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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Matthias Asche/Dietmar Klenke (Hg.) unter Mitarbeit von Sabrina Lausen

Von Professorenzirkeln, Studentenkneipen und akademischem Networking. Universitäre Geselligkeiten von der Aufklärung bis zur Gegenwart

(Abhandlungen zum Studenten- und Hochschulwesen 19), Köln/Weimar/Wien 2017, Böhlau, 246 Seiten mit Abbildungen
Rezensiert von Matthias Hensel
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 22.07.2019

Der von der Stiftung Deutsche Studentengeschichte kofinanzierte 19. Band der Reihe „Abhandlungen zum Studenten- und Hochschulwesen“ entstand im Anschluss an eine Tagung des Lehrstuhls für Neuere Geschichte der Universität Paderborn, die bereits 2011 unter dem Titel „Universität und Geselligkeit“ stattfand und von der Gemeinschaft für deutsche Studentengeschichte e. V. (GDS) finanziert wurde. Der Sammelband geht vornehmlich der Frage nach, welche gesellschaftspolitische Bedeutung von Universitäten und Wissenschaft sich aus Formen akademischer Geselligkeit ablesen lässt. Denn in ihren Geselligkeitsformen spiegele sich immer auch die Stellung der Universitäten in Staat und Gesellschaft, so die Ausgangshypothese der Herausgeber. Außerdem setze ein Klima, in dem Wahrheitssuche und Forschergeist frei gedeihen sollen, „freies Denken und soziale Bindungsfähigkeit“ (9) voraus. Allein diese innere (Ver-)Bindungsfähigkeit der Universitäten vermöge es, wissenschaftliche Autonomie zu gewährleisten und der Außensteuerung des akademischen Betriebs zu trotzen. Daran angelehnt verstehen die Herausgeber ,Geselligkeitʽ auch als etwas, „das im Hinblick auf seine Beziehungsqualitäten über berufs- und marktspezifische Netzwerkbildung hinausgeht“ und „Gemeinschaft, Gruppenidentität und Geborgenheit ermöglicht“ (11). Aus ihrer Überzeugung, dass vor allem das akademische Verbindungswesen durch die als „Humboldtsche Lücke“ bezeichneten Freiräume in der Selbstorganisation der deutschen Universitäten des 19. Jahrhunderts in der Lage gewesen sei, „nachhaltige Geselligkeitsstrukturen aufzubauen, wie dies [...] die Altherren-Verbände der korporierten Bildungselite vermocht hatten“ (15), machen die Herausgeber keinen Hehl. Denn die seit den 1960er Jahren „mehr und mehr farblose studentische Geselligkeit jenseits elitepolitischer Ambitionen“ habe „die Universitäten als unabhängige Deutungsmacht im Staat“ (15) nicht verteidigen können und somit zu deren gesellschaftspolitischem Bedeutungsschwund beigetragen. Der Schrumpfungsprozess, dem die Studentenverbindungen seither ausgesetzt sind, wird folglich als dramatisch bezeichnet und der „emphatische Aufklärergeist“ (18) eher während der Hochzeit des studentischen Verbindungswesens an den Universitäten im 19. als im 21. Jahrhundert verortet.

Fünf der insgesamt 13 Autorinnen und Autoren befassen sich mit professoraler, sechs weitere mit Formen verbindungsstudentischer Geselligkeit, Ritualisierung und Erziehung. Damit ist der gesamte Band eigentlich in zwei Teile untergliedert. Akademisches Networking oder Geselligkeit außerhalb dieser Kreise wird lediglich in dem Beitrag von Julia Gruhlich und Birgit Riegraf in Zusammenhang von Geselligkeit und Geschlecht in der Wissenschaft kritisch betrachtet. Marian Füssel befasst sich in seinem Beitrag mit professoraler Geselligkeit am Beispiel der vormodernen Universität Göttingen. Hier wurde den Professoren Geselligkeit, auch als Medium der akademischen Erziehung, geradezu verordnet. Auch wenn sich private professorale Geselligkeit im 19. Jahrhundert bürgerlichen Kreisen zusehends öffnete, diente sie doch weiterhin akademischer Distinktion und Kultivierung spezifischer Habitusformen. Den 1890 gegründeten Hallenser Spirituskreis untersucht Regina Meyer. Er hatte ausschließlich Professoren als Mitglieder, die sich als ,Elite der Elitenʽ verstanden und deren Verbindung hochschulpolitische Ziele verfolgte. Thomas Becker betont in seinem Beitrag über Professorenzirkel und akademische Freundeskränzchen an der Universität Bonn, dass professorale Geselligkeit auch ohne Zweckbindung von großem Gewicht für wissenschaftlichen Austausch, Fachdiskurse und Einübung bestimmter Verhaltensnormen war, da sie „eine konkurrenzfreie interdisziplinäre Kommunikation auf gleicher Augenhöhe“ (99) ermöglicht habe. Dietmar Klenke betrachtet das seit Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmende Pendlertum unter Professoren und den Versuch, durch Präsenzverordnungen, wie den sogenannten ,Sitzarscherlassʽ von 1999 in Nordrhein-Westfalen, Professoren stärker an ihre Universitäten zu binden.

Den zweiten Teil eröffnet ein Beitrag von Harald Lönnecker, der sich überblicksartig und sehr quellenkundig mit verbindungsstudentischen Vergemeinschaftungen und Ritualen befasst. Über einen langen Zeitraum prägten sie das Standesbewusstsein und die Gemeinschaftspraxis vieler Studierenden, die wiederum durch Altherrenverbände tradiert und stabilisiert wurden. Auch die Universitäten, so Lönneckers These, hätten lange von der Reputation und dem Eliteanspruch der Verbindungen, die „tief berührende gemeinsame Erlebnisse“ konstituierten, „die nach innen integrierten und nach außen abgrenzten“ (143), profitiert. Matthias Stickler problematisiert Generationenkonflikte, die zum Beispiel durch das „offensichtliche Versagen der Mehrzahl der Verbände vor dem Nationalsozialismus“ und innerhalb verbindungsstudentischer Geselligkeit deutlich wurden. Zugleich könne, so die Herausgeber, die dennoch fortdauernde Hierarchisierung der Verbindungen „mit einem rational nachvollziehbaren Selbsterziehungsanspruch und Integrationsauftrag“ (27) erklärt werden. Sabrina Lausen zeigt in ihrem Beitrag, dass polnische Verbindungen zwar das deutsche Verbindungswesen zum Vorbild hatten, jedoch stärker nationalpolitisch ausgerichtet waren und sich bis ins 20. Jahrhundert immer stärker nationalpolnisch-katholisch ausrichteten. Lisa Fetheringill Zwicker betrachtet die deutschen katholischen Studentenverbindungen und ihren Nutzen als Netzwerk und Ausbildungsfeld für die katholische Elite. Christian George zeichnet detailliert die Entwicklung studentischer Verbindungen zwischen 1945 und den 1960er Jahren nach und zeigt, wie bemerkenswert schnell viele Verbindungen wieder feste Geselligkeitsformen etablierten, was vor allem auf Altherrenverbände zurückzuführen war. Der Beitrag von Wolfgang Müller beschreibt die Neuformierung studentischer Verbindungen an der Saar zwischen 1945 und 1955, die auf Grund des Saarstatuts nicht ohne weiteres auf deutsche Verbindungstraditionen zurückgreifen konnten.

Die thematische Verengung auf professorale und verbindungsstudentische Geselligkeitsformen liegt offenbar auch an der wissenschaftlichen Ausrichtung der beteiligten AutorInnen und Institutionen. Beispielsweise stellen die Herausgeber in ihrem einleitenden Beitrag zwar heraus, dass spezifische Praktiken der akademischen Klientel- und Patronagenetzwerke, besonders an den frühneuzeitlichen protestantischen Universitäten, von der akademischen und landesherrlichen Obrigkeit unabhängige organisatorische und disziplinierende Funktionen hatten, aus denen im 19. Jahrhundert die Verbindungen unter dem Begriff der ,Burschenherrlichkeitʽ ihre Freiheits-, Autonomie- und Eliteansprüche ableiteten. Zugleich verschweigen sie aber, dass studentische Selbstermächtigungen und derartige Parallelstrukturen, die in nahezu jeder Universitätsstadt ein kontinuierliches Disziplinarproblem darstellten, von den jeweiligen Herrschaften, der Professorenschaft und auch der außerakademischen Gesellschaft stets und ganz überwiegend kritisch betrachtet wurden. Schließlich lösten sie bereits im 17. Jahrhundert eine der größten Krisen der deutschen Universitäten aus. [1] Hier offenbart sich eine Eigentümlichkeit der Universitäts- und Studentengeschichtsforschung, die darin besteht, dass ein Großteil der Forschungsarbeit von HistorikerInnen geleistet wird, die einer Studentenverbindung angehören. Studentenverbindungen schreiben damit nicht nur ihre Geschichte über weite Teile selbst. Die Reihe „Abhandlungen zum Studenten- und Hochschulwesen“ stellt hier keine Ausnahme dar. Sie wird herausgegeben im Auftrag der GDS, die sich explizit an Mitglieder studentischer Verbindungen richtet.

 

Anmerkung

[1] Vgl. Matthias Hensel: Pennalismus. Ein Phänomen protestantischer Universitäten im 17. Jahrhundert (Quellen zur protestantischen Bildungsgeschichte 6). Leipzig 2014.