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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Albrecht Bedal

Alte Bauernhäuser in Baden-Württemberg und seinen Freilichtmuseen

Schwäbisch Hall 2018, Arbeitsgemeinschaft der Freilichtmuseen in Baden-Württemberg, 373 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, zum Teil farbig
Rezensiert von Thomas Naumann
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 13.05.2019

Seit den 1980er Jahren hat sich in der Erforschung ländlicher Gebäude auch in Baden-Württemberg Spektakuläres getan. Hausforscher mit völlig neuen Ansätzen, Methoden und Zielvorstellungen traten auf den Plan: Das Landesamt für Denkmalpflege widmete sich vermehrt Objekten auf dem Land und dokumentierte bestehende oder abgehende Gebäude, regionale Freilichtmuseen in sieben Landesteilen gründeten sich, bekamen besonders ausgefeilte Untersuchungsmethoden an die Hand und erweiterten ihre Forschungsziele, freie Bauforscher wurden von sich aus tätig oder bekamen staatliche Untersuchungsaufträge tiefergehender Art. Doch nirgends sah man die Ergebnisse bisher zusammengefasst. Sie waren meist zugänglich nur für die sich bemühenden Forscher, versteckt in Archiven der einschlägigen Institutionen. Daher kommt es, dass immer noch obsolete Vorstellungen von ländlichen Gebäuden herumgeistern, da ältere, überholte Literatur eher zugänglich ist und immer noch als maßgeblich zitiert wird. Damit ist jetzt Schluss.

Denn ein grundlegendes Buch zur Hausforschung in Baden-Württemberg ist erschienen. Es nimmt die aufgefundenen Bauernhäuser Baden-Württembergs vor 1700 in den Blick und erlaubt Schlussfolgerungen auch für die Zeit danach. Der Autor Albrecht Bedal, Architekt, renommierter Bauhistoriker und langjähriger Leiter des Hohenloher Freilandmuseums Schwäbisch Hall-Wackershofen, erläutert im Vorwort seine Grundanliegen, die unter anderem sind: ein grundsätzliches Manko in der baden-württembergischen Bauernhausforschung zu beheben, das darin bestand – anders als schon vergleichsweise früh etwa im bayerischen Franken durch die Forschungen Konrad Bedals –, dass der Einzelobjektuntersuchung keine vergleichende Forschung folgte, und dass es trotz aller Bemühungen immer noch zu viele wenig beachtete Gebäude gab. Dies führte auf grundlegende Irrwege in der historischen Hausforschung.

Ein „lebendiger Kulturschatz“ (12) stehe uns in den erhaltenen, wenn auch oftmals veränderten Relikten entgegen, der „besser als es allein Archivalien und einzelne Stücke in Museen vermögen“ (12), vom Leben unserer Vorfahren berichten könne. Wenn man ihn, so ist hinzuzufügen, denn endlich mit der richtigen Methodik entschlüsselt. Und diese gewaltige Aufgabe hat sich der Autor zum Ziel gesteckt. Und auch die Aufgabe, jene bedeutenden „Sachzeugnisse der eigenen Geschichte“ (21) konkret zu benennen, die trotz ihrer möglichen Aussagen für die Landesgeschichte vielfach ungenügend gewürdigt worden seien, wie etwa das älteste aufgefundene Haus in Ingelfingen, das auf 1295 datiert ist, und das, „stünde so ein altes Haus in den Niederlanden oder der Schweiz [...] zum Nationaldenkmal erklärt worden wäre“ (21).

Die angesprochenen Irrwege und Fehlstellen systematisch aufzudecken, endlich sozusagen mit einem modernen wissenschaftlichen Instrumentarium auf der Grundlage der seit vielen Jahren erbrachten Forschungen Vergleiche anzustellen, hierzu ist Albrecht Bedal unter anderem also mit seinem Buch angetreten. Dies erforderte, wie sich leicht nachvollziehen lässt, neben den bereits vorhandenen eigenen Forschungsergebnissen aus 40 Jahren, über die der Autor reichlich verfügte, eine gewaltige nochmalige mehrjährige Rechercheaktion, um ein regionenübergreifendes, aussagekräftiges und vor allem auch aktuelles Material zusammen zu bekommen.

