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Ulrike Scherzer/Juliana Socher

Altweiberwohnen. Gespräche und Fotografien über das Wohnen im Alter

Salzburg/Wien 2016, Residenz Verlag, 152 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, meist farbig
Rezensiert von Esther Gajek
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 17.06.2019

Es spricht manches dagegen, „Altweiberwohnen“ in einer volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Fachzeitschrift zu rezensieren: Das Buch der Architektin Ulrike Scherzer und der Fotografin Juliana Socher bezieht keinen aktuellen Forschungsstand ein, reflektiert die Auswahl der Probandinnen nicht, macht keinerlei methodische Angaben, und aus den Ich-Erzählungen der „Altweiber“ geht auch nicht hervor, wo bei den Gesprächen, die zugrunde lagen, gekürzt oder geglättet wurde. „Gespräche und Fotografien über das Wohnen im Alter“ erhebt aber auch nicht den Anspruch eines Fachbuches, sondern stellt ein gut lesbares, in Bild und Text von Empathie geleitetes Werk dar, das hochbetagte, alleinstehende Frauen in ihrem langjährigen Wohnumfeld zeigt – in Worten und in Bildern. Die (sicher bearbeiteten) Schilderungen der neunzehn Frauen aus Deutschland und Österreich, vom Land und aus der Stadt, enthalten, und das macht den Band lesenswert, viel Wissenswertes. So wird die Kontinuität im Leben deutlich, sei es in Interessen oder in Beziehungen und auch die generationelle Prägung durch den Krieg und die Nachkriegszeit: Das Improvisieren bestimmt bei vielen der Porträtierten das Leben und Wohnen bis heute, ebenso der enge Zusammenhalt in den Familien und in der Nachbarschaft. Auch der allmähliche Rückzug in die eigenen vier Wände, ein für über 80-Jährige gängiges Kennzeichen ihres Lebens, wird thematisiert – ein Faktum, das die hohe Bedeutung des Wohnortes gerade für diese Altersgruppe unterstreicht. Nun umziehen zu müssen, sich an ein neues Umfeld zu gewöhnen, vor allem aber alle vorhandenen, oft über Jahrzehnte gewachsenen Beziehungen zu verlieren, kommt einer Katastrophe gleich.

Wie leben hochbetagte Frauen? Wie strukturieren sie ihre Tage, ihre Wochen? Was gibt ihnen Halt? Auch auf diese Fragen hat der Band Antworten. Hier ist von Disziplin die Rede, vom Bestreben, den Kindern nicht zur Last zu fallen, von körperlichen und geistigen Aktivitäten, um dem Altern Einhalt zu gebieten, und so indirekt auch von einem gesellschaftlichen Altersbild, das Fit-Sein und Selbständigkeit betont, wenn nicht fordert. Aus den Porträts gehen nicht nur diese Strategien hervor, sondern auch Ängste und Sorgen, allen voran die Angst vor dem Pflegeheim. Die Vorstellung, dort leben zu müssen, gerät für die meisten zu einer „Horrorvorstellung“ (92). Alle Befragten wünschen sich, so lange wie möglich in ihren Häusern und Wohnungen bleiben zu können.

Ein weiteres Erzählmotiv ist die Auseinandersetzung mit dem körperlichen Verfall, dessen Akzeptanz und das Entwickeln neuer Praxen, um trotzdem im Alltag weiterhin alleine zurechtzukommen. Ob mit bestimmten Geräten, Hockern, Treppenstufen oder Notrufknöpfen, einer inneren Haltung wie dem Glauben oder mit Hilfe von außen – die Frauen berichten von ständigen Anpassungsprozessen, die sie leisten. Der Wunsch, „dass es möglichst lange so bleiben kann“ (21), wie es jetzt ist, eint die hier Dargestellten, aber er ist eine Illusion.

„Altweiberwohnen“ enthält vieles, aber es dominieren Frauen, die in Einfamilienhäusern wohnen; alle Dargestellten leben nicht in finanziell prekären Verhältnissen, können sich alleine versorgen, sie sind großenteils zwar körperlich eingeschränkt, aber – bis auf eine Ausnahme – nicht pflegebedürftig. Die meisten werden von ihren Kindern unterstützt und fast alle verfügen über so viel Rente, dass sie haushaltsnahe Dienstleistungen in Anspruch nehmen können. Keine der Befragten lebt von Grundsicherung, keine muss sich mit Anträgen herumschlagen, Schulden begleichen, ist ganz auf sich gestellt oder leidet unter Depressionen; alle schildern ein gelungenes Leben. Auch die Fotografien von Juliana Socher bilden das ab: viele Antiquitäten und zahlreiche (aufgeräumte) Wohnzimmer. Aber auch schmutzige Ecken, ungeöffnete Kisten mit alten Dingen oder Reparaturbedürftiges würden zum „Altweiberwohnen“ gehören – und das Scheitern.

Trotzdem: Der Band von Scherzer und Socher enthält viele Anregungen für Forschungen: zur Bedeutung von Dingen im Alter, zu Strategien im Alltag, zu Unsicherheiten und Gewissheiten in Bezug auf die Zukunft und vielem mehr. „Altweiberwohnen“ lohnt die Lektüre!