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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Stephan Selzer (Hg.)

Die Konsumentenstadt. Konsumenten in der Stadt des Mittelalters

(Städteforschung, Reihe A: Darstellungen 98), Köln/Weimar/Wien 2018, Böhlau, 287 Seiten mit Abbildungen
Rezensiert von Melanie Burgemeister
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 10.06.2019

Der Band versammelt die Vorträge der gleichnamigen Tagung, die am 16. und 17. März 2015 in Münster am Institut für vergleichende Städtegeschichte stattfand. Bei Tagung und Buch handelt es sich um eine Kooperation des Münsteraner Instituts mit der Mittelalterprofessur der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr in Hamburg. Die 13 Beiträge des Tagungsbandes nähern sich aus verschiedenen Perspektiven dem städtischen Konsum im Mittelalter. Die behandelten Themen erstrecken sich von theoretischen Überlegungen über die Funktion des Wachstums von Städten sowie der Analyse bestimmter Konsumentengruppen bis hin zu den Quellen mittelalterlicher Konsumgeschichte und ihrem Potential für die Forschung.

Einleitend wird in drei Beiträgen die Theorie der Konsumentenstadt aus unterschiedlichen Blickwinkeln untersucht. Zunächst umreißt der Herausgeber, Stephan Selzer, die bisherigen typisierenden Überlegungen zur Definition einer Konsumentenstadt. Den Ausgangspunkt bilden die Theorien von Max Weber, Werner Sombart und Karl Bücher. Diese drei Ansätze des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts vergleicht Friedrich Lenger in seinem Beitrag zu Begriff und Wesen der Städtebildung und verweist auf Bedeutung und Kontext von Sombarts Städtetheorie. Weitere vielversprechende Ansätze für die kritische Auseinandersetzung mit konsumgeschichtlichen Stadtkonzepten finden sich in der althistorischen Forschung, die Volker Grieb anhand der Frage von Paradigma und Paradoxon der Konsumentenstadt vorstellt.

Mit dem Wachstum von Städten beschäftigen sich die folgenden zwei Beiträge. Die Konjunkturprogramme schnell wachsender Städte thematisiert Frank G. Hirschmann. Er untersuchte bereits in früheren Publikationen die ‚Boomtowns‘ Lüttich und Verdun um die erste Jahrtausendwende. In seinem Beitrag stellt er die vergleichenden Ergebnisse dieser Fallstudien vor. Es geht ihm dabei weniger um Konsumtion, sondern vorwiegend um Investitionen im Bausektor und deren Auswirkungen. Gerrit Deutschländer befasst sich mit irischen Abteistädten. Zu deren Entwicklung habe der Nahmarkt die wesentlichen Impulse gegeben. Der Autor plädiert daher für eine Offenheit des Konzepts der Konsumentenstadt, das modifiziert und flexibler gestaltet werden müsse, um auch regionale Sonderentwicklungen darin einbinden zu können.

Einen Blick auf die inneren und äußeren Konsumverhältnisse werfen die folgenden Beiträge. Sven Rabeler beschäftigt sich mit Konsumenten, Märkten und Städten im Rahmen von Konsumbeziehungen als Faktor der Urbanisierung. Sein Fokus liegt dabei auf dem norddeutschen Raum im 12. und 13. Jahrhundert. Aufbauend auf Sombarts Überlegungen nähert er sich Klöstern, Märkten und der Stadtentwicklung anhand zahlreicher Beispiele. Das päpstliche Rom der Frührenaissance steht bei Arnold Esch im Mittelpunkt. Er fasst die Ergebnisse seiner Arbeiten über die römischen Zollregister zusammen. Diese Quelle ist von 1445 bis 1485 relativ vollständig erhalten und bietet einzigartige Einblicke in die Einkünfte der Residenzstadt. In seinem sehr interessanten Beitrag stellt er den weitreichenden Einfluss des päpstlichen Hofes auf die Stadt und den städtischen Konsum vor.

In den drei folgenden Beiträgen rücken spezifische Konsumentengruppen in den Fokus der Betrachtung. Joachim Schneider untersucht die Frage, ob es sich bei adligen Konsumenten um ein Randphänomen oder eine Massenerscheinung handelte. Anhand bisher nicht analysierter Zeugnisse zu den Adelsturnieren in Würzburg und Mainz von 1479 beziehungsweise 1480 nähert er sich exemplarisch dem vielschichtigen Thema Adel und Stadt. Eine weitere Konsumentengruppe auf städtischen Märkten untersucht Karsten Igel. Er spürt dem Konsumpotential geistlicher Institutionen in mittelalterlichen Städten nach. Neben einem Forschungsüberblick stellt er den Konsum von ländlichen Klöstern auf städtischen Märkten vor. Einen Schwerpunkt bildet der Markt in der Kathedralstadt Osnabrück. Die letzte untersuchte Personengruppe des Bandes sind Studenten in Universitätsstädten. Nach einer Einführung in die Universitäten im spätmittelalterlichen Reich stellen Enno Bünz und Alexander Sembdner die wirtschafts- und konsumgeschichtlichen Aspekte der Universitätsgeschichte vor und beschreiben die Studien- und Lebenshaltungskosten in Leipzig unter anderem anhand von Bier und Wein. Weitere Blickwinkel eröffnen die Analyse von Rektoratsrechnungen, die von 1499 bis 1531 lückenlos erhalten sind, sowie der Wohnungsmarkt und der Buchbesitz und ‑handel. Abbildungen der benutzten Quellen erlauben einen anschaulichen Einblick in die Forschungsleistung zu diesem umfassenden Beitrag.

Einen stadttypologischen Ansatz verfolgt Uwe Schirmer mit der Frage der Nahrungsmittelversorgung eines Bergbaureviers. Er untersucht hierzu das obersächsische Erzgebirge als Konsumentenregion in der Zeit von 1470 bis 1547. Die letzten beiden Beiträge des Bandes widmen sich den Quellen zur Konsumentenstadt. Edgar Ring stellt das Potenzial archäologischen Fundgutes für die Erforschung städtischen Konsums am Beispiel Lüneburg vor. Er nähert sich dem Themenfeld dabei anhand bestimmter Fundguttypen: Keramik und Glas, Textilien, Botanik, schriftliche Quellen und lokale Produktion. Ein zwölfseitiger Katalog mit Fotografien einzelner Objekte rundet den Überblick ab. Im abschließenden Beitrag wird der interdisziplinäre Blick von Gudrun Gleba auf die Rechnungsbücher des Mittelalters gelenkt. Aus verschiedenen Perspektiven betrachtet sie die Aufzeichnungen von Einnahmen und Ausgaben, die oftmals nur in Auszügen ediert wurden. Sie stellt dabei die Verwendung und Auswertung für verschiedene Fachbereiche vor.

Insgesamt präsentiert der Band einen interdisziplinären Einblick in Konsumentenstädte und Konsumentengruppen im Mittelalter. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Forschungen zum 15. Jahrhundert, öffnet den Blick jedoch auch zurück bis in die Antike. Zudem werden die zentralen Theorien des 19. und 20. Jahrhunderts diskutiert und auf ihre Anwendbarkeit in der Gegenwart untersucht. Die Beiträge lassen die intensive und teils langjährige Beschäftigung mit den vorgestellten Aspekten erkennen und bieten einen sehr guten Zugang zum Themenfeld sowie einen lesenswerten Überblick über die aktuellen Forschungsdiskurse. Die Bedeutung des Konsums für die Stadtforschung wird dabei klar herausgestellt und erscheint als wichtiger Blickwinkel für das Verständnis vergangener Lebenswelten.