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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Simone Bretz/Carola Hagnau/Oliver Hahn/Hans-Jörg Ranz (Hg.)

Deutsche und niederländische Hinterglasmalerei vom Mittelalter bis zur Renaissance

Berlin/München o. J. [2016], Deutscher Kunstverlag, 340 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, meist farbig, Tabellen
Rezensiert von Wolfgang Brückner
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 22.07.2019

Der Deutsche Kunstverlag hat sich an ein Thema gewagt, das in der akademischen Kunstgeschichte keine Rolle spielt und im Kunsthandel nur eine untergeordnete. Aber hinter dem fulminanten und wunderbar dokumentierenden Buch steckt ein erfolgreiches DFG-Projekt und hinter der exzellenten Publikation die Ernst von Siemens Kunststiftung. Da lässt sich auch heutigentags noch etwas Vernünftiges machen.

Wer aber kommt an Projektgelder für Gegenstände, die bislang nur von Privatsammlern gewürdigt worden sind? Davon gab es für Hinterglasmalerei als Hochkunstprodukt nur einen einzigen in Mitteleuropa: Frieder Ryser, Bern, in der Schweiz mit eigenen Publikationen zwischen 1991 und 2006, und die teilweise Ausstellung seiner Schätze durch Brigitte Salmen im Schloßmuseum Murnau samt drei klärenden Katalogen von 1995, 1997, 2003. Dort ging es jedoch für die Hochkunsterzeugnisse meist um die bislang unterbelichteten barocken, sozusagen handwerklichen Malereien mit kleinen Ausblicken auf die seltener überlieferten Stücke seit dem Spätmittelalter. Die stehen hier nun im Mittelpunkt soweit sie überhaupt zu greifen sind oder soeben durch jenes Projekt zusammengetragen wurden.

Die vier Herausgeber sind Restauratoren, Kunsttechnologen und Materialkundler aus Garmisch-Partenkirchen, Brühl, Berlin/Hamburg und München. Ihr zwischen 2006 und 2008 laufendes fächerübergreifendes Forschungsprojekt hieß „Die Hinterglasmalerei in Flandern, Burgund und am Niederrhein von 1330 bis 1550. Ursprünge der ‚kalten Malerei‘ auf Glas unter Berücksichtigung der Einflüsse durch die Glas- und Tafelmalerei“. Sie haben ihre Erkenntnisse mehrfach gemeinsam in die Öffentlichkeit getragen. Umfang und Ziel ihres Buches beschreiben sie wie folgt: „Bei der hier vorliegenden Publikation handelt es sich nicht um einen klassischen Bestandskatalog einer ausgewählten Sammlung, sondern um die Präsentation von Hinterglasobjekten, die in 15 bedeutenden Museen und Privatsammlungen in den Niederlanden, Deutschland, Belgien, Schweiz und Italien untersucht wurden. Insgesamt ermöglicht diese Zusammenstellung von 35 Hinterglasgemälden, die zwischen 1300 und 1600 entstanden sind, einen einzigartigen Überblick über eine besondere Werkgruppe“, und zwar deshalb, weil diese ausgewählten Objekte auf alle technologisch-malerhandwerklichen und stilistischen Besonderheiten jener Bildträger analysiert werden. Dafür haben sich die Herausgeber der Kennerschaft einer Reihe von Fachleuten bedienen können, die entsprechende Texte verfassten.

