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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Peter Rauscher/Andrea Serles (Hg.)

Wiegen – Zählen – Registrieren. Handelsgeschichtliche Massenquellen und die Erforschung mitteleuropäischer Märkte (13.-18. Jahrhundert)

(Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 25), Innsbruck/Wien/Bozen 2015, StudienVerlag, 542 Seiten mit Abbildungen, zum Teil farbig, Grafiken, zum Teil farbig, Tabellen
Rezensiert von Reinhold Reith
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 03.06.2019

Der vorliegende Band vereinigt die Beiträge einer 2013 in Krems durchgeführten Tagung in Verbindung zweier Projekte zum Donauhandel, die sich mit der Erschließung der Waag- und Niederlassungsbücher der niederösterreichischen Handelsstadt Krems und der Rechnungen der Donaumaut im oberösterreichischen Aschach befassen. Im Einleitungsbeitrag werden „Fluch und Segen“ der handelsgeschichtlichen Massenquellen angesprochen und das Potenzial zur Erforschung mitteleuropäischer Märkte (13.–18. Jahrhundert) aufgerissen: Massenquellen sind besonders für wirtschafts- beziehungsweise handelsgeschichtliche Fragestellungen von Bedeutung, und im Fokus des Bandes liegen Märkte und Handelsströme. Doch die Massenquellen sind in ihrer Erschließung zeitintensiv und methodisch aufwändig. In vier Sektionen wird die Thematik behandelt, die hier nur knapp in Bezug auf die einzelnen Beiträge referiert werden kann.

Die erste Sektion greift zeitlich und räumlich übergreifend die Thematik „Städte und Handel“ auf und behandelt serielle Quellen im städtischen Verwaltungsschriftgut des Hoch- und Spätmittelalters (Elisabeth Gruber), Messbücher und Messrechnungen der Basler Messen bis 1647 (Davina Benkert), Gerichtsakten des Bozner Merkantilmagistrats (Andrea Bonoldi) sowie die Krakauer Zollregister (Jacek Wijaczka). Der Beitrag zu Krems an der Donau (Andrea Serles) kann sich auf die in hoher Dichte überlieferten Kremser Waag- und Niederlagsbücher stützen, in denen immerhin 9 000 Personen aus 900 Orten aufscheinen. Die online-Edition wird vorgestellt: Die internetfähige Datenbank bietet Auswertungsmöglichkeiten zu Handelskonjunkturen, Warenvielfalt und Akteuren (bes. Geschäftsbeziehungen und Netzwerke) sowie die Chance einer regionalen Zuordnung.

In der Sektion „Warenströme und Wasserwege“ wird der Warenverkehr auf der Elbe zwischen Pirna und Wittenberg anhand der Wasserzölle im 15./16. Jahrhundert (Uwe Schirmer) ebenso behandelt wie Quellen zum ungarischen Donauhandel des 16. Jahrhunderts (Attila Tózsa-Rigó) oder die geldrischen Zollrechnungen im Einzugsgebiet des (Nieder-)Rheins im 16. und frühen 17. Jahrhundert (Job Weststrate) sowie der Güterverkehr auf der österreichischen Donau im selben Zeitraum (Erich Landsteiner). Mit dem Beitrag „Sound Toll Registers Online” (Jan Willem Veluwenkamp) wird ein probates Instrument für die Erforschung des frühneuzeitlichen Ostseehandels vorgestellt, denn anhand der 700 Rechnungsbände lassen sich die Warenströme immerhin über drei Jahrhunderte verfolgen. In seinem Beitrag über die Aschacher Mautprotokolle als Quelle des Donauhandels (17./18. Jahrhundert) fordert Peter Rauscher eine Schließung der gewaltigen Forschungslücken im Bereich der Zollgeschichte, speziell für den Donauraum, der die wichtigsten europäischen Wirtschaftsräume verbinde: Auch beim Projekt „Donauhandel“ reichen die Bücher bis in die 1760er Jahre, da die Maut Aschach erst 1775 aufgehoben wurde. Wiederum ermöglicht eine Datenbank die Erschließung und Verknüpfung eines dichten Quellenbestandes und lässt Strukturen und Wandlungsprozesse erkennen. Neben Händlern und Passagieren wird auch die Warenvielfalt angesprochen.