Kontakte zum Landesamt für Denkmalpflege, zu freien Bauforschern und zu den Freilichtmuseen wurden genutzt, und das Ergebnis waren sage und schreibe über 1000 dendrochronologisch datierte Bauernhäuser zwischen 1295 und 1699. Diese Quantität war durchaus unerwartet – und das nötige Ausgangsmaterial hatte die notwendige Dichte.

Der formale Aufbau des Buches folgt im Hauptteil den architekturtechnischen und ‑geschichtlichen Kriterien und stellt viele Fachbegriffe erstmals systematisch dar, wobei diese auch für den Laien verständlich en passant erläutert werden: Die einzelnen Kapitel widmen sich dem Baustoff Holz, dessen Verwendung im Hausbau bezüglich der unterschiedlichen Holzarten durch die Zeiten, den historischen Holzverbindungen, der Bedeutung der naturwissenschaftlichen Methode der Dendrochronologie für die zeiteinordnende Hauserforschung, den spätmittelalterlichen Hausformen und Konstruktionen, sodann dem Fachwerkgerüst vom Ständerbau zum abgebundenen Stockwerksbau in all seinen Varianten und in seiner Entwicklung von der einfachen statischen Funktion bis zur Funktion als ästhetischer Blickfang und als Element sozialer Repräsentation. Hierbei gibt es durch umfangreiche Vergleiche neue Entdeckungen. Es folgen Beschreibungen des Hochgerüsts, des Dachgerüsts und des Kniestockgerüsts. In diesen Kapiteln, aber nicht nur hier, führt Albrecht Bedal sein ganzes Können als Bauhistoriker in Vollendung vor. Dabei hat er, und diese kontextuale Blickrichtung wird konsequent durchgehalten, auch die rechtlichen, sozialen, geografischen und klimatischen Rahmenbedingungen im Auge, die die technischen Entwicklungen des Hausbaus stark beeinflussen. Durch diese Vorgehensweise ist das Buch auch für Kulturwissenschaftler und andere Wissenschaftsrichtungen von großem Interesse. Innovationen und Veränderungen des Hausbaus im Übergang zur Neuzeit schließen sich an, wobei insbesondere die Frage erörtert wird, ob in der Folge des Dreißigjährigen Krieges ein Einschnitt im Hausbau festzustellen ist. Es folgt in funktionaler Betrachtungsweise eine Analyse der Grundrissvariationen der Bauernhäuser und der landwirtschaftlichen Nebengebäude. Dann ein vergleichender Blick der Regionen Baden-Württembergs zu deren unmittelbaren Nachbargebieten nach Mittelfranken, in die angrenzenden Kantone der Schweiz und die angrenzenden Departements des Elsass sowie in die Südpfalz. In diesen Nachbarschaftslagen, so das Ergebnis, gibt es korrespondierende Hausformen; erst bei weiteren Abständen verändern sich die Baugewohnheiten.

