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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Brigitta Schmidt-Lauber (Hg.) unter Mitarbeit von Christian Blumhagen/Alexandra Rabensteiner

Doing University. Reflexionen universitärer Alltagspraxis

(Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Wien 40), Wien 2016, Verlag des Instituts für Europäische Ethnologie, 217 Seiten
Rezensiert von Florian Schwemin
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 12.08.2019

Band 40 der Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Wien beschäftigt sich mit der interaktionalen Herstellung von Universität. Der Band versammelt neun Beiträge einer unter dem gleichen Titel vom 19.–21. März 2015 in Wien abgehaltenen Tagung und ergänzende Ergebnisse aus einem Projektseminar.

Mindestens so interessant wie die Beiträge selbst ist auch das Zustandekommen der Tagung und des vorliegenden Bandes, das die Herausgeberin in ihrem einleitenden Artikel darlegt. Die Tagung wurde nämlich von Studierenden, die sich über zwei Semester in einem Studienprojekt mit akademischen Alltags- und Arbeitskulturen befassten, geplant, organisiert und durchgeführt. In diesem Seminar sollte anlässlich des 650-jährigen Jubiläums der Universität Wien im Jahr 2015 „das eigene Tun und die Bedingungen wie Funktionsweisen von Wissenschaft in ihrem Gewordensein“ (14) untersucht werden.

Die im Band versammelten Beiträge sind in die drei Abschnitte Habitus und Ritual, Wissen und Kommunikation sowie Akademische Biographien unterteilt, womit Aktanten, Positionen und Handlungen der im Tun hergestellten Ordnung Universität ihren Raum erhalten. Gerade im Vergleich mit anderen Schriften der letzten Jahre, die einen ähnlichen Hintergrund aufweisen, aber einen anderen Zugang wählen und andere Kategorien anlegen, zeigt sich dadurch, wie vielfältig die Möglichkeiten sind, sich kulturwissenschaftlich-reflexiv dem Feld Universität zu nähern.

Marian Füssel befasst sich mit embodiments von Wissenschaft in einer diachronen Perspektive. Dabei dienen ihm populäre Darstellungen und Stereotype von frühmodernen Gelehrten einerseits und rezenten Professorenbildern andererseits als Grundlage, anhand der er „Repräsentationen des professoralen Habitus und gelehrter Praktiken“ (30) herauslesen will. Zwei sich in der Frühen Neuzeit entwickelnde Bilder, so die These, bestimmen dabei bis heute als Extreme den Gelehrtenhabitus und dessen Wahrnehmung: der weltfremde Pedant und der weltgewandte, galante Gelehrte. Unterstützt mit Quellenzitaten von Thomasius bis Kant spannt er die Dichotomie zwischen Pedanterie und Galanterie plastisch auf und führt das im zweiten Teil mit Beispielen aus Film und Literatur differenziert bis in die Gegenwart fort.

Brigitta Schmidt-Lauber arbeitet anhand eines Vergleichs der 600-Jahr-Feier der Universität Wien mit der Feier des 650-jährigen Jubiläums diese Art von Veranstaltung als „Selbstauslegung der Universität in einer bestimmten Zeit“ (56) heraus. Dabei wahrt sie, gleichwohl der Band ja im Reigen der Jubiläumsfeierlichkeiten entstand, einen kritischen Abstand und blickt hinter die Inszenierungen der jeweiligen Zeit, wobei sie die nach innen und außen gerichtete Sinnstiftung von Universitäten, die an Jubiläumsfeiern im Sinne eines Doing History geleistet wird, als Movens herauskristallisiert.

Friedemann Schmoll liefert ein flammendes Plädoyer für die Lehrform Vorlesung, die er, zurecht, durch gegenwärtige hochschulpolitische Entwicklungen gefährdet sieht. Durch den Wegfall der Anwesenheitspflicht und einer Studiumsauffassung seitens vieler Studierender, die Lehrveranstaltungen rein als potenzielle, aber keineswegs konkurrenzlose Gelegenheiten des Erwerbs prüfungsrelevanten Stoffs begreifen, fallen wichtige Kontakt- und Begegnungszonen von Lehrenden und Lernenden weg. Der Aufsatz bricht eine Lanze für die Vorlesung und für das Abschweifen. Als Basis dienen in lockerem Tonfall vorgetragene Erfahrungen aus der Lehrpraxis des Autors, die, ohne gänzlich schulmeisterlich zu wirken, auf die Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Hörer und des Dozenten eingehen. Der daran anschließende knappe aber fundierte und aussagekräftige Parforceritt durch die Geschichte der Vorlesung setzt sich mit Für und Wider im geschichtlichen Wandel auseinander, was den Blick auf den Schlussgedanken lenkt. Vorlesungen, so Schmoll, wohnt ein „subversives Potenzial inne“ (99), das unter anderem im Hinterfragen von Gewissheiten und im Sich-Zeit-Nehmen liegt.

Regina F. Bendix widmet sich dem alltäglichen Erzählen unter Fachvertretern, wobei sie sich an George W. Stocking Jr. orientiert. Sechs Geschichten, die im Fach von und über Fachvertreter erzählt wurden und werden, dienen ihr als Basis für die evidente aber oft wenig beachtete Aussage, dass solche Fachgeschichten nicht selten eng mit der Fachgeschichte verwoben sind.

In Kjell Blanks Beitrag werden auf der Basis von vier Experteninterviews die Charakteristika interdisziplinären Forschens von Geistes- und Naturwissenschaftlern aus Akteursperspektive in den Blick gerückt. Dabei stehen vor allem die unterschiedlichen Fachkulturen und deren Vermittlung auf verschiedenen Ebenen sowie die wissenschaftspolitischen Herausforderungen der Interdisziplinarität im Fokus. Aus der sich auf Basis der unterschiedlichen disziplinären Hintergründe mittels reflexiver Prozesse entwickelnden Wissenschaftskultur, so die These, könne abgeleitet werden, dass interdisziplinäre Wissenschaft als eine ganz eigene Wissenschaftsform betrachtet werden könne.

Herbert Posch behandelt den Fall der 1938 in Wien promovierten Zoologin und Botanikerin Ulrike Ricek (1910–2009). Diese sah sich 1961 gezwungen, die Universität um Rücknahme ihres Doktortitels anzusuchen, da ihre Ehe mit einem nichtpromovierten Mann Schaden zu nehmen drohte. Dieser, heute kurios anmutende, Vorgang dient dem Autor als Aufhänger, um auf die gewandelte Rolle von Frauen in der Wissenschaft hinzuweisen.

Am Beispiel der Lebenswissenschaften in Wien befasst sich Lisa Sigl mit der Prekarisierung akademischer Arbeitskulturen, die gegenwärtig, aber vor allem auch in Zukunft einen essentiellen Anteil am Doing University haben wird. Dabei handelt es sich aber keineswegs um eine larmoyante oder verbitterte Auseinandersetzung mit prekären Beschäftigungsverhältnissen in der Wissenschaft. Auf der Basis zweier Forschungsprojekte aus den Jahren 2006 bis 2008 zur Veränderung akademischer Arbeitskulturen arbeitet sie verschiedene Formen von Unsicherheit, deren Bezug zu den Rahmenbedingungen der Forschung und deren Verhältnis zu einem weiteren gesellschaftspolitischen Kontext heraus.

Als Kontrapunkt zu der in Herbert Poschs Beitrag geschilderten Begebenheit lässt sich das Interview mit Christine Burckhardt-Seebass sehen, das Brigitta Schmidt-Lauber und Christian Blumhagen geführt haben. Nach interessanten Ausführungen zu ihrem Weg ins Fach und ihrem Werdegang steht die Frage nach der Entwicklung des Faches, die mit der Ermutigung, die „Liebe zum Kleinen“ (212) beizubehalten, schließt.

Für Studierende ist das Buch uneingeschränkt zu empfehlen, aber auch darüber hinaus bergen die umfangreich bibliographierten Aufsätze zu großen Teilen Potenzial für weitere Beschäftigung. Die Zugänge zum Feld Universität sind alle gut nachvollziehbar gelegt, arbeiten sowohl historisch als auch gegenwartsbezogen und weiten den Blick auf das Umfeld Universität, das doch wesentlich mehr sein will und sollte als ein bloßer Ort, an dem ein akademischer Grad erworben wird. Im Reigen akademischer Selbstreflexion, der immer mehr an Fahrt aufzunehmen scheint, werden in der vorliegenden Publikation neue Themen angedacht und vertieft, die auf den ersten Blick eklektisch wirken, in der Zusammenschau aber doch ein rundes, wenn auch sicherlich nicht erschöpfendes Bild von Doing University bieten.