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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Beate Baberske/Klaus Raschzok (Hg.)

Zu Ende gewebt. Textilkunst für die letzte Reise. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung im Museum Kirche in Franken, Bad Windsheim, 04.05.2018–10.06.2018

(Schriften und Kataloge des Fränkischen Freilandmuseums 80), im Auftrag der Marienberger Vereinigung für Paramentik e. V. Bad Windsheim 2018, Verlag Fränkisches Freilandmuseum, 144 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, überwiegend farbig
Rezensiert von Barbara Happe
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 20.05.2019

Die Ausstellung „Zu Ende gewebt“ im Museum Kirche in Bad Windsheim zeigte kirchliche Textilkunst für den „letzten Weg“, das heißt für die Gestaltung der Bestattung und des Sterbens, die in verschiedenen Mitgliedswerkstätten der Marienberger Vereinigung für Paramentik, einem Zusammenschluss von kirchlich gebundenen Textilwerkstätten, entstanden ist. Wie Klaus Raschzok in dem Begleitband zur Ausstellung darlegt, soll der innovative Beitrag dieser Werkstätten zur zeitgenössischen Textilkunst und damit auch der Sepulkralkultur sowie ihre wichtige Aufgabe bei der Bewältigung von Verlusterfahrungen dokumentiert werden. Damit wird an die Impulse des evangelisch-lutherischen Theologen Wilhelm Löhe angeknüpft, der 1858 eine Erneuerung der Paramentik angeregt hatte und auf dessen Initiative die weltweit erste evangelische Paramentenwerkstatt im Neuendettelsauer Diakonissenmutterhaus gegründet wurde. Es folgten kurz darauf weitere Gründungen von Paramentenwerkstätten in lutherisch geprägten Diakonissenmutterhäusern.

Die in diesem Band vorgestellten Objekte spiegeln die Auseinandersetzungen der einzelnen Werkstätten mit den tiefgreifenden Veränderungen der Sepulkralkultur der letzten Jahrzehnte wider. Die hier präsentierten Paramente seien laut Raschzok eine Reaktion auf die Individualisierungen im Umgang mit Tod und Sterben, die Hospizbewegung und den Umgang mit vor der Geburt verstorbenen Kindern, den sogenannten Sternen-, Schmetterlings-, Engels- oder Himmelskindern. Raschzok skizziert weitere Aspekte der neuen Vielfalt in der Friedhofs- und Bestattungskultur wie die Entstehung von Friedwäldern.

Die zeitgenössischen Textilkünstler und Kunsthandwerker reagieren nun in vielfältiger und sensibler Weise auf die Wünsche nach Authentizität und Selbstbestimmung der Sterbenden und ihrer Angehörigen. Es sind eindrucksvolle textile Arbeiten zur Ausgestaltung von Kirchenräumen, Altären und Kanzeln, Friedhofskapellen, Aussegnungshallen oder Hospizen entstanden, welche die Trauernden aktiv in das Geschehen einbinden.

So lädt etwa die Künstlerin Kerstin Fröse mit ihrem mehrteiligen, farbigen Altarparament „Vielfalt“, das sich als eine Art Flickenteppich über den Kirchenboden zieht, die Teilnehmer dazu ein, auf dem Band persönliche Wünsche, Gedanken oder Gebete in Form von papiernen Faltschmetterlingen zu hinterlegen. Beate Baberske hat ein begehbares textiles Labyrinth aus halbtransparenten Stoffbahnen als großformatige Installation in verschiedenen Kirchen und zu unterschiedlichen Anlässen in variabler Ausführung realisiert. Dieses Labyrinth ist kein Irrgarten, der Verwirrung und Orientierungslosigkeit stiften soll, sondern es lässt die Trauernden die verschlungenen Wege von Trauer- und Abschiedsprozessen bildhaft spüren. Ein textiler Vorhang aus durchscheinendem Vlies im Raum der Stille im Hospiz von Dessau weckt Assoziationen an fallendes Laub, an den Herbst des Lebens und den nahenden Abschied.

Mit handgewebten Abschiedstüchern können Sterbebetten und Leichname – und dies zumeist in Krankenhäusern – bedeckt werden. Die lichte Farbigkeit, eine heitere Symbolik und die natürlichen Materialien mildern die häufig sterile Atmosphäre in den dortigen Abschiedsräumen und können den Angehörigen die schwere Stunde des Abschieds erleichtern.

Bei der Gestaltung der liturgischen Gewänder werden die neuen Bestattungsorte außerhalb des traditionellen Friedhofes wie etwa der Friedwald einbezogen. Die Ordination von Frauen in der evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig wird mit einem Damentalar gewürdigt. Die einzelnen Entwürfe versuchen, dem spezifischen Anlass und sogar den besonderen Umständen des Todes zu entsprechen wie eine Stola mit der Bezeichnung „Rettungsdecke“ für Menschen, die durch einen Unfall zu Tode kamen. Eine mit Schmetterlingen bedeckte Stola oder ein „Herzgewand(t)“ für die Sternenkinder von Marie-Luise Frey aus Japanpapier, Gaze und getrockneten Rosenblättern verweisen auf die Fragilität des Lebens und die über den Tod hinaus bestehende Liebe.

Die in allen Objekten spürbare Empathie findet sich auch bei den Schmuckurnen aus Filz. Sie verleihen der menschlichen Asche als dem materiellen Substrat des Verstorbenen eine andere Leiblichkeit als metallene Urnen und ein Gefühl von Geborgenheit.

Aus den „Anmerkungen zur Geschichte und Verwendung des Bahrtuchs“ von Reiner Sörries erfahren wir, dass diese Tücher ursprünglich Adel und hohem Klerus vorbehalten waren. Mit der allgemeinen Verbreitung des Sarges seit der frühen Neuzeit waren sie ein Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft wie Zünften oder Gilden. Im 19. Jahrhundert ging mit dem Niedergang der alten Genossenschaftsbildungen und der alten ständischen Ordnung die Bedeutung des Bahrtuches verloren. Heutzutage sind Bahrtücher nur noch bei Staatsbegräbnissen üblich. Die hier gezeigten Beispiele mit abnehmbaren Einsätzen und Schmuckelementen sind ein Versuch, an diesen Brauch anzuknüpfen. Sörries empfiehlt in seiner Eigenschaft als evangelischer Pfarrer, diese für Vereine, weltanschauliche Gemeinschaften und Interessensgemeinschaften aller Art zu nutzen.

In den hier präsentierten Arbeiten zeigt sich eine einfühlsame und kreative Auseinandersetzung mit der Trauer- und Bestattungskultur. Christliche Symbolik fließt in diese Textilarbeiten so zurückhaltend oder gar nicht ein, dass sie auch für den breiten Kreis von kirchlich nicht gebundenen Menschen zugänglich und tröstend sein könnten. Den ästhetisch anspruchsvollen und wirklich berührenden Arbeiten geht es um den gestalteten Ausdruck des Nicht-Sagbaren auf der Ebene sinnlicher Erfahrung. Diesen zu vermitteln, ist auch dem sorgfältigen Begleitband zur Ausstellung mit den sehr guten Abbildungen auf großartige Weise gelungen.