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Sascha Winter

Das Grab in der Natur. Sepulkralkunst und Memoriakultur in europäischen Gärten und Parks des 18. Jahrhunderts

Petersberg 2018, Michael Imhof, 520 Seiten mit 523 Abbildungen, davon 364 farbig
Rezensiert von Barbara Happe
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 10.06.2019

Die großangelegte Monographie über das Grab in der Natur basiert auf der Dissertationsschrift von Sascha Winter, die 2015 an der Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg angenommen wurde. Sie untersucht die lange kulturgeschichtliche Tradition der Vorstellungen von Gartenbegräbnissen und die Sehnsüchte nach einem Grab im Garten. Seit 1700 wurden in europäischen Parks und Gärten und selbst in freier Landschaft zumeist adelige Begräbnisse angelegt und dieser einsetzenden Tradition will der Autor auf breiter Basis nachgehen. Ihn interessieren vor allem gartenkunstgeschichtliche sowie sozial- und kulturhistorische Kontexte der Gartenbestattungen und er betont wiederholt seine „multiperspektivische“ Sichtweise.

Die Studie ist in vier große Hauptkapitel untergliedert. Im ersten werden die wichtigsten europäischen Vorläufer eruiert. Das zweite Kapitel legt den Fokus auf England und Frankreich und im dritten Kapital werden „erstmals“ (?) „die theoretisch-medialen Reflexionen über Grab- und Denkmäler in der besonders reichen deutschsprachigen Gartenpublizistik des späten 18. Jahrhunderts dargestellt und ausgewertet“ (22). Das vierte Kapitel widmet sich schließlich den Gartengräbern in deutschen Territorien des 18. Jahrhunderts mit ausführlichen Einzeldarstellungen.

Zunächst werden europäische Vorläufer des 16. und 17. Jahrhunderts, zu denen etwa in Italien etruskische Scheingräber in Form künstlicher Grabruinen, fiktive Grabanlagen und Gedächtnistempel für Verstorbene zählen, vorgestellt. Ein früher Beleg für einen Gedächtnishain in Deutschland ist der nördlich von Nürnberg gelegene „Irrhain“ für den 1644 gegründeten „Pegnesischen Blumenorden“, der seit 1676 als Erinnerungs-, Fest- und Versammlungsort für die bis heute existierende Literatur- und Sprachgesellschaft dient. Der Orden hatte sich der barocken Schäferdichtung verschrieben. In dem irrgartenähnlichen Hain befindet sich ein kleines, als Kirchhof bezeichnetes Areal, in welchem der verstorbenen Mitglieder mittels Monumenten in Form von Grabmälern und Gedächtnistafeln, die an Bäumen angebracht wurden, gedacht wurde. Er wurde ursprünglich als „Gedächtnüs-Platz der seelig-entseelten Ordens-Glieder“ (46) bezeichnet und fungierte lange Zeit als kollektiver Memorialort, der noch 1813 und 1905 mit Denkmälern für die Ehrenmitglieder Christoph Martin Wieland und Friedrich Schiller geschmückt wurde. Die Pegnitzschäfer, wie sich die Mitglieder des Ordens nannten, errichteten ihren fürstlichen und patrizischen Adressaten zu verschiedenen Anlässen literarische Ehrenmäler, womit der tatsächliche Begräbnisort der Ordensmitglieder eine mediale Erweiterung erfuhr. In der breiten literarisch-visuellen Vermittlung spielte eine pietistisch gefärbte Naturallegorese eine wichtige Rolle. Die pegnesische Memorialpraxis war durch die historiographischen Denkmäler der „Fruchtbringenden Gesellschaft“ des 17. Jahrhunderts vorgeprägt.

Im Weiteren werden die ersten echten Grabstätten in der Natur und deren teilweise verschlungene Entstehungs- und Planungsgeschichte sehr eingehend erörtert, so die Grablege von Johann Moritz von Nassau-Siegen bei Kleve, die bekanntlich zum Vorbild Friedrichs II. für seine eigene Grabstätte wurde. Auch der englische Diskurs über die Gartenbegräbnisse und die protestantisch inspirierten Forderungen nach außerstädtischen Begräbnissen durch namhafte Architekten wie Christopher Wren und den Universalgelehrten John Evelyn, der im Elysium Britannicum eine Abhandlung über Gartenbestattungen und deren Ausstattungen verfasst hatte, werden nachgezeichnet. Eindrucksvoll präsentieren sich die englischen Mausoleen des 18. Jahrhunderts, und das bürgerliche Grab auf eigenem Grund und Boden nahm seit dem 18. Jahrhundert einen regen Aufschwung.

Der Blick nach Frankreich fällt zunächst auf das berühmte und wirkmächtigste Grab von Jean Jacques Rousseau auf der Pappelinsel im Park von Ermenonville, das zur „säkularen Wallfahrtsstätte“ wurde und in einigen europäischen Gartenanlagen nachgebildet wurde. Sascha Winter rezipiert umfassend die Grabanlagen und Staffagen, die in der französischen Gartenliteratur und in Stichwerken abgebildet sind. Er thematisiert den Totenkult der Revolutionäre, namentlich das Begräbnis von Jean Paul Marat im Garten eines ehemaligen Klosters, des Couvent des Cordeliers, der, ähnlich wie Rousseau, als „Mann der Natur“ gefeiert wurde. Die bürgerlichen Gartenbegräbnisse, die nach der Diskussion um die Schließung der innerstädtischen Begräbnisplätze in Frankreich entstanden, werden ebenfalls in Wort und Bild ausführlich dokumentiert.

Das dritte Hauptkapitel beginnt mit der umfänglichen Diskussion der Theorie der Gartenkunst von Christian Cay Lorenz Hirschfeld und dessen Reflexionen über das Park- und Gartengrab sowie seine Ausführungen zu den als melancholische Gärten bezeichneten Friedhöfen. Es werden die deutschen Gartenjournale und Gartenkunstzeitschriften des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts hinsichtlich ihrer Darstellungen von Grabmälern, Mausoleen, Kenotaphen sowie ihrer Vorschläge für Grabinschriften und ihrer geschmacksbildenden Ambitionen ausgewertet. Dies trifft auch auf die seit den 1790er Jahren erscheinenden Tafel- und Musterwerke zur Garten- und Baukunst wie etwa Leos Magazin für Freunde des guten Geschmacks (1794–1800) zu, die Vorlagen zu Denk- und Grabmälern in Gärten und deren angemessene Positionierung publizierten.

Die Gartengräber gerieten bereits um 1800 in die Kritik und fiktive wie echte wurden in der Gartenpublizistik und Gartentheorie zunehmend als Gegenstand der Gartenkunst verworfen (179), resümiert Winter. Gleichwohl genoss das Gartengrab sowohl in adeligen als auch in bürgerlichen Kreisen weiterhin eine große Attraktivität.

Friedrich der Große war nicht nur der ranghöchste, sondern erste Initiator eines Gartengrabes. Die Pläne für seine Gruft in Sanssouci und die ihr innewohnende Ablehnung einer herrschaftlichen Repräsentation im Grabe sowie seine ideengeschichtlichen Referenzen werden umfassend erörtert. Es folgen weitere detaillierte Einzeldarstellungen von Gartengräbern und ihren naturräumlichen Umfeldern.

Ausführlich werden antike Ursprünge und Vorbilder von der Vorstellung vom Grab in der Natur und die vielfältigen Vermittlungen des Grabes in Arkadien ab Mitte des 16. Jahrhunderts zunächst in Italien und dann ab dem 17. Jahrhundert im europäischen Kontext diskutiert. Hinsichtlich der Auftraggeber und ihres konfessionellen Hintergrundes zeichnete sich seit dem 18. Jahrhundert eine protestantische Dominanz ab. Sie werden als eine Art Gegenentwurf zu den traditionellen Kirchbestattungen interpretiert, womit Winter die Befunde anderer Autoren inklusive die der Rezensentin bestätigt. Der europäische Vergleich zeigt die enorme Vielfalt von Grabtypen und -formen, die in dieser Zeit entstanden sind. Diesbezüglich betont Winter immer wieder die Heterogenität der Auftraggeber. Zudem werden die zeremoniellen Praktiken und Trauerakte untersucht, die Anknüpfungen an protestantische Begräbniszeremonien aufweisen und nicht nur kirchlich sanktioniert wurden, sondern auch geistlichen Beistand erfuhren. Bemerkenswert ist in diesem Kontext, dass die Gedenkfeiern und Memorialkulte verschiedentlich schon zu Lebzeiten der Auftraggeber stattfanden.

Das enzyklopädisch angelegte Werk ist eine gigantische Materialschau, die sich durch eine große Informationsdichte auszeichnet – und das macht es schon jetzt zu einem Standard- und Nachschlagewerk für die Entwicklung und Gestaltung des Grabes in der Natur. Das Buch ist mit über 500 vielfach großformatigen und farbigen Abbildungen exzellent illustriert, eine Rarität in der heutigen Buchproduktion, die den Autoren meist eine dicke finanzielle Eigenbeteiligung abverlangt. Sehr verdienstvoll ist die Syntheseleistung, die dem Autor durch die umfängliche Zusammenschau von teilweise durchaus Bekanntem und neuen Quellen gelungen ist.