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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Monika Brunner-Gaurek/Harald Waitzbauer (Hg.)

Die Rainerkeusche. Ein mittelalterliches Kleinbauernhaus aus dem Lungau

(Veröffentlichungen des Salzburger Freilichtmuseums 25), Großgmain 2018, Eigenverlag des Salzburger Freilichtmuseums, 200 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, zum Teil farbig
Rezensiert von Konrad Bedal
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 08.07.2019

In 13 Beiträgen wird in dem ansprechend aufgemachten Band die über 500 Jahre lange Geschichte und Bedeutung eines relativ kleinen, ja auf den ersten Blick geradezu harmlosen ländlichen Wohnhauses aus der inneren Salzburger Gebirgsregion und seiner Bewohner vorgestellt, eingebettet in die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse und dabei auch die jüngere Zeit bis zum Wiederaufbau im Salzburger Freilichtmuseum nicht vergessend, zumal die „Rainerkeusche“ (so der seit 1757 belegte Hausname) dort im Zustand nach 1924 gezeigt wird. Zugrunde liegt eine beispielhafte interdisziplinäre Zusammenarbeit von freiberuflichen, am Museum und an der Universität Salzburg (mit seinem seit 2012 zugehörigen Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit) tätigen Wissenschaftlern, aus der sich die vielseitigen Blickrichtungen auf das „Haus“ ergeben, wie sie sich in dieser Publikation niedergeschlagen haben. Die Beiträge reichen von den tiefgreifenden Erschütterungen im Lungau des späten 15. Jahrhunderts, also der Bauzeit des Hauses (Harald Waitzbauer: Türken, Ungarn, Bergbaufieber), bis hin zu den von Not und großer Anspruchslosigkeit geprägten Verhältnissen im 20. Jahrhundert, unter Einschluss persönlicher Erinnerungen (Beiträge von Harald Waitzbauer, Monika Brunner-Gaurek, Michael Weese, Christoph König).

Keusche – das deutet von vorneherein auf ein kleines, eher ärmliches Haus ohne großen Grundbesitz hin, in Bayern entspricht dies in etwa einem Sölden- oder Tropfhaus. Das zeigt sich auch an der von Monika Brunner-Gaurek ausführlich vorgestellten Besitzergeschichte, die 33 Besitzer von 1509 ab aufweist – häufige Besitzerwechsel sind typisch für „kleine“ Verhältnisse. Spätmittelalterliche Bauten der unteren sozialen ländlichen Schichten haben sich in Mitteleuropa sehr selten erhalten; gerade eine Translozierung bietet, wie in diesem Fall, eine einmalige Gelegenheit für eine besonders intensive, in alle Bauschichten vordringende Untersuchung, wie sie bei denkmalpflegerischen Maßnahmen selten der Fall ist und wie sie hier vorbildlich geleistet wurde.

Die Ergebnisse der 2017/18 durchgeführten Bauforschung und Archäologie, wie sie von Thomas Kühtreiber in enger Zusammenarbeit mit Monika Brunner-Gaurek vorgestellt werden, bilden entsprechend den eigentlichen Kern des Buches. Das dendrochronologisch ermittelte Baudatum „um bis kurz nach 1482“ für die Kernsubstanz des an sich so unspektakulären Hauses (Beitrag von Klaus Pfeifer) weckt natürlich auch das hauskundliche Interesse weit über Salzburg hinaus. Zunächst fällt auf – und das ist fast keine Überraschung mehr –, wie wenig man vom äußeren Eindruck her auf eine spätmittelalterliche Bausubstanz schließen kann: Es gibt so gut wie keine baulichen Merkmale, die eindeutig darauf hindeuten, das heißt, ohne Dendrochronologie hätte man die Bauzeit des Hauses wohl genauso gut mit der Jahreszahl 1705 in Zusammenhang bringen können, die in einer Säule des Dachstuhls eingeschnitzt ist, aber nur einen, dendrochronologisch bestätigten, Umbau markiert. Der für die Bauzeit ermittelte und prinzipiell bis zur Übertragung ins Museum gültige dreizonige Grundriss mit traufseitiger Erschließung und durchgehendem Mittelflur ist im ganzen südlichen Mitteleuropa über Jahrhunderte hin weit verbreitet, ja gewissermaßen Grundform und sowohl archäologisch (worauf Thomas Kühtreiber verweist) als auch im aufrechtstehenden Bestand seit dem 14. Jahrhundert belegbar, gleichgültig ob wir es mit Block-, Fachwerk- oder Steinbau zu tun haben. Die Rainerkeusche stellt einen weiteren wichtigen frühen, abgesicherten Beleg für diese, man darf schon sagen, „elementare“ Hausform dar.

Die Verfasser möchten, mit guten Gründen, in dem Haus aber auch ein frühes Beispiel eines „Rauchstubenhauses“ sehen. Als Rauchstube gilt jene, für den Ostalpenraum spätestens seit Viktor Geramb in ihrer Verbreitung, Bedeutung und Entstehung herausgearbeitete, „urtümliche“ Raumform, bei der in der Stube Ofen und offener Herd zusammengebaut stehen und den Rauch zuerst in die Stube entlassen, bevor er sich seinen Weg über Wand- und Deckenöffnungen ins Freie sucht. Auch der Lungau war einst Rauchstubengebiet, wie Monika Brunner-Gaurek schreibt, und sowohl sie wie auch Thomas Kühtreiber interpretieren den Raum im Südwesteck der Rainerkeusche als einstige Rauchstube, was mindestens bis zum Umbau 1705 gegolten habe. Es wäre sicher einer der ältesten, sicher datierten Sachbelege einer Rauchstube.

Zwar gelten die Ruß-Schwärzung der Wand- und Deckenhölzer und die höheren, als „Zugluck’n“ dienenden Stubenfensterchen als Rauchstuben-Merkmale. Doch die offenbar relativ geringe Höhe der Stube (Rauchstuben müssen zwangsläufig, um sich in ihnen aufhalten zu können, eine entsprechende Deckenhöhe besitzen), die sorgfältige Ausführung der Stubendecke mit Fasen und sogar einem Kerbschnittmuster auf dem Unterzug, aber auch die Spuren eines Funkenhuts im Flur passen nicht so recht zu einer Rauchstube. Genauso gut kann man sich hier zur Bauzeit um 1482 einen vom Flur aus beheizten Hinterladerofen der Stube und eine offene Herdstelle im Flur vorstellen, wie sie sogar im Grundriss der Bauphase 1 auf Seite 48 eingezeichnet ist. Das hat dann aber mit einer Rauchstube nichts zu tun, sondern wäre die klassische und weitverbreitete Lösung eines „Rauchhauses“ mit raucherfüllter Flurküche und weitgehend rauchfreier Stube. Die anhand der Abbildungen feststellbare nicht übermäßig ausgebildete Schwärzung der Holzoberflächen über die Jahrhunderte ist nicht ungewöhnlich, kann von undichten Feuerstätten, offenem Licht und ähnlichem herkommen oder sogar bewusster Anstrich sein, höherliegende Fenster finden sich zum Beispiel auch in von Hinterladern beheizten Bohlenstuben süddeutscher spätmittelalterlicher Bürgerhäuser.

So sehr die ausführliche, detaillierte Beschreibung der einzelnen Bauphasen zu begrüßen ist, umso mehr vermisst man im Buch eine exakte zeichnerische Erfassung des gesamten Baus über die beigegebenen, schematischen Bauphasen-Grundrisse hinaus. Dabei hat es ja, wie ausdrücklich betont wird, ein gründliches, verformungsgetreues Aufmaß gegeben. So bleiben für einen Hausforscher, der das Haus in seiner ganzen Dreidimensionalität verstehen will, aber manche Fragen offen, etwa: Wie schaut es mit der Deckenbildung aus, insbesondere der Konstruktion der Stubendecke, wo genau liegen der Unterzug oder weitere Querbalken? Und auch manche Maßangaben hätte man sich gewünscht, so die Abmessungen des Hauses und seiner Räume (man muss sich diese aus den Grundrissen selbst herauslesen) oder die Raumhöhen. Zum 1705 neu aufgesetzten Pfettendachstuhl (dessen Hölzer offenbar ebenfalls geschwärzt sind) und seiner konstruktiven Verbindung zum älteren „Unterbau“ erfahren wir nichts Genaues, nur dass zwei Pfetten des Dachwerks von 1482 wiederverwendet wurden. Könnte es nicht sein, dass bauzeitlich noch ein flacher geneigtes Dach vorhanden war, das für den Lungau charakteristische Steildach also erst 1705 gekommen ist?