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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Annegret Braun (Hg.)

Die 50er Jahre im Landkreis Dachau – Wirtschaftswunder und Verdrängung

(Dachauer Diskurse. Beiträge zur Zeitgeschichte und zur historisch-politischen Bildung 9), München 2018, Herbert Utz, 609 Seiten mit Abbildungen
Rezensiert von Johann Kirchinger
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 23.09.2019

Aufgrund ihrer Nähe zur Großstadt ist die bayerische Landstadt Dachau samt Umland eines der lohnendsten Objekte, um den wirtschaftlichen und kulturellen Wandel der zweiten Nachkriegszeit zu beschreiben, zumal sich durch den Standort des Konzentrationslagers in der Kreisstadt auch Aspekte der restaurativen politischen Kultur Bayerns brennpunktartig darstellen lassen. Die von der Volkskundlerin Annegret Braun geleitete Geschichtswerkstatt im Landkreis Dachau hat die gemeinsam von professionellen Forschern und heimatkundlich tätigen Laien erarbeiteten Ergebnisse nun in einem Band zur Geschichte des Landkreises Dachau in den 1950er Jahren vorgelegt. Dabei bezieht sich das Projekt nicht auf den Umfang des historischen, sondern des gegenwärtigen Landkreises.

Zu Beginn gibt der Historiker Wilhelm Liebhart einen Überblick über die wirtschaftsgeschichtliche Entwicklung Bayerns in den 1950er Jahren. Der Geschichtsdidaktiker Helmut Beilner und der Betriebswirt Anton Mayr stellen die wirtschaftliche Entwicklung im Landkreis Dachau vor, wobei ein Schwerpunkt auf die Vorstellung größerer gewerblicher Betriebe gelegt wird. Der Psychologe Jürgen Müller-Hohagen berichtet über die Verdrängung der nationalsozialistischen Verbrechen aus seiner psychologischen Praxis. Einen knappen Überblick über den Umgang mit der Geschichte des Konzentrationslagers Dachau in den beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg bietet der Historiker Dirk Riedel, langjähriger Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Dachau. Die Heimatforscherin Sabine Gerhardus stellt medizinische Spätfolgen der Haft im Konzentrationslager Dachau anhand von Krankenakten des Dachauer Gesundheitsamtes, die im Rahmen von Wiedergutmachungsverfahren entstanden sind, vor.

Den Hauptteil des Bandes bilden Aufsätze, die die Geschichte der einzelnen Gemeinden des Landkreises Dachau behandeln. Sie stammen stets aus der Feder von geschichtswissenschaftlichen Laien, die allerdings in der Heimatforschung bereits eine gewisse Erfahrung besitzen. Auf wirtschaftliche und kulturelle Aspekte wird mehr eingegangen als auf den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Ob dies an der Scheu der Autoren oder ihrer Gewährspersonen liegt, wird angesichts der geringen methodischen Kontrollierbarkeit der Aufsätze nicht klar. Die Aufsätze geben die bekannten Narrative vom wirtschaftlichen Strukturwandel – also Rückgang des primären, Anwachsen des dritten Sektors –, von der schwierigen, aber letztlich erfolgreichen Integration der Flüchtlinge, worauf der wirtschaftliche Um- und Aufschwung wesentlich auch zurückgeführt wird, von kultureller Urbanisierung und langsam wachsendem Wohlstand wieder, ohne dass diese Narrative hinterfragt werden. Dabei besteht die Struktur der Aufsätze im Wesentlichen aus anekdotenhaften Aneinanderreihungen von Ereignissen, deren Auswahl nicht klar wird. Eine analytisch reflektierte Zusammenfassung der Inhalte der Aufsätze durch die Herausgeberschaft hätte dem Band deshalb gutgetan. Denn die Aufsätze enthalten keineswegs uninteressante Schlaglichter auf das bisher kaum erforschte und wenig bekannte Feld der Kommunalpolitik vor der Professionalisierung der Kommunalverwaltungen. In dieser Hinsicht ragt der Aufsatz von Horst Pajung über die bauliche Entwicklung von Karlsfeld heraus. Ohne sich auf die Wiedergabe von Anekdoten zu beschränken, beschreibt er die Dichotomie zwischen dem kommunalpolitischen Druck zum Wachstum und den rechtlichen Beschränkungen. – Der Band macht deshalb nicht zuletzt deutlich, zu was Heimatforschung in der Lage ist und zu was sie in der Lage sein könnte.