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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Oliver Auge/Norbert Fischer (Hg.)

Nutzung gestaltet Raum. Regionalhistorische Perspektiven zwischen Stormarn und Dänemark

(Kieler Werkstücke, Reihe A: Beiträge zur schleswig-holsteinischen und skandinavischen Geschichte 44), Frankfurt am Main u. a. 2017, Peter Lang, 241 Seiten mit Abbildungen
Rezensiert von Nils Hansen
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 15.07.2019

Im März 2014 fand in der Stadt Ahrensburg im schleswig-holsteinischen, zwischen Hamburg und Lübeck gelegenen Kreis Stormarn eine Tagung zum Thema „Nutzung gestaltet Raum. Regionalhistorische Perspektiven zwischen Stormarn und Dänemark“ statt. Anlass war das 700-jährige Jubiläum der ersten urkundlichen Erwähnung des Dorfes Woldenhorn, dem Vorläufer von Ahrensburg. Der vorliegende Band präsentiert die während der Tagung in vier verschiedenen Sektionen gehaltenen Vorträge.

Nach einem kurzen Grußwort der Stadt (7) und dem Vorwort der Herausgeber Oliver Auge und Norbert Fischer (9–12) beschäftigt sich Angela Behrens in der ersten Sektion „Landschaft, Nutzung, Raum“ mit der Bedeutung des adligen Gutes Ahrensburg für die lokale Raumentwicklung (15–44). Deutlich arbeitet sie heraus, dass das Gut vom 16. bis zum 20. Jahrhundert in siedlungsgeografischer, infrastruktureller und naturräumlicher Hinsicht eine zentrale Rolle spielte. Anschließend setzt sich Günther Bock unter den Schwerpunkten Bevölkerung, Herrschaft, Siedlung und Ressourcennutzung mit der Geschichte Stormarns im Mittelalter auseinander (45–82). In seiner detaillierten Darstellung bietet er im Vergleich zur „traditionellen“ Geschichtsschreibung Schleswig-Holsteins einige neue Ansätze zur und Einblicke in die Mittelaltergeschichte, zum Beispiel was die Koexistenz von Sachsen und Slawen in Nordelbien oder die dortigen Herrschaftsverhältnisse betrifft. Mit einem Thema der Geschichte des späten Mittelalters befasst sich Martin J. Schröter, in dessen Beitrag es um die Frage der wirtschaftlichen Nutzung des Woldenhorner Raums durch die Reinfelder Cisterzienser vom 14. bis ins 16. Jahrhundert geht (83–107). Das 16. Jahrhundert steht auch bei Oliver Auge im Mittelpunkt mit seiner Auswertung der von Heinrich Rantzau verfassten „Neue[n] Beschreibung der Kimbrischen Halbinsel“ aus dem Jahr 1597 (109–122). Auge sucht hauptsächlich nach darin enthaltenen „Aussagen zu Kultur, Mentalität und Raumverständnis der Region Stormarn“ und findet neben Rantzaus Hinweisen auf fortgeschrittene Wirtschafts- und Handelsformen sowie die Lage als Grenzland mit den damit zusammenhängenden Problemen und militärischen Einrichtungen auch mentalitätsgeschichtlich interessante Bemerkungen dazu, dass der Raum Stormarn nicht zuletzt über seine Wasserwege Handelsmöglichkeiten besaß, die „für eine gewisse Weltoffenheit und kulturelle Beeinflussung“ (121) aus anderen Regionen und Ländern sorgten.

In der zweiten Sektion „Grenzen und Entgrenzung“ untersucht Stefanie Rüther die hansestädtische Territorialpolitik, in erster Linie Lübecks, mit speziellem Blick auf die „Übergriffe der Hansestädte auf Ressourcen des Umlandes im Mittelalter“ (125–135). Stormarn wurde wie andere Gebiete im Umfeld von Lübeck und Hamburg zum politischen und militärischen Handlungsraum der Städte, weshalb Rüther berechtigterweise nach ihrer Haltung und den späteren Deutungen als Gewaltakteure, ihren „Praktiken des Krieges“ (126) und ihrer Politik der „Versicherheitlichung“ (133 f.) fragt. Im folgenden Beitrag „Dänemark und Holstein – eine lange Verbindung“ (137–149) erweitert Steen Bo Frandsen den räumlich-thematischen Rahmen über die Grenzen Stormarns hinaus. Vor allem interessieren ihn die über Jahrhunderte hinweg bestehenden Gemeinsamkeiten mit dem Dänischen Reich und die dazu widersprüchlichen Darstellungen einer angeblich „uralten“, tatsächlich aber erst im 19. Jahrhundert konstruierten Distanz und Feindschaft zwischen Dänemark und Holstein.

In der dritten Sektion „Erschließung und Neuordnung der Region“ erläutert Frederic Zangel die Funktionen der „Burgen im Personen- und Handelsverkehr Stormarns in Mittelalter und Früher Neuzeit“ am Beispiel Trittaus (153–167), wobei er besonders auf ihre Bedeutung für die Sicherung des Handels und der Zollstellen sowie als Stützpunkte für bewaffnete Überfälle eingeht. Im Anschluss beschreibt Klaus Schlottau die Formen von „Ackerbau, Viehzucht und Mühlengewerbe als raumprägende Faktoren im Stormarn der Frühen Neuzeit“ (169–199), womit ihm ein anschaulicher Überblick über die „Entwicklung einer frühneuzeitlichen Gewerbelandschaft“ (172) gelingt.

Die zwei Beiträge der vierten, abschließenden Sektion „Infrastruktur und Raumplanung“ widmen sich der Entwicklung Stormarns im 20. Jahrhundert und bis in die Gegenwart hinein. Dirk Schubert bietet in seinem Aufsatz „,Großstadtimperialismusʽ? Eingemeindungskämpfe zwischen der preußischen Provinz Schleswig-Holstein und Hamburg bis zum Groß-Hamburg-Gesetz“ (203–229) tiefreichende Einblicke in die Raumplanung für das Hamburger Umland von den 1920er Jahren bis 1937 überwiegend aus hamburgischer Sicht. Unter dem Titel „Vom Achsenkonzept zur Metropolregion Hamburg: Raumplanung seit dem Groß-Hamburg-Gesetz und ihre Folgen für Stormarn“ (231–240) geht Norbert Fischer vertiefend auf die im 20. Jahrhundert das Umland Hamburgs immer stärker einbeziehende Stadt- und Regionalplanung ein. Durch die fortschreitende Industrie- und Bevölkerungssuburbanisierung sowie die länderübergreifende Raumplanung verlor Stormarn seinen früheren ländlich-agrarisch und kleingewerblich geprägten Charakter. Das Konzept der Metropolregion löste schließlich die früheren klaren Stadt-Umland-Abgrenzungen auf.

Auch wenn das Beispiel Stormarn wohl nicht ohne Weiteres zu verallgemeinern ist, bietet der Tagungsband vielfältige, anregende Darstellungen und Ideen zum Strukturwandel ländlicher Räume und zur Entwicklung der Wechselwirkungen zwischen (Groß-)Stadt und Umland seit dem Mittelalter. Wegen der historischen Perspektive mag auf den ersten Blick nur wenig von volkskundlicher Relevanz erscheinen, aber eine ganze Reihe von Beiträgen enthält zumindest für die historisch ausgerichtete Volkskunde manches Bedenkenswerte.