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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Sarah May

Ausgezeichnet! Zur Konstituierung kulturellen Eigentums durch geografische Herkunftsangaben

(Göttinger Studien zu Cultural Property 11), Göttingen 2016, Universitätsverlag, 326 Seiten mit 44 Abbildungen
Rezensiert von Kurt Luger
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 03.06.2019

Alles Käse? Mitnichten. Emmentaler ist nicht gleich Emmentaler, und wenn Allgäu draufsteht, so muss auch Allgäu drinnen sein, die lokal spezifische Umgangsform mit Milch und Produktionsweise. Das kann eben nicht jedes Unternehmen für sich in Anspruch nehmen.

Sarah May befasst sich am Beispiel von vier Käsesorten – zwei italienischen, zwei deutschen – mit dem Herkunftsschutz, als Anthropologin ist sie aber an vielen anderen Aspekten, vereinfacht gesagt an der kulturellen Dimension, interessiert. Denn in den Inwertsetzungen kulturellen Erbes lassen sich ihrer Meinung nach auch Transformationsprozesse beobachten, gelten geografische Herkunftsangaben doch als Indiz, als Instrument und Interaktionszusammenhang, werden europäische Regularien mit lokalen Realisierungen kontrastiert, lassen sich Effekte symbolischer, juridischer und ökonomischer Inwertsetzung von – in ihrem Fall – kulinarischer Kultur studieren.

Noch nie war im Essen beziehungsweise im Kühlschrank so viel Raum gelagert, gingen Region und Kulinarik eine so enge Verbindung ein, waren historisch überlieferte Herstellungs- oder Kochpraktiken so relevant. Akzentuiert wird alles durch entsprechende auflagenstarke Hochglanzmagazine und Fernsehsendungen oder durch Geheimtipps von Influencern, die über neue Hostessenmedien Trends befeuern oder in ihrem Kielwasser segeln. Geografische Herkunftsverweise springen den Käufern als Verkaufsargument im Kaufhausregal ins Auge und sind von entscheidender Bedeutung im wachsenden Segment des Wohlfühl- und Genusstourismus. Dort vermählen sich Raum und Kulinarik in einer emotionalen Geografie, die sich über Gerichte aneignen lässt. Auch Messen und Märkte inszenieren diese Emotionalität, Führungen durch Produktionsbetriebe heben diese auf den Status von kulinarischen Museen. Es geht also wesentlich auch um Storytelling, um den Kontext und die Geschichten, die die Produkte und ihre Herkunftsregion erzählen können. Diese sind wiederum relevant für die Identität der Bewohner und Produzenten dieser Güter, denn sie schaffen, wie Richard Sennett für das Handwerk ausführte, jene Bezüge und Resonanz, die territoriale Zugehörigkeit entstehen lassen.

Es gehört zweifellos zu den Eigenarten unserer postkapitalistischen wie postmodernen Gesellschaft, dass der Tauschwert auch alltagsnaher Güter, wie der Käse eines ist, ihren ökonomischen Wert bestimmt. Käse wird somit zu einem exquisiten Kulturgut, weil er mit einer Herkunftsgeschichte ausgestattet wurde und die Göttinger Arbeitsgruppe, die sich seit gut zehn Jahren mit Cultural Property auseinandersetzt und der auch Sarah May angehört, legt damit auch den Finger auf einen gesellschaftspolitisch eminent wichtigen Zusammenhang. Gleichwohl bildet die in der regionalen Besonderheit enthaltene Tradition einen Gegenpol zur Übermacht gesichtsloser, massenproduzierter Lebensmittel. Die Autorin kann nachweisen, dass die Auszeichnung regionaler Spezialitäten zum Nutzen der Produzenten wie der Konsumenten erfolgt, der symbolische Wert sich also materialisiert, womit nicht nur nationale Schutzmechanismen gerechtfertigt sind, sondern auch der Anspruch auf raumgebundene Kollektivrechte.