Schließlich erfährt man in einem letzten Kapitel, welche ländlichen Gebäude vor (und nach) 1700 in den sieben regionalen Freilichtmuseen Baden-Württembergs aufgenommen worden sind, und dieses sind eine ganze Menge, viele davon in einmalig akribischer Weise untersucht, die nur möglich ist beim Auseinandernehmen eines Gebäudes zum Zwecke der Versetzung und die möglich geworden ist durch die seit den 1980er Jahren in geradezu revolutionärer Weise verfeinerten Bauaufnahmen und wissenschaftlichen Methoden, die, wie Bedal formuliert, eine „Neuerfindung der Bauforschung“ (15), eine Entwicklung zur „Bauarchäologie“ (15) bewirkten. An dieser Stelle wird für den Leser deutlich, welch wichtige Rolle die regionalen Freilichtmuseen Baden-Württembergs in den letzten Jahrzehnten gespielt haben für die Dokumentation ländlicher Architektur- und Kulturgeschichte, so sie sich ihrer primären Hauptaufgabe, der zeitgemäßen Erforschung ihrer translozierten Gebäude, gewidmet haben. Der auch für das interessierte Publikum der Freilichtmuseen geschriebene Band wirft aber noch einen Blick darüber hinaus und führt die festgestellten dendrochronologisch datierten ländlichen Gebäude vor 1700 im gesamten Baden-Württemberg tabellarisch auf, hier fußend hauptsächlich auf bisher größtenteils schwer zugänglichen entsprechenden Untersuchungen der Denkmalbehörde und freier Bauforscher. Ein ausführliches Literaturverzeichnis und Abbildungshinweise schließen das Buch ab.

Das Werk ist verständlich und geradezu eloquent geschrieben und gerade auch für interessierte Laien geeignet. Es ist umso anschaulicher, weil aufgelockert durch eine beeindruckende Vielzahl von Erläuterungsspalten, Bauzeichnungen und Quellen im jeweiligen Kontext. Hervorzuheben sind vor allem auch die unzähligen, vom Autor aktuell aufgenommenen und erstmals veröffentlichten Fotografien historischer Gebäude.

Eines wird in diesem Buch auch deutlich: Der hier und da noch immer grassierende Terminus „Hauslandschaft“ sollte endlich zu Grabe getragen werden. Für Bauhistoriker ist er schon lange obsolet, doch die systematische Hausforschung im Bedalschen Sinne, auch schon die (nur mangelhaft publizierten) Forschungen einiger baden-württembergischer Freilichtmuseen der letzten Jahrzehnte, bringt dies nun letztgültig zu Tage. Haustypen lassen sich nun einmal nicht eindeutig nach Landschaften sortiert vorfinden. Gleiche Haustypen und Baukonstruktionen, auch innere Hauseigenheiten können in verschiedenen Landschaften in gleicher oder ähnlicher Weise vorkommen, wobei landschaftliche Besonderheiten sich meist auf Äußerlichkeiten beziehen und eben nicht auf den Haustypus, wie Bedal überzeugend an Beispielen nachweist. „Hauslandschaften“ im Sinne festgezurrter Haustypen beruhen somit auf wissenschaftlich nicht belegbaren Annahmen, auf eine eingeengte Sichtweise früherer lokaler und regionaler Hausforscher der 1930er bis 1960er Jahre, die anderes aus unterschiedlichen Motiven und auch Ideologien nicht sehen konnten oder nicht sehen wollten und die oftmals die von ihnen beschriebenen Gebäude gar nicht betreten hatten. So wurden Haustypen in derselben Landschaft, die bereits diese Thesen widerlegt hätten, bewusst missachtet oder durch den eingeengten Blick nur auf altertümlich erscheinende Gebäude nicht entdeckt oder als nicht maßgeblich eingestuft. Noch dazu wurden zeitliche Ebenen und Bauentwicklungen durcheinandergeworfen. So ist für die Zukunft zu empfehlen, nicht mehr von „Hauslandschaften“, sondern von „Häusern in einer Landschaft“ (31) zu sprechen, die verschiedenen, gleichen oder ähnlichen Typs sein können. Nur die vergleichende Bauforschung, fußend auf modernen wissenschaftlichen Methoden, die also Dendrochronologie, Konstruktions- und Funktionsuntersuchungen, Putz- und Farbuntersuchungen, Archivforschung und Befragung von Zeitzeugen, wo möglich, einschließt, wie sie der Autor exerziert, kann beurteilen, was spezifisch regional ist oder was ebenso in anderen Regionen vorkommt.