Die dritte Sektion behandelt „Handelshäuser und Massenquellen“, wobei zunächst der Lyoner Seidenzoll (Heinrich Lang) vorgestellt wird, der um die Mitte des 16. Jahrhunderts steigende Importe beziehungsweise eine wachsende Nachfrage und einen von Kaufmannsbankiers aus Lucca dominierten Markt erkennen lässt. Die Genueser Einfuhr kann jedoch nur über die Firmenbücher erschlossen werden. Mark Häberlein kann anhand der Firmenbücher Augsburger Handelsgesellschaften des 16. und frühen 17. Jahrhunderts beziehungsweise durch die Überlieferung der Augsburger Welser zeigen, dass die Augsburger im Donauraum besonders mit Textilien, Gewürzen, Leder und Papier handelten; donauaufwärts kamen Ochsen sowie Getreide und Wein hinzu, woran die Augsburger allerdings keinen Anteil hatten. Von der seriellen Kommunikation beziehungsweise der kommerziellen Korrespondenz der Saminiati in Florenz und Venedig im 17. Jahrhundert sind 300 000 Briefe überliefert, deren Potential am Beispiel Wiegen, Zählen und Registrieren Christof Jeggle erläutert.

In der vierten Sektion „Methodische Fragen: Massenquellen und ihre Auswertung“ geht Werner Scheltjens auf das zentrale methodische Problem der Konvertierungsmöglichkeiten der Maße und Gewichte am Beispiel der Sundzollregister ein und schlägt den „Tonnenkilometer“ vor, um die Strukturen des internationalen Güterverkehrs zu vergleichen. Klemens Kaps nutzt die Merkantiltabellen der Habsburgermonarchie als Messinstrument für Güterströme, hier des galizischen Außenhandels im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert im Kontext der Ausbildung einer gesamtstaatlichen Statistik. Abschließend fragt Jürgen Jablinski: „Können Maschinen lesen?“ Er lotet die Möglichkeiten und Grenzen IT-gestützter Erschließung handschriftlicher Massenquellen aus und zieht ein abgewogenes Fazit zu den Möglichkeiten der automatisierten Verfahren in der Praxis: Sie können nicht alles, aber vieles lesen, und dies immer besser!

Der Sammelband gibt einen guten Einblick in das rege Forschungsfeld und die Quellenvielfalt der Handelsgeschichte, wobei insbesondere die Vorzüge und Schwächen verschiedener „Massenquellen“ diskutiert werden. Sie können für verschiedene Fragestellungen genutzt werden und mitunter eine Brücke schlagen, wie zum Beispiel der Beitrag von Andrea Bonoldi zeigt: Vor dem Bozener Merkantilmagistrat wurden immerhin 13 000 Handelsprozesse von 1633 bis 1850 abgehandelt, und tatsächlich wurden durch diese Institution eine Verringerung der Transaktionskosten erreicht und Verfügungsrechte garantiert. Herbert Hassinger war noch 1987 davon überzeugt, dass die Anwendung der EDV bei der Analyse der Register unmöglich sei. Der vorliegende Band veranschaulicht die Erschließungsmöglichkeiten durch solche Datenbanken, was allerdings nur in Einzelfällen paradigmatisch durchführbar ist. Während sich die ältere Forschung vor allem auf die Zeit vom 15. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts konzentrierte, zeigt der Band neben methodischen Neuansätzen auch eine zeitliche Ausweitung. Inhaltlich-thematische Erweiterungen werden in mehreren Beiträgen deutlich, wenngleich die „materielle Kultur“ meist nur implizit angesprochen wird. Gerade die „world of goods“ bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für andere Fachrichtungen.