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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Nadja Neuner-Schatz

Wissen Macht Tracht im Ötztal

(bricolage monografien. Innsbrucker Studien zur Europäischen Ethnologie 2), Innsbruck 2018, innsbruck university press, 228 Seiten mit 14 Abbildungen, überwiegend farbig
Rezensiert von Monika Ständecke
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 27.05.2019

Das vorliegende Buch ist in Zusammenhang mit dem aktuell am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck angesiedelten Forschungsprojekt „Tiroler Trachtenpraxis im 20. und 21. Jahrhundert“ entstanden. Die Autorin stellt einleitend ihr Interesse am „Praxisfeld Trachten Machen“ dar, das sich nach ersten Felderfahrungen fokussierte auf „Fragen nach den Zusammenhängen zwischen der gegenwärtigen Praxis der Akteur_innen und dem damit verbundenen Wissen von der Form, der Herstellung, vom Tragen und Beurteilen von ‚Tracht‘“ (11). Am Beispiel der Ötztaler Tracht stellt sich die Untersuchung den Fragen: Wer bestimmt, was „echt“ ist, wie sieht das heute aus und warum. Es geht um einen Wissenskanon, die Verdinglichung von Ideen und Praxen der Vermittlung. Die materielle Ebene des Untersuchungsgegenstandes spielt dabei kaum eine Rolle. Es geht um den Wissensbestand zum Thema Tracht im Ötztal sowie dessen Genese, die Transformation ins Normative und daraus entstandene Effekte, ebenso um wirkmächtige Bilder, Personen, Institutionen und Interessen. Nadja Neuner-Schatz gelingt es, dem Leser einen guten Einblick zu geben in die vielfältigen Interessen, die seit dem Ende des 18. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts die Genese volkskundlichen Wissens motivierten: „alpinistische bis landeskundliche, politische bis sozialreformerische, historische bis literarische“. Bezüglich der Macht, mit der nationale und rassistische Ideologien im 20. Jahrhundert gesellschaftlich relevant wurden, ist am Untersuchungsgebiet besonders interessant, dass Anthropologen nach 1900 überzeugt waren, in Tirol Aufschluss über „germanische Ursprünge“ zu erhalten (69). „Tracht“ war nicht anders zu denken denn als Ausdruck von „Volkstyp“ und „Eigenart“.

Das erste Kapitel klärt über historische Zusammenhänge auf (Bildproduktion, Popularisierung, Topoi, Wissenschaftsgeschichte, Handlungsräume, handelnde Personen, Vereine und Netzwerke, Trachtensammlungen und -feste). Das zweite geht unter der Überschrift „Transformieren“ auf „angewandte Volkskunde“ ein, die die Deutungshoheit beansprucht und im „Beurteilen und Anleiten“ getragen von gesellschaftlichem Konsens auch durchsetzt. Letztlich geht es um die Kategorie der „Echtheit“ (109), die zu einer Zeit gehört, in der es sich die bürgerliche Gesellschaft zur Aufgabe gemacht hat, Kulturgut zu pflegen. Die Maßnahmen, die ergriffen werden, sind erzieherisch (123, 135). Um „Tracht“ als Bildungsgegenstand, Thema der Erwachsenenbildung an Volkshochschulen, Landvolkshochschulen und Landwirtschaftsschulen geht es im vorliegenden Band nur marginal (110 f.). Er informiert allerdings über „Experten“ und Institutionen, die im 20. Jahrhundert darüber verhandeln, was jenseits von historischen Kleidungsstücken „echt“/„Original“ sei und was „Phantasie“. Die von Trachten-Theoretikern für die Trachtenpraxis entwickelte „Vorlagenmappe“ ist thematisiert (123), ebenso die „Womenpower“, mit der die „Mittelstelle Deutsche Tracht“ 1939 ihren Dienst aufnahm (142). Interessant ist das alles bei Weitem nicht nur für die Tiroler Trachtenpraxis. Die institutionalisierte Trachtenpflege in Bayern ist ohne Kenntnis dessen nicht zu erklären. „Trachten“ als Produkt „kreativer“ Volkskunde (127) kann man nirgends so gut untersuchen wie in Tirol. Bleibt zu hoffen, dass weitere Publikationen folgen.

Aktuell ist „Tracht“ eine vestimentäre Praxis unter vielen, die im Kontext des menschlichen Bedürfnisses nach Identifikation, aber auch des Verlangens nach persönlicher Authentizität zu verstehen ist. Trachtenpflege, die als Hilfsmittel zur Schaffung eines „Volk“-Gefühls und Ausdruck dessen konzipiert ist, zielt auf anderes. „Tracht“ funktioniert in beiden Bereichen. Die Autorin erlebte als Teilnehmerin eines Trachten-Nähkurses die „Idealisierung des Tuns“ beim Selbst-Anfertigen einer Tracht mit, voll Staunen über das eigene „Sich-nicht-Einmischen“, das Einhalten des gesetzten Rahmens entgegen individueller Wünsche. Wer demontiert schon gerne selbst geschaffene Ideale?