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Wolf-Georg Zaddach

Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

(texte zur populären musik 10), Bielefeld 2018, transcript, 369 Seiten mit 26 Abbildungen, zum Teil farbig, 16 Tabellen
Rezensiert von Peter Hinrichs
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 15.07.2019

Der Musikwissenschaftler Wolf-Georg Zaddach legt mit seiner Dissertation einen Beitrag zur Szeneforschung vor, in dessen Zentrum eine praxeologische Untersuchung von Heavy Metal in der DDR steht. Der besondere Wert von Zaddachs Arbeit liegt in der Verbindung einer Szeneanalyse mit dem historischen Kontext Ostdeutschlands vor der Wende. Zaddach erläutert, wie die Lebensumstände einer sozialistischen Ordnung auf die durch die Musik evozierten Vorstellungen und Lebensweisen einwirken und vice versa. Die diskursive Einbettung von Heavy Metal in der DDR zeigt, wie kontextsensitiv die Konstituierung einer Szene abläuft, weshalb gerade auch der Vergleich mit gegenwartsbezogenen Forschungen zur Metal-Szene die Lektüre von „Heavy Metal in der DDR“ empfehlenswert macht. Während die kulturellen Angebote von Szenen heutzutage vor allem durch den medialen Transfer über das Internet so zugänglich und sichtbar sind wie nie zuvor, war das Dasein als Fan und Musiker*in unter den ostdeutschen Bedingungen deutlich hürdenreicher und mitunter gar riskant, wie Zaddach anhand von Interviewausschnitten mit Akteuren der damaligen Szene aufzeigt.

Unter dem Freund-Feind-Schema des Kalten Krieges standen amerikanische Kulturprodukte stets unter dem Verdacht, ideologische Manipulationsversuche zu sein. „Populäre Musik hatte also Symbolcharakter für Blockkonfrontation.“ (34) Die sozialistische Ordnung stand in Konflikt mit den neuen Lebensentwürfen der Jugendlichen, was Diskriminierungen und Kriminalisierungen nach sich zog. Um dem „Rowdytum“ von staatlicher Seite entgegenzuwirken, wurden den „Heavies“ Freiheitsstrafen angedroht. Bis Mitte der 1980er Jahre standen sie neben Anhänger*innen anderer Jugendkulturen im Visier der Ordnungshüter, man unterstellte ihnen die Missachtung moralischer und kultureller Werte des Sozialismus. So waren auch sie zeitweilig das Ziel strafrechtlicher Verfolgung, das Ministerium für Staatssicherheit betrieb viel Aufwand zur Systematisierung der hiesigen Metal-Szene. Zur Beobachtung schleuste sie informelle Mitarbeiter unter die Szenegänger*innen, um im Zweifelsfall intervenieren zu können. Auf diese Weise konnten Treffen der Szene unterbunden und zerschlagen werden. So erzwangen die repressiven Methoden des Ministeriums für Staatssicherheit die Auflösung der Erfurter Band Macbeth, indem man den Musikern ein Spielverbot erteilte und ihnen die Zulassung für ihren Band-LKW entzog.

Die Zwangs- und Kontrollmechanismen beschnitten den Zugang zur Musik und schränkten damit auch den Spielraum an ästhetischen Erfahrungs- und Gestaltungsmöglichkeiten ein. Obgleich in der DDR eine Zentralisierung von Jugendaktivitäten stattfand, konnte sich auch hier eine Szene entwickeln, die auf kreative Weise mit dem durch die Planwirtschaft erzwungenen Mangel an westlichen Kulturprodukten umging und aus dieser Situation heraus spezifische Praktiken ausbildete, um diesen zu kompensieren. In der Konsequenz entwickelte sich eine Do-It-Yourself-Mentalität unter den Jugendlichen, die die Hindernisse in der Beschaffung von Musik und Merchandise über Tauschpraktiken und daraus entstehende Netzwerke bewältigte. Der Einfallsreichtum und auch die Hingabe der Akteur*innen gegenüber der Musik zeigte sich unter anderem in der Herstellung handgefertigter Kopien von Bandshirts, die den Originalen teils so ähnlich waren, dass der Unterschied kaum zu erkennen war. Die Musik von Black Sabbath, Judas Priest und Iron Maiden prägte auch die Generation junger Musiker*innen, die zur Gründung zahlreicher Bands führte, so dass Heavy Metal nun nicht mehr nur importiert wurde, sondern in der DDR selbst entstand. Ab Mitte der 1980er Jahre öffnete sich der Staat zunehmend für die Musik und die daraus entstehenden Vergemeinschaftungen und unternahm Versuche, Heavy Metal in seine sozialistische Ordnung zu integrieren. Das Ministerium für Staatssicherheit schätzte die Metal-Szene nun als relativ ungefährlich ein. Die monopolisierte Tonträgerindustrie produzierte in der Folge den musikalischen Output der heimischen Metal Bands und Ost-Berlin avancierte zum Zentrum des Metals in der DDR. Fortan nahmen sich auch staatliche Strukturen der Musik an, so wurde zum Beispiel ab 1987 die wöchentliche Rundfunksendung „Tendenz Hard bis Heavy“ eingeführt. Durch diese staatlichen Integrationsprozesse wurde Metal das „utopische, ästhetisch-transgressive Moment genommen bzw. wurde es gewissermaßen domestiziert“ (126).

Obwohl (oder möglicherweise gerade weil) Heavy Metal als ideologische Einflussnahme des Westens galt, entwickelte sich aus dieser Musik eine der größten und weitverbreitetsten Jugendkulturen in der DDR, die regelmäßig Konzerte und Partys veranstaltete, Fanclubs gründete und eigene Bands hervorbrachte. Zaddach hält fest, dass die Situation des Heavy Metal „exemplarisch für die zunehmende Entfremdung und Distanzierung der jüngeren Generation der späten DDR“ (313) steht. Seine Arbeit lenkt den Blick auf die Akteur*innen der Szene und schildert ihre Umgangsweisen mit den staatlichen Rahmenbedingungen. Zaddach fokussiert hierbei die ästhetischen Praktiken, die die Musiker*innen und Fans in Relation zu westlichen Vorbildern entwickelten, und zeigt hierbei die verschiedenen Aneignungsformen auf. Zudem überzeugt die Studie durch ihre Bezugnahme auf Archivmaterial, über die Zaddach eine dichte historische Kontextualisierung herstellt. Maßnahmen wie die Einstufungspraxis und Spielverbote trafen diejenigen hart, die sich in ihrer Musik frei ausdrücken und davon leben wollten. Auf der anderen Seite gab es in der späten Phase der DDR sogar Förderungsmaßnahmen für Metalmusiker*innen, in denen die musikalischen Fähigkeiten der Akteure geschult wurden. Wolf-Georg Zaddach zeichnet mit seiner Untersuchung ein differenziertes Bild der Szene in der DDR, ihrer Vergemeinschaftungspraktiken und Strategien gegen staatliche Eingriffe und liefert damit einen wichtigen Beitrag für den Forschungsstand zur deutschen Metal-Szene.