Und ist es nicht geradezu erhellend, dass als Ergebnis der Untersuchungen meist weniger die Region ausschlaggebend ist für einen bestimmten Haustyp oder für bestimmte innere Hauseigenheiten, sondern, wie sich immer wieder zeigt, doch eher die Topographie, die Wirtschaftsform, das Klima, die Bodenbeschaffenheit oder, ganz wichtig, die rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen? Dies ist Aufklärungsarbeit im besten Sinne, denn damit kommen sich die Menschen verschiedener Regionen doch eher näher, wenn sie feststellen, dass sie sich gar nicht so sehr unterscheiden, wenn sie unter ähnlichen Bedingungen leben. Oder wenn ärmlichere Regionen erfahren, dass ihr bescheidenerer Hausbau in geschichtlicher Zeit nicht daran liegt, dass sie es eben nicht besser konnten, sondern dass die Rahmenbedingungen, mit denen sie zurechtkommen mussten, eben nicht mehr hergaben. Somit geht also mit dem Aufgeben des Begriffs „Hauslandschaften“ nichts verloren. Im Gegenteil, es führt, wie gesagt, die Regionen Baden-Württembergs – und übrigens darüber hinaus – enger zusammen. Auch diesen neuen Blick auf die Dinge ermöglicht das Buch.

Bauforschung im Bedalschen Sinne ist kein Selbstzweck, sondern sie dient letztendlich dazu, den Menschen und sein berufliches, gesellschaftliches und privates Handeln zu verstehen, das sich auch im Hausbau niederschlägt. Wenn ein Gebäude im Laufe der Jahrhunderte verändert wird, dann interessiert eben nicht nur, wie das technisch und mit welchen Mitteln und Baustoffen das bewerkstelligt wurde – dies zu ergründen ist natürlich zunächst einmal unerlässlich –, sondern auch, aus welcher Motivation heraus sich der Besitzer dazu angetrieben fühlte, was ihm materiell zur Verfügung stand, was ihn zum Beispiel beruflich oder aus Motiven familiärer Notwendigkeiten oder aus Gründen sozialen Auf- oder Abstiegs dazu bewogen hat. Daher ist kontextuale Hausforschung, vergleichend und flächenbezogen, wie Bedal das definiert und durchführt, weit mehr als nur Bauforschung im engeren Sinne, sondern ein In-Beziehung-Setzen unter Einschluss der Kultur- und Sozialwissenschaften.

Bedal, so schreibt er im Vorwort, „möchte einen Beitrag leisten zum Verständnis der alten Bauten und helfen, auch die heute oft unscheinbaren, grauen, heruntergekommenen, aber mit historischen Werten ausgestatteten Gebäude draußen in den Dörfern und Weilern in ihrer Bedeutung für unsere Kulturgeschichte zu erkennen und schätzen zu lernen“ (13). Dies ist ihm vollständig gelungen. Nachzuweisen, warum das historische Bauernhaus ein Kulturschatz ist, wie dies am Anfang des Buches postuliert wird, dabei folgerichtig auch den unvoreingenommenen Blick gerichtet zu haben gerade auf früher missachtete, unscheinbare Gebäude, die genauso solch ein Kulturschatz sein können wie augenfälligere Gebäude und deren Beachtung unabdingbar für ein vollständiges Bild ist, dabei das Blickfeld entscheidend erweitert und darüber hinaus historische Dreh- und Angelpunkte entdeckt zu haben, an denen keiner mehr vorbei kann – dies ist das große Verdienst, das Bedal in seinem Buch erbringt. Es ist ein unschätzbarer Beitrag geworden, ein neues Standardwerk nicht nur zur Architekturgeschichte Baden-Württembergs, sondern auch ein Meilenstein zu einer wahrhaften Geschichte dieses Bundeslandes.

Es wäre zu wünschen, dass sich dieses im Selbstverlag erschienenen großartigen Werkes in einer weiteren Auflage ein Verlag annimmt. Denn es ist ihm eine weite Verbreitung zu wünschen.