl Valentin, Liesl Karlstadt, die eigentlich Elisabeth Wellano hieß und ein „Fremdarbeiterkind“ war, dem in der Volksschule die Klassenkameraden nachriefen: „Wellano, Italiano, lebst a no!“ Man kennt natürlich die „Itakerhöfe“ im Chiemgau und die Wiener Völkertafel des frühen 18. Jahrhunderts mit den stereotypen Zuschreibungen der Nationen in Europa, darunter den „Welschen“.

Hier nun spricht der akademische Fachmann und Italienkenner. Klaus Bergdolt, Professor der Universität Köln, war von 1990 bis 1995 Direktor des Deutschen Studienzentrums Venedig und von 2005 bis 2013 dessen Vorsitzender. Es handelt sich um eine Schrift gegen den „Anspruch moralischer und kultureller Deutungshoheit [...], mit dem deutsche Intellektuelle Jahrhunderte lang [...] auf Italiener allgemein herabblickten“. Es ist insofern eine kluge Fortschreibung des bekannten Buches von Herfried Münkler „Die Deutschen und ihre Mythen“ mit seinem zentralen Kapitel „Ein Kampf gegen Rom“, nun bis in die Gegenwart weiterverfolgt.

Man muss sich zunächst alle Thesen wörtlich vergegenwärtigen: „Der Norden, der Süden und der deutsche Moralismus“; „Zwischen Toleranz und ‚political correctness‘ – Politiker und andere“; „Antikatholizismus als Programm“; „Gaunergesichter und Kriminelle“; „Die ‚Hölle Neapel‘“; „Moralische Gegenwelten? Deutsche im Süden“; „‚Wir und sie‘ – Strategien der Distanzierung“; „Die deutsche Italienformel: Strahlende Vergangenheit, schändliche Gegenwart“; „Akademische Arroganz oder Kunstverständnis als Überlegenheitsbeweis“; „Deutsche Urteile des 18. Jahrhunderts“; „Moralisten und Hassprediger“; „Der Mythos der Italienerin und die ‚Unmoral des Südens‘“; „Goethes Vorurteile“; „Es begann im Mittelalter“; „Spuren der Toleranz. Positive Bilder von Italienern“; „Italophile deutsche Feuilletonisten im 19. Jahrhundert“; „Binnensichten: Italiener kritisieren ihre Landsleute“; „Respekt und Skepsis – Italiener über Deutsche“; „Das heutige Skandalon – die Mafia“.

„Schon im 18. Jahrhundert wurde dabei, eine bemerkenswerte Folge aufklärerischer Rabulistik, kryptorassistisch argumentiert.“ Deshalb handelt der Autor vor allem vom 18. und 19. Jahrhundert, ohne die Gegenwart zu vergessen. „Die Idee, die kulturelle Bedeutung Italiens zwar anzuerkennen, sie aber nicht mit den aktuellen Bewohnern zu verbinden, ja diese zu verachten oder zu verteufeln, hatte etwas Bestechendes. Italiener galten als unzuverlässig, abergläubisch, potentiell kriminell und, vor allem im 19. Jahrhundert, manchen Deutschen, allerdings auch Engländern, dem Zeitgeist des darwinistisch beeinflussten Positivismus entsprechend, auch als moralisch unterlegen. Dass zur Zeit des Risorgimento einige piemontesische Gelehrte in ähnlicher Weise über Neapolitaner und Sizilianer urteilten, relativiert die Problematik kaum.“

Da wir alle, zumindest meiner Generation, seit Schultagen unseren Goethe kennen, interessieren uns hier seine „Vorurteile“ in besonderem Maße. Bergdolts Kapitel dazu ergänzt Rüdiger Safranskis Ausführungen in seiner großen Goethe-Biographie zum Thema im Detail. Bergdolt formuliert: „Bei allem Positiven, aller Bewunderung, aller Empathie im Einzelfall blieb sein Urteil über die Einheimischen gespalten.“

Der Autor muss unter dem Stichwort „Hassprediger“ (wie der Hofhistoriograph Heinrich von Treitschke) gar nicht erst Bismarcks „Kulturkampf“ gegen den angeblich ausschließlich „ultramontanen“ Episkopat und seine gläubigen Milieus wiederholen. Volkskundler wissen, dass der Begriff „Kulturkampf“ von dem Würzburg-Berliner völkischen Polit-Mediziner Rudolf Virchow stammt, der seinerzeit für deutsche Universitätsprofessoren einen „Atheisteneid“ forderte. Wir dürfen ergänzen: Spezialisten des Münsteraner „Centrums für Religion und Moderne“ interessiert die damalige Situation der katholischen Minderheits-Bevölkerung im Reich als Vergleichsfolie zur gegenwärtigen, sich mit jeder Ausgrenzung steigernden Islamisierung von drei Millionen Türken in der Bundesrepublik. Andererseits wissen die Wirtschaftsweisen, dass Italien und nicht Deutschland das reichste Land in Europa sei aufgrund des privaten Immobilienbesitzes, an den sich auch kein politischer Populist herantraut. Doch nach historischer Meinung mancher Europäer sind die Bewohner südlich von Rom (voran in Neapel, „der Hölle“) keine abendländischen „Vollmenschen“, sondern Kreaturen wie eine Kreuzung aus „Fuchs und Schwein“.

Bergdolt breitet eine riesige Menge von Meinungswissen unterschiedlicher europäischer Schriftquellen aus. Für Deutschland steht das Kapitel „Antikatholizismus als Programm“ im Mittelpunkt, auch wenn wir seit 1945 eine mächtige Relativierung im Bewusstsein der Gesamtbevölkerung feststellen dürfen. Nicht so im Unterbewusstsein der sogenannten Gebildeten und ihrer intellektuellen Herkunft. Darum der Untertitel des Buches „deutsches Vorurteil“.

Bergdolt verschweigt nicht die gegenwärtige Misere mit der organisierten Kriminalität durch Mafia-Clans. Er verweist zwar auf die militärische Unterdrückung in Sizilien zur Zeit Mussolinis, doch mit den Amerikanern kamen auch die Paten zurück. In Deutschland, so sei hinzugefügt, existieren direkte Verbindungen aus Apulien nach Nordrhein-Westfalen, doch wer die Pressemeldungen genauer verfolgt, wird wissen, dass sich in „Pulia“ erst in jüngster Zeit ein vierter Machtbereich jener bandenmäßigen Untergrundherrschaft etabliert hat neben den drei klassischen Provinzen Sizilien, Kalabrien und Neapel. Unser Autor erklärt das andauernde Skandalon als eine Entwicklung „aus dem Feudalismus des 19. Jahrhunderts“ sowie der piemontesischen Eroberung und Unterdrückung mit deutlicher Zunahme nach 1900. Diese in der Selbstbeschreibung „ehrenwerte Gesellschaft“ hat sich inzwischen zu einem internationalen Geschäftszweig der Finanzwirtschaft entwickelt und stellt kein rein „italienisches“ Phänomen mehr da. „Sämtliche Mord- und Schandtaten“ südlich von Rom können nicht allein „der“ Mafia zugeordnet werden, wie außerhalb Italiens gerne angenommen wird, solange die immer wieder erfolgreichen Polizei- und Justizbehörden nur punktuell einzugreifen vermögen. In unserem Zusammenhang des Bildes der Italiener bleibt festzuhalten, dass jenes Makel-Phänomen in Italien selbst gerne instrumentalisiert wird, denn: „Allerdings dient die Mafia-Keule [...] auch dazu, innenpolitische Gegner und missliebige Institutionen zu diskreditieren.“

Bergdolts Fazit: „In der bewegten Geschichte Italiens gibt es [...] viele Ungereimtheiten. Doch wurde die moralisierende Kritik aus dem Norden stets als eine Art Stachel empfunden, der noch im 20. Jahrhundert nicht wenige potentiell deutschfreundliche Bewohner des Lands abstieß. Keine Frage, dass antideutsche Stimmungen auch heute noch durch sprachliche Ungeschicklichkeiten, Überheblichkeit und die Tendenz zum Moralisieren [...] verstärkt werden.“ Diese Traditionen seien „das Relikt eines längst obsoleten Zeitgeistes“.