Das Werk besteht aus zwei Teilen, in deren Mitte sich zum Ausklappen auf vier Seiten alle 35 Prachtstücke in vergleichbarer Größenverkleinerung wiedergegeben finden wie an einer Ausstellungswand in Petersburger Hängung. Das ist ein eindrucksvoller Gesamtüberblick, dem dann die Einzelnummern mit ausführlichem Bild- und Text-Katalog folgen. Jedes Stück wird durch mehrere Detailaufnahmen dokumentiert, Vorlagengraphiken und Vergleichstafelmalereien sind ihm beigefügt sowie genaue technische Erläuterungen und restauratorische Beobachtungen. Die sich oft wiederholende Ikonographie wird exakt erläutert. Dazu bietet der erste Teil des schwergewichtigen Prachtbandes in Fachaufsätzen die den Einzelfall übersteigenden Zusammenhänge und Grundlagenfakten: Dagmar Täube: „Im Reigen der Künste“, Matthias Weniger: „Die Hinterglasmalerei im Kontext der anderen Künste“ (auch die Italiens), Erwin Pokorny: „Auf Glas gepaust. Graphische und stilistische Aspekte früher Hinterglasmalerei“, Doris Oltrogge: „Kunsttechnologische Quellen“, Simone Bretz, Carola Hagnau, Oliver Hahn und Hans-Jörg Ranz: „Kunsthistorische, kunsttechnologische und materialanalytische Untersuchungen“, Ursula Baumer und Patrick Dietemann: „Die Bindemittel“ (mit aufschlussreichen Tabellen), Annika Dix, Martha Hör, Christoph Stooss, Stefan Trümpler und Sophie Wolf: „Zu Kaltfarben auf Glasmalereien“, Peter Steppuhn: „Flachglasproduktion und Flachglashandel“, Bretz/Hagnau/Hahn/Ranz: „Glas als Bildträger und Rahmungen“ (welch letztere im Barock noch wichtiger werden sollten), Yves Jolidon: „Hinterglasmalerei in der Schweiz“, Bretz/Hagnau/Hahn/Ranz: „Hinterglasmalerei des 14. bis 16. Jahrhunderts in weiteren Regionen Europas“, Bretz/Hagnau/Hahn/Ranz: „Nachahmung oder Fälschung? Hinterglasbilder aus dem Spätmittelalter oder dem 19. Jahrhundert“.

Den Katalog der 35 ausgewählten Stücke haben die vier Herausgeber und Yves Jolidon meist gemeinsam mit umfangreichem weiteren Bildmaterial (oft Detail-Makroaufnahmen) erstellt, aber auch der jeweiligen Gesamtansicht im gegenwärtigen Rahmen und natürlich genauer Provenienzgeschichte der einzelnen Stücke. Es bleiben sozusagen keinerlei wichtige Fragen offen.

Für die generelle Technikgeschichte der Möglichkeiten auf oder mit Glas zu malen halten die Restauratoren Erkenntnisse fest, die allen an Hinterglas Interessierten nützlich sind. Der Bildträger Glas setzt planes Material in gewisser Größe voraus. Es gibt bekanntlich drei historische Methoden dafür: das Streichverfahren (oder vielleicht besser Gieß- oder Gussverfahren), das Schleuderverfahren (für das sogenannte Mondglas als Absprengprodukt), schließlich das Zylinderblasverfahren (im sogenannten Streckofen vollendet). Noch unbekannt war das barocke Schleifen der Kristallspiegeltrumeaus. Für die Flachglasproduktion und den Flachglashandel gab es seit dem Mittelalter spezialisierte Glashütten, die sich vom 11. bis zum 13. Jahrhundert vornehmlich in Nordwesteuropa entwickelten und zwar im Zusammenhang klösterlicher Handwerkskultur und deren Hüttenofenbau. Daneben existierten aber auch schon private „Ein-Ofen-Anlagen“ zur Herstellung von Glasmasse aus Rohmaterialien in waldreichen Mittelgebirgsgegenden wie Nordwestböhmen oder dem Taunus. Dieses Rohglas konnte dann in Weiterverarbeitungshütten veredelt werden.

Die Bemalung von Glas geschieht auf dreierlei Weise. Erstens die durch Bleiruten zusammengefügten kleinen farbigen Flachgläser aus Einbrand (Kirchenfenster), zweitens die kalte Bemalung auf Flachglas als Bildträger (zunächst meist Kleinscheiben wie später auf Porzellan), drittens der seitenverkehrte kalte Farbauftrag auf der Rückseite, sprich Hinterglas, und als Abart die frühe Zwischenglasmalerei bei Hohlgläserböden. In Nordwest- und Mitteleuropa gibt es seit dem 12. Jahrhundert Beispiele für religiöse Hinterglasmalerei entsprechend zaghafter Flachglasproduktion in passablen Größen.

Der Verlag hat wieder einmal bewiesen, dass nur Bücher etwas leisten können, was sich die Mehrheit der Bildungspolitiker allein vom Internet erwarten und inzwischen auch unsere Bibliotheken schon zu glauben scheinen. Nur hier lässt sich wissenschaftliche Grundlagenarbeit vermitteln für alle, die etwas wirklich wissen wollen.