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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Dominik Gerd Sieber

Der konfessionelle Gottesacker. Katholische und protestantische Sepulkralkultur in den oberschwäbischen Reichsstädten in der Frühen Neuzeit

(Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen 214), Stuttgart 2018, Kohlhammer, LXXVI, 474 Seiten mit 65 Abbildungen, 5 Tabellen, 3 Karten, 3 Diagrammen, 2 Grafiken
Rezensiert von Barbara Happe
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 05.08.2019

Die oberschwäbischen Reichsstädte haben bereits in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts ihre innerstädtischen Nekropolen aufgegeben. Dominik Gerd Sieber untersucht in seiner Dissertation die konfessionelle Friedhofskultur in elf oberschwäbischen Reichsstädten in der Frühen Neuzeit und prüft die alte Frage, ob sich die Reformation speziell in der Ausgestaltung der Friedhöfe und der Bestattungskultur niedergeschlagen habe und ob „eine visuell und real manifestierte Trennlinie zwischen den Konfessionen deutlich wird“ (6). Überdies fragt er, „ob die frühneuzeitlichen Bestattungsplätze nun einem beginnenden Säkularisierungsprozess unterworfen werden“ (6). Im Fokus seiner Untersuchung steht der von Ernst Troeltsch als „Zeitalter der Konfessionalisierung“ bezeichnete Zeitraum vom Anfang des 16. bis in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts.

Im Spätmittelalter war Oberschwaben durch eