Aktuelle Rezensionen
Klaus Haller (†)/Wilhelm Liebhart (Hg.)
Geistliche Spiele der Barockzeit aus Oberbayern
(Editio Bavarica 4), Regensburg 2017, Pustet, 532 Seiten mit AbbildungenRezensiert von Manfred Knedlik
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 03.06.2019
Gemessen an dem Interesse, welches dem Jesuitendrama seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zuteilgeworden ist, haben die geistlichen Spiele anderer Ordensgemeinschaften – mit Ausnahme der benediktinischen Theaterkultur, der sich die Forschung seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in stärkerem Maße zuwandte – bislang eher geringe Aufmerksamkeit gefunden. [1] Eine Ursache dafür liegt sicherlich in der fehlenden Erschließung und Aufarbeitung der materiellen Grundlagen. In Bibliotheken und Archiven sind viele Quellen erhalten, die aber nur ansatzweise gesichtet, entziffert, veröffentlicht und so für eine breitere (Forschungs-)Öffentlichkeit verfügbar gemacht worden sind. Diesem Desiderat stellt sich die vorliegende, sorgfältig erarbeitete und kommentierte Edition, die in der verdienstvollen Reihe „Editio Bavarica“, herausgegeben von dem Augsburger Germanisten Klaus Wolf, erschienen ist.
Versammelt sind im vorliegenden Band sieben bislang unbekannte „Comoedien“ aus vier Klöstern, die Zeugnis geben von der lebhaften Theaterbegeisterung der Ordensfrauen und Ordensmänner aus dem Birgittenkloster Altomünster, der Zisterzienserabtei Fürstenfeld und den Augustiner-Chorherrenstiften in Indersdorf und Weyarn. Hinzu kommt ein (unvollständiges) Passionsspiel aus dem Markt Altomünster, überliefert im dortigen Klosterarchiv in einer Reinschrift aus dem Jahr 1753, möglicherweise als Widmungsexemplar für die Äbtissin Rosa Kögl (reg. 1715–1745, gest. 1754) oder den Prior Jacob Scheckh (reg. 1724–1755) gedacht (329). Geboten werden die Texte „in paläographisch-diplomatischer Abschrift“ (7), allerdings mit moderner Zeichensetzung sowie Groß- und Kleinschreibung; trotz dieser Zugeständnisse an heutige Lesebedürfnisse erfolgt die Edition also möglichst textnah und bewahrt damit die Authentizität des historischen Dokuments und macht das Material, als Zeugnis des Schriftbaierischen des 17. und 18. Jahrhunderts, auch für sprachliche Untersuchungen auswertbar.
Die Auswahl der Schauspiele lässt die vielfältigen Anlässe und Gelegenheiten zum Theaterspiel erkennen. Natürlich darf ein Passionsspiel, wie die vorgestellte „Passio Domini nostri Jesu Christi“ (354–429), nicht fehlen. Bekanntlich erlebte das geistliche Volksschauspiel im Zeichen barocker Frömmigkeit seine größte Blüte, insbesondere die dramatische Präsentation der Leidensgeschichte Jesu geriet im 17. und 18. Jahrhundert gleichsam zu einer „Pflichtaufgabe“ (Walter Hartinger) von Kleinstädten, Märkten und Dörfern. Allein in den heutigen Regierungsbezirken Ober- und Niederbayern, Oberpfalz und Schwaben lassen sich vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts nahezu 200 Spielorte festmachen. Ihren besonderen Wert gewinnt die Edition der Altomünsterer „Passio“, die an diesem Beispiel erneut die vielfältige Physiognomie des Mediums ins Blickfeld rückt, durch die eindringliche Vergegenwärtigung der Genese und Rezeption solcher Texte: Das Spiel schöpft aus den Passionsdramen des Augsburger Meistersingers Sebastian Wild [2] und des Jesuiten Andreas Brunner sowie in einer Passage aus dem „Gantz Passio“ des Hans Sachs (329–330), vermengt also evangelische und katholische Vorbilder im Interesse der eigenen Wirkungsabsichten; in den Fußnoten zur Quellenedition machen die Herausgeber die Arbeitsweise des unbekannten Kompilators nachvollziehbar.
In besonderer Weise veranschaulichen die edierten Spielhandschriften die Gattungsvielfalt der frühneuzeitlichen Ordensdramatik. Geistliches Spiel fand zu den unterschiedlichsten Anlässen statt: Theatral(-musikalisch) umrahmt wurden Patronatsfeiern und Jahrestage der Klostergeschichte (so bot die 1000-Jahr-Feier des Klosters Altomünster den Anstoß für ein „Freud- und Ehren-Spiell“ mit dem Titel „Der Heilige Abbt Alto, ein neu wunderlicher Orpheus oder Härpffenist“, 266–325), Stiftergedenken oder biographische Stationen und Jubiläen der Klostervorsteher (so brachte man 1759 zum Namensfest des Indersdorfer Abtes Gelasius Morhart ein „Singspill [...]. Die vor Inderstorff sorgende Vorsicht“ auf die Bühne, 451–466); mit szenischen Darbietungen würdigte man den Besuch hoher Gäste im Kloster, so 1739 in Fürstenfeld, als Abt Konstantin Haut das allegorische Huldigungsspiel „Glaube, Gerechtigkeit und Stärke“ zu Ehren des Kurfürsten Karl Albrecht von Bayern verfasste (438–441); mit großer Intensität widmete man sich schließlich dem Schultheater, das seine didaktische und pädagogische Wirksamkeit bei der Vermittlung christlicher Moral entfalten sollte (in Weyarn wirkten 1646 oder 1649 an der Aufführung des „Edmundus“ 37 Schüler sowie zwei Fratres mit).
In knappen, aber kenntnisreichen Einführungen zu den Spieltexten verorten die Herausgeber die Spiele im klösterlichen Umfeld, geben eine Zusammenfassung des Inhalts und stellen jedes „Drama“ – wobei die Texte nur selten mit den heute gängigen Begriffen zu fassen sind – in seinen jeweiligen intertextuellen und performativen Kontext. Zusammengefasst lautet das Fazit: Eine verdienstvolle Edition, die den Blick öffnet für einen – trotz einiger jüngerer Anstrengungen [3] – immer noch unzureichend gehobenen Schatz und der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem frühneuzeitlichen Klostertheater neue Impulse verleihen wird.
Anmerkungen
[1] Wichtige Ausnahme: Richard Schmied: Bayerische Schuldramen des 18. Jahrhunderts. Schule und Theater der Augustiner-Chorherren in Oberbayern unter besonderer Berücksichtigung des Stiftes Weyarn. Diss. München 1964.
[2] Dazu demnächst: Manfred Knedlik (Hg.): Das Passions- und Osterspiel (1566) von Sebastian Wild (Editio Bavarica 7). Regensburg 2019.
[3] Manuela Oberst: Exercitium, Propaganda und Repräsentation. Die Dramen-, Periochen- und Librettosammlung der Prämonstratenserabtei Marchtal (1657 bis 1778) (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen 179). Stuttgart 2010; Ulrich Scheinhammer-Schmid (Hg.): „Hertzhafft und keckh“. Ulmer Schul- und Klosterdramen aus dem 17. und 18. Jahrhundert (Bibliotheca Suevica 31). Konstanz/Eggingen 2011.