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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Hans-Peter Hübner/Herbert May/Klaus Raschzok (Hg.)

Evangelische Pfarrhäuser in Bayern. Mit Bildern von Gerhard Hagen

München 2017, Franz Schiermeier, 406 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, überwiegend farbig
Rezensiert von Jürgen Krüger
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 29.07.2019

Zusammen besprochen mit:

Susanne Grosser/Herbert May/Andrea K. Thurnwald (Hg.), Nicht Dorfhaus und nicht Villa ... Evangelische Pfarrhäuser in Franken (Schriften und Kataloge des Fränkischen Freilandmuseums in Bad Windsheim 78), Bad Windsheim 2017, Verlag Fränkisches Freilandmuseum, 431 Seiten mit Abbildungen, meist farbig

 

 

Schon das allein ist eine kleine Sensation: Das Pfarrhaus als Gebäude, und genauer: als evangelisches Pfarrhaus und nur in Franken beziehungsweise Bayern, wurde endlich einmal gewürdigt, nicht einmal, sondern gleich zweimal. Beide Publikationen, im selben Jahr erschienen, sind unabhängig voneinander entstanden, wenn auch manches Material für beide Bücher als Grundlage gedient hat. Beide Male stehen die Bauwerke im Mittelpunkt, es werden aber auch viele andere Aspekte behandelt. Äußerer Anlass für die Arbeiten war die Reformations-Dekade 2007-2017, und man kann die beiden Teams nur beglückwünschen, dass sie den Reformations-Publikations-Marathon mit derart gehaltvollen Bänden abschließen konnten.

Der Band von Hans-Peter Hübner, Herbert May und Klaus Raschzok ist räumlich und zeitlich weiter gefasst; Beispiele aus ganz Bayern werden behandelt, der Blick geht auch auf katholische Pfarrhöfe und schließlich beginnt die Darstellung bereits im Mittelalter. Wer sich je mit Pfarrhausbauten beschäftigt hat, weiß um die dürftige Literaturlage dazu. Umso mehr ist man überrascht, welch reiches Material zutage getreten ist. Das betrifft eine große Fülle von Bauten, die oft noch sehr gut erhalten sind, meist natürlich die Spuren der ständigen Nutzung und Veränderung zeigen, und eine oft vorzügliche archivalische Dokumentation. Auf diese Weise gelingt es den Autoren, die Bauaufgabe Pfarrhaus in ihrer Entwicklung über Jahrhunderte nachzuzeichnen.

Das Pfarrhaus wird im Allgemeinen und vor allem von Laien als eine Leistung des Protestantismus gesehen und oft gefeiert. Eine erste Erkenntnis des Bandes ist, dass das Pfarrhaus seine Wurzeln natürlich im Mittelalter, also Jahrhunderte vor Luther, hat. Mit dem Beginn des hohen Mittelalters sind Kleriker in verschiedenen Funktionen in unmittelbarer Umgebung einer Pfarrkirche nachweisbar; sie bedienen bestimmte Altäre einer Kirche und wohnen neben ihr. Wichtige beschriebene Beispiele sind die Pfarrhöfe bei St. Sebald in Nürnberg und Roßtal. Freilich, die Reformation und ganz ähnlich die katholische Reform beziehungsweise Gegenreformation veränderte das Bild und die Funktion des Pfarrers. Die Residenzpflicht sorgte dafür, dass Geistliche künftig praktisch ohne Ausnahme in unmittelbarer Umgebung ihrer Kirche wohnten.

Nach einleitenden Kapiteln wird in drei Abschnitten mit ausgewählten Beispielen ein vorzüglicher Überblick über Pfarrhäuser in Bayern gegeben: die ältesten Bauten vor 1800 (Konrad Bedal, 204–289), die Bauten der Zeit bis 1945 (Herbert May, 290–339) und die Zeit von 1945 bis heute (Harald Hein, 304–362). Jeder Bau wird beschrieben, Literatur und Archivalien werden genannt, Außen- und Innenaufnahmen, Ausschnitte aus historischen Stadtansichten, historische Planzeichnungen und moderne Skizzen vermitteln eine gute Vorstellung der Gebäude. Diese Rubriken finden sich bei jedem Bau; vor allem sind Skizzen zu jedem Bau zu erwähnen, in denen die Raumfunktionen genannt werden beziehungsweise welche Funktionen wahrscheinlich anfangs vorhanden waren. Dadurch ist die Geschichte der Bauaufgabe und ihrer Veränderungen erst richtig zu erfassen, ein tolles Instrument! Insgesamt wird die langsame Veränderung des Pfarrhauses deutlich: In der Frühzeit sind Versorgungsbauten für den Pfarrer überlebenswichtig, Ställe für Kühe und Zuchtbullen, Holzlegen und Gemüsebeete. In einer nächsten Phase (18. Jahrhundert) wird der repräsentative Charakter stärker betont, die Amtsstube erhält einen festen Platz im Haus, oft mit Blick auf die Kirche. Dann folgt die Moderne, Amtsstube mit Sekretariat, später mit Garage, mit Gemeindehaus und anderen Gruppenräumen. Nach dem Zweiten Weltkrieg löst sich die Ordnung langsam auf, bis auch die Pfarrer, und nun auch Pfarrerinnen, ihr Pfarrhaus als Präsentierteller empfinden und lieber ausziehen. Diese wichtigen Aspekte des Pfarrhauses, die sich auf die Geschichte des Berufs, auf soziale und soziologische Fragen beziehen, werden im ersten Teil des Bandes konzentriert abgehandelt. Der Anhang bietet alles, was nötig ist, bis hin zu ausführlichen Registern.

Der zweite zu besprechende Band gehört konzeptionell zu der gleichnamigen Ausstellung, die an zwei „Spielstätten“ zu sehen war: In einem Gebäude des Fränkischen Freilandmuseums selbst und in der Außenstelle in der Stadt Bad Windsheim, der alten Hospitalkirche. Jedoch handelt es sich nicht um einen Ausstellungs-Objektkatalog, sondern einen selbständigen Band mit Aufsätzen zum Thema. Was den Bautyp Pfarrhaus angeht, wurden wesentliche Erkenntnisse aus dem oben genannten Band übernommen, die von denselben Autoren eingebracht wurden (Konrad Bedal und Herbert May, 54–137). Dazu gehört ferner der letzte Teil des Bandes, in dem ausgewählte fränkische Pfarrhäuser dokumentiert werden (ca. 120 Pfarrhäuser! 308–427). Im gesamten Band geht es jedoch mehr um eine Kultur- und Sozialgeschichte des Pfarrhauses, und jetzt dezidiert des evangelischen Pfarrhauses in Franken.

Außerdem wird die Baugeschichte, womit die Architektur gemeint ist, um einige wesentliche Kapitel ergänzt. Denn zum Pfarrhaus gehörten etwa Gärten (Renate Bärnthol, 138–156), die in Zeiten der Aufklärung ein wichtiges Exerzierfeld der Pfarrer wurden, beispielsweise zur Zucht von Obstsorten oder Wein, aber auch die gesamte mobile Ausstattung der Häuser (Thomas Schindler, 158–173); Bücherschrank und Pfeife sind vom Bild, das man sich von einem gelehrten Pfarrer macht, kaum wegzudenken (Ralf Rossmeissl, 174–194). Erstaunlich viele Reminiszenzen aus allen Zeiten haben sich in den Pfarrhäusern erhalten!

Der letzte Teil des Bandes behandelt Fragen, die aus der klassischen Pfarrhaus-Literatur bekannt sind: der Pfarrer als Volksaufklärer (Georg Seiderer, 196–209), protestantische Denkmalkultur (Andrea K. Thurnwald, 210–223), Pfarrfrauen und Pfarrerskinder (Susanne Grosser, 224–241), „Malerpfarrer“ (Gunther Reese, 242–253) und solche, die allgemein wichtig für die geistige Kultur sind (Eckhart Kollmer, Katharina Pfretzschner-Runge, Sylvie Dietrich, 254–287). Die große Berliner Ausstellung im Deutschen Historischen Museum (Leben nach Luther. Eine Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses, 2013) hatte viele dieser Fragen behandelt. Statt durch die übermächtige preußische Brille wird das Thema hier durch die fränkische Brille geschildert, was dem Thema sehr gut tut, weil es nicht ganz so bekannte Geschichten erzählt.

Beide Bände machen auf je ihre eigene Art deutlich, welches große Erbe die Pfarrhäuser darstellen. Bewusst wird auch, in welcher Dichte sie offenbar in Franken erhalten geblieben sind, was nicht für alle Landschaften Mitteleuropas im selben Maße zutrifft, aufgrund der unterschiedlich verteilten Schadenshorizonte in Kriegen, vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg. „Brennt im Pfarrhaus noch Licht?“ fragt Ulrike Schorn am Ende des zuletzt besprochenen Bandes (288–295). Mit anderen Worten: Nach den dramatischen Änderungen, die das Selbstverständnis des Pfarramts in den letzten Jahrzehnten durchgemacht hat, ist auch das Haus des Pfarrers zur Disposition gestellt. Das Kirchengebäude ist kein Museum, sondern stellt ein lebendiges Haus einer Gemeinschaft dar. Ähnlich ist es mit dem Pfarrhaus. Es wird sich immer verändern. Es klingt geradezu paradox, dass etliche Pfarrhäuser Frankens, nachdem eine große Zahl von ihnen restauriert und in einen wunderschönen Zustand versetzt worden ist, aufgegeben werden. Das Verdienst beider Bände ist eine großartige Bestandsaufnahme, die dazu anhalten sollte, dieses Erbe anzunehmen und zu pflegen. Dazu sind viele Ideen nötig.