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Lina Franken

Unterrichten als Beruf. Akteure, Praxen und Ordnungen in der Schulbildung

(Arbeit und Alltag. Beiträge zur ethnografischen Arbeitskulturenforschung 13), Frankfurt am Main/New York 2017, Campus, 497 Seiten
Rezensiert von Stefan Groth
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 17.06.2019

Die Rolle von Lehrerinnen und Lehrern, so der Klappentext des Buches von Lina Franken, ist für die Gestaltung des Schulunterrichts zentral. Mit „Unterrichten als Beruf“ legt sie eine Studie vor, die in diesem Zusammenhang nicht nur die Vermittlung von Wissen, sondern ebenso die Lebenswelten dieser Akteure und ihre subjektiven Perspektiven auf Schule in den Blick nimmt. Der Band, in der zur dgv-Kommission „Arbeitskulturen“ gehörenden Reihe „Arbeit und Alltag“ erschienen, fragt nach „Akteuren, Praxen und Ordnungen in der Schulbildung“ und thematisiert dabei Aspekte der (verwaltungs-)rechtlichen, räumlichen und hierarchischen Ordnung sowie Unterrichtsthemen, Schulbücher in der Unterrichtspraxis, didaktische Methoden und die Vermittlung von Kultur. Dabei fokussiert er auf Lehrerinnen und Lehrer als zentrale Akteure und zeigt, wie diese in den aufgezählten Themenbereichen agieren, welche Sichtweisen sie vertreten und wie diese beiden Aspekte zusammenkommen. Angesichts der öffentlichen Erwartungen, die teils an die Lehrerschaft gestellt werden und auch der Vorbehalte, die ihr teils entgegengebracht werden, ist dies eine Fragestellung, die angezeigt erscheint und die in dieser Form aus einer empirisch-kulturwissenschaftlichen Perspektive bislang fehlte. Die Studie basiert auf leitfadengestützten qualitativen Interviews, die vorwiegend in Schulräumen durchgeführt und durch teilnehmende Beobachtungen von exemplarischen Schulstunden ergänzt wurden. Ein „Reden über Erfahrungen“ (39) von Lehrerinnen und Lehrern im Anschluss an die Arbeiten Brigitta Schmidt-Laubers steht damit im Mittelpunkt der Studie, die danach fragt, welche „Rolle Lehrenden als Akteuren in der Schule zukommt, welche Praxen sie hier entwickeln und welche Ordnungen in Schulsystem und Schulkultur dabei wirksam sind“ (15).

Das Vorgehen der Arbeit ist entsprechend in zwei Teile gegliedert, die sich den „Ordnungen des Lehrens“ und „Akteuren und Praxen des Lehrens“ widmen. Der erste Teil betrachtet zunächst Regelwerke wie Schulgesetzgebung und Lehrpläne als externe Ordnungen und Machtstrukturen, die Unterricht zwar nicht detailliert regulieren, aber prinzipielle Verläufe und Inhalte festlegen können. Der Blick auf räumliche Ordnungen des Unterrichtens macht deutlich, wie Lehrende sich Klassenzimmer und Flure als sozialen und physischen Raum aneignen. Mit Blick auf Akteure wird gezeigt, welche Beziehungsgeflechte zwischen Lehrenden, Schülerinnen und Schülern, Eltern und auch der Forscherin bestehen und wie diese in Narrationen zum Ausdruck kommen. Der zweite Teil beschäftigt sich am Beispiel von Unterrichtsthemen, Schulbüchern, didaktischen Methoden und der Kulturvermittlung damit, wie Lehrende aus praxeologischer Perspektive mit normierten Modellen, inhaltlichen wie strukturellen Vorgaben und Anforderungen umgehen und wie dabei ein individueller Umgang mit dem Lehren gefunden wird, der auch biografische Elemente mit einschließt. Lehrerinnen und Lehrern kommt, so Franken im Fazit, dabei eine Schlüsselrolle zu, durch die unterschiedliche Ordnungen in konkrete Praxen übersetzt werden. Deutlich wird dabei auch, dass die Ausgestaltung dieser Rolle höchst individuell ist und entsprechend auch empirisch in den Blick genommen werden muss, um zeigen zu können, wie mit Spielräumen im Unterrichten konkret umgegangen wird.

Methodisch merkt Franken an, dass eine teilnehmende Beobachtung am Unterricht verfälschend und störend wirken kann (39). In der Studie kommt sie daher nur vereinzelt zum Einsatz. Hier bleibt offen, ob nicht der Einsatz entsprechender Technik wie 360°-Kameras, die in anderen Disziplinen zwar nicht zum Standard gehören, aber immer häufiger Verwendung finden, eine gangbare Lösung gewesen wäre. Dies ist mit eigenen Problemen verbunden, mag aber als Anregung verstanden werden, solche Möglichkeiten künftig stärker auszuloten. Ebenso offen bleibt, wie Studiendesign, -durchführung und -ergebnisse sich zu Diskussionen der Organisationsethnografie verhalten. Hier scheinen fruchtbare Anknüpfungspunkte zu liegen, die jedoch nicht verfolgt werden. Das ist insofern bedauerlich, als die vorgelegten Befunde für die interdisziplinäre Erforschung von Organisationen wichtige Einsichten mitbringen – etwa mit Bezug auf räumliche Faktoren, biografische Konstellationen und den subjektiven und selektiven Umgang mit Materialien.

Mit „Unterrichten als Beruf“ legt Franken eine Studie vor, die in ihrer Anlage überzeugt und auf breiter empirischer Grundlage zeigt, wie Lehrerinnen und Lehrer sich im Schulalltag zwischen externen Anforderungen und eigenen Vorstellungen bewegen. Der Band sei damit nicht nur an den Themen Schule und Unterricht Interessierten zur Lektüre empfohlen, sondern trägt ebenso zu Debatten der Arbeitskulturen, Subjektivierung und Organisationsethnografie wichtige Befunde bei. Die Passagen zur Kulturvermittlung durch Lehrende greift zudem die aktuell intensiv diskutierte Frage auf, welche Rolle der Schule bei der Weitergabe gesellschaftlicher Normen zukommen kann – nicht nur abstrakt und normativ, sondern über den Blick auf Lehrerinnen und Lehrer als vermittelnde Akteure selbst. Eine weitergehende Analyse dieses in der Studie behandelten Aspektes, die stärker noch auf gesellschaftliche Debatten eingeht, wäre als Anschlussforschung wünschenswert.