Logo der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Kommission für bayerische Landesgeschichte

Menu

Aktuelle Rezensionen


Artur Dirmeier (Hg.)

Essen und Trinken im Spital. Ernährungskultur zwischen Festtag und Fasttag

(Studien zur Geschichte des Spitals-, Wohlfahrts- und Gesundheitswesens 13), Regensburg 2018, Pustet, 287 Seiten mit Abbildungen, Tabellen
Rezensiert von Hans-Wolfgang Bergerhausen
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 20.05.2019

Die hier zu besprechende Aufsatzsammlung geht wie die zeitgleich erschienene Publikation über „Leben im Spital“ auf eine Regensburger Tagung, diesmal des Jahres 2016, zurück und ergänzt diese in glücklicher Weise. Erneut stehen die Lebensbedingungen der Spitalbewohner im Mittelpunkt des Interesses. Konkret wird nach der Lebensmittelversorgung der Pfründner gefragt. Dabei wird ein breites Themenspektrum abgedeckt. Es reicht von den religiös-theologischen, sozialen und heilkundlichen Rahmenbedingungen der Ernährung bis hin zu Speiseplänen und Küchenrechnungen einzelner Fürsorgeanstalten.

Klaus Bergdolt, Universität zu Köln, untersucht, wie und warum Fisch von einem an sich gängigen Nahrungsmittel im spätantiken und frühmittelalterlichen Christentum zu einer mit höchstem religiösen Symbolgehalt aufgeladenen Fasten-, aber auch Festspeise wurde. Er wertet dazu insbesondere Schriften frühchristlicher Autoren aus, die einschlägige Bibelstellen interpretieren. Es wäre ihm zufolge zu kurz gedacht, die Anwendung von Fastenbräuchen auch auf Kranke und Bedürftige in Spitälern zu kritisieren; denn indem Fisch in vielfältiger Hinsicht an das Heilswirken Christi erinnerte, verhieß sein Verzehr den Notleidenden Trost und Heilung, und zwar gerade auch in einem religiös-transzendenten Sinne, was selbst den Ärzten der Zeit wichtiger erschien als körperliche Genesung.

Christina Vanja, Universität Kassel, stellt zunächst die vermittels arabischer Gelehrter aus der Antike ins Mittelalter überlieferte Diätetik vor, die neben Chirurgie und Pharmazie eine der drei Säulen der alten Medizin bildete. Sodann entwickelt sie in ihrem ungemein verdichteten Beitrag, wie sehr deren Grundsätze den Lebensalltag in frühneuzeitlichen Spitälern prägten. Wenn man Diätetik entsprechend dem zeitgenössischen Verständnis als umfassendes Programm für die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit wahrnimmt, werden verbreitete Vorstellungen vom fehlenden medizinischen Charakter der vormodernen Spitäler obsolet. Wenn es ferner richtig ist, dass sich das Leben in Spitälern an diätetischen Gesichtspunkten orientierte, werden zugleich wissenschaftliche Konzepte, die Spitäler als Orte obrigkeitlicher Sozialdisziplinierung deuten, relativiert; denn nicht primär Herrschaftsinteressen, sondern Gesundheitsvorsorge bewirkte dann ein regelhaftes Leben im Spital. Da zudem auch der medizinische Alltag in Städten und Dörfern diätetischen Grundsätzen folgte, werden, jedenfalls in dieser Hinsicht, Auffassungen von einer strikten Abschließung von Spitälern gegen ihre Umwelt fraglich.

Klaus Unterburger, Universität Regensburg, skizziert die Entstehung der Fastenlehre wie auch der Fastenpraxis in der westlich-lateinischen Kirche und grenzt sie knapp gegen Entwicklungen in der Ostkirche ab. Anschließend umreißt er, wie kultische Reinigung und satisfaktorische Bußleistung zu den zentralen Zielrichtungen des Fastens im Mittelalter wurden; wie die Reformatoren das rituell verhärtete Fastensystem, das sie vorfanden, als Werkgerechtigkeit verwarfen und ihm Heilsnotwendigkeit absprachen, Fasten jedoch – in je unterschiedlichen Ausprägungen – als nützliches Mittel erachteten, um den Körper in Zaum zu halten und den Geist für Gottes Wort empfänglich zu machen; wie katholischerseits die mittelalterliche Fastenpraxis über das Tridentinum hinweg in die Neuzeit weiterwirkte, bis Papst Paul VI. 1966 die überkommenen Fastengebote reformierte.

Hans-Christoph Dittscheid, Universität Regensburg, beschreibt an den klassischen Beispielen der Spitäler in Rom, Lübeck, Lerida, Beaune, Bernkastel-Kues, Mailand und Isenheim, wie Armut, Krankheit und Barmherzigkeit bildlich und architektonisch dargestellt wurden. Menschliche Caritas als Antwort auf die von Christus den Menschen erwiesene Liebe, die Gleichsetzung der den Notleidenden gespendeten Wohltaten mit einem Dienst an Christus selbst, die Kontextualisierung der Armenfürsorge wie auch der demütigen Annahme des erfahrenen Elends mit der Rechtfertigung vor Gott, die Parallelisierung der eigenen Krankheit mit dem Leiden Christi – derartige religiöse Dimensionen des Armenwesens wurden den Bewohnern der Spitäler selbst ebenso wie deren Besuchern in Bildprogrammen eindringlich vor Augen gestellt. Entsprechende Vorstellungen waren wirksam, wenn etwa ein Spital klosterähnlich, kreuzförmig oder palastartig gebaut wurde.

Gunther Hirschfelder, Universität Regensburg, steuert dem Band einige Gedanken zur Regensburger Spitalbrauerei seit ihren Anfängen um 1226 bei, die wegen der „schütteren Quellenlage“ leider nur bruchstückhaft und teilweise spekulativ bleiben können. Sie werden ergänzt durch einen (ans Ende des Sammelbandes gesetzten) Beitrag von Manuel Trummer, Universität Regensburg, über jüngste Entwicklungen im Brauwesen (Stichworte: technische Innovationen, Craft Beer) und ihre Rezeption in der Brauerei des St. Katharinenspitals.

Der Beitrag von Martin Scheutz, Universität Wien, und Alfred Stefan Weiß, Universität Salzburg, über frühneuzeitliche österreichische Speiseordnungen fällt bereits durch seinen für eine Sammlung von Vorträgen ungewöhnlichen Umfang von genau 100 Seiten auf. Er ist ganz aus neu erschlossenen Quellen erarbeitet. Insgesamt konnten die beiden Autoren 29 Speiseordnungen für Spitäler im österreichischen Raum ermitteln, die sie intensiv ausgewertet haben und deren Inhalte sie dankenswerterweise in einem tabellarischen Anhang detailliert mitteilen. 19 dieser Texte stammen aus dem 18., sechs aus dem 17. Jahrhundert. Ergänzend haben die Autoren Spitalinventare herangezogen, die beispielsweise Küchenausstattungen erkennen lassen. Hier können nur einige Aspekte ihrer informationsreichen Studie vorgestellt werden: Mit den in der Regel ausgehängten Speiseordnungen wurden Ansprüche der Spitalbewohner gegen das Spital einerseits und Pflichten der Spitalleitung ihnen gegenüber andererseits begründet. Die Mahlzeiten strukturierten den Tag nicht nur arbeitstechnisch, sondern auch in religiöser Hinsicht, gingen sie doch mit Gebeten für die Stifter einher. Ab dem 17. Jahrhundert setzte sich im österreichischen Raum allmählich das Dreimahlzeitensystem gegen das bis dahin übliche Zweimahlzeitensystem durch. Deutlich wird, dass die ländlichen Spitäler ihre Insassen schlechter ernährten als die besser fundierten städtischen Anstalten. Zudem waren Menge und Qualität der verabreichten Nahrungsmittel auch von der sozialen Herkunft der Versorgten abhängig. Fleisch war ein zentrales Prestigeprodukt, sein Verbrauch blieb hoch und spiegelte soziale Hierarchien zwischen den verschiedenen Häusern, aber auch innerhalb ihrer Bewohnerschaft wider. Mus und Brei wurden im Lauf der Zeit durch festere Mehlspeisen abgelöst. Knödel, Nudeln und Eierspeisen ersetzten, weil preiswerter, insbesondere auch Fisch als Fastenspeise. Mit dem in der Nahrungshierarchie höherrangigen Wein trat Bier in Konkurrenz und substituierte ihn in schwächer dotierten Spitälern fast ganz. Insgesamt wurde in den Spitälern deutlich mehr als nur eine Grundversorgung geboten. Vor dem sonst allgegenwärtigen Hunger schützten die Spitäler relativ zuverlässig. Gewiss liegt hier eine wesentliche Erklärung dafür, warum die Leute in die Spitäler drängten, obwohl dies manche Einbußen an Selbständigkeit nach sich zog.

Andreas Kühne, München, vergleicht Speiseordnungen dreier Regensburger Fürsorgeanstalten aus dem 17. und 18. Jahrhundert, nämlich des bikonfessionellen St. Katharinenspitals sowie des Neuen Spitals St. Oswald und des Bruderhauses, die beide lutheranisch waren. Dieser Vergleich bietet sich an, weil die Häuser sich nach Funktion, sozialer Zusammensetzung und Größe unterschieden. Erneut bestätigt sich, wie neben saisonalen Schwankungen der liturgische Kalender den Speiseplan bestimmte. Auch in Regensburg setzten sich, zumal an den fleischlosen Tagen, um 1700 die festen Mehlspeisen durch, während der Fischkonsum zurückging. Blieb es in katholischen Einrichtungen bei drei Fleischtagen, so stieg ihre Zahl in evangelischen Spitälern auf fünf bis sechs – die Konfessionalisierung schrieb die Speisekarte um. Doch auch soziale Unterschiede spielten hinein; für Spitaldienstboten wurden sogar die ohnehin seltenen Fleischrationen fast ganz durch billigere Mehlspeisen ersetzt. Kostendruck führte im Fortgang des 18. Jahrhunderts in den Regensburger Spitälern über die Zwischenstufe einer Reduzierung der warmen Mahlzeiten schließlich zur Auflösung der Spitalküchen und zur Selbstversorgung der Pfründner, die mit einem Zehrgeld entschädigt wurden. – Schade, dass der aufschlussreiche Artikel unzulänglich lektoriert wurde.

Robert Jütte, Robert Bosch Stiftung Stuttgart, versucht, einiges Licht auf die Ernährung der unteren Bevölkerungsschichten und der Randgruppen zu werfen, die in den Spitälern in der Regel nicht vertreten waren. Da die Quellenlage es nicht erlaubt, den Konsum von Armenhaushalten zu ermitteln, wertet er Speisepläne von Armen-, Arbeits-, Zucht- und Waisenhäusern sowie Listen der in der offenen Armenpflege ausgegebenen Lebensmittelhilfen aus. Die typische Kost der unterbürgerlichen Schichten war demnach erwartungsgemäß Brot, Mus, Brei, Wein oder Bier, dazu kam in geringen Mengen aber auch Fleisch und Fisch. Fleischzuteilungen, in Zucht- und Arbeitshäusern bemerkenswerterweise zunächst, wohl wegen der von den Insassen verlangten Arbeitsleistung, täglich gereicht, verschwanden dort im 18. Jahrhundert ganz. In der offenen Armenpflege dominierten Getreideerzeugnisse signifikant, teilweise mit bis zu 90 Prozent. Wenn man auch in der öffentlichen Armenfürsorge der Ernährungssituation unbemittelter Personen nahekommt, so wird man, wie der Autor bilanziert, die ganze Wirklichkeit der Küche der Armen nicht rekonstruieren können.

Die Rechnungsserien des Regensburger St. Katharinenspitals stellen einen europaweit singulären Bestand dar, der mit circa 4500 Bänden von 1354 an nahezu ununterbrochen bis in die Gegenwart reicht. Darin sind auch die Löhne der vom Spital angestellten Arbeitskräfte aufgeführt. Mark Spoerer, Universität Regensburg, berichtet über ein an seinem Lehrstuhl angesiedeltes Projekt, das darauf abzielt, aus diesen Quellen eine Reallohnreihe zu gewinnen, um den Lebensstandard früherer Generationen zu ermitteln. Ihre Auswertung verspricht vielerlei Gewinn. Zum Ersten können methodische Probleme geklärt werden: Genügen einfachere Berechnungsformen nach Wilhelm Abel, die Reallöhne und Weizen- oder Roggenpreise vergleichen, oder ist mit Robert Allen die Erstellung eines differenzierteren Warenkorbs nötig, um hinreichende Aussagen über die Entwicklung des Lebensstandards zu treffen? Zum Zweiten kann die konjunkturelle Entwicklung Regensburgs zuverlässiger nachgezeichnet werden als bisher. Zum Dritten lässt sich die materielle Lage der Unterschichten über „anekdotische Evidenz“ hinaus herausarbeiten, wobei auch Differenzierungen zwischen verschiedenen Schichten möglich werden. Zum Vierten lassen sich Vergleiche zu anderen Städten (Antwerpen, London) und Regionen entwickeln. Hier wird mithin Grundlagenforschung betrieben, die für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte höchst bedeutsam ist.

Markus Frankl, Universität Würzburg, erörtert quellennah die wirtschaftliche Bedeutung von Wein und Weinbau für das Bürgerspital und das Juliusspital in Würzburg bis etwa zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Er stellt Größe und Lage der bebauten Flächen ebenso wie die Menge der Ernteerträge vor. Zusätzlich skizziert er arbeitstechnische Probleme sowie Kosten-Nutzen-Erwägungen, vor die sich die Spitalleitungen gestellt sahen. Ferner fragt er nach der Höhe des Weinkonsums in den beiden Spitälern und diskutiert, ob es einen erhöhten Alkoholkonsum oder gar Alkoholismus unter den Spitalbewohnern gab. Schließlich kann er zeigen, dass das Juliusspital im Weinland Franken bereits um 1600 eine gewinnbringende Bierbrauerei betrieb, während das Bürgerspital Bier als Getränk für Pfründner strikt ablehnte.

Der aspektreiche Band bietet einen gelungenen Überblick über Problemstellungen der historischen Ernährungsforschung und kann sowohl als Einführung wie auch zum Weiterstudium gewinnbringend benutzt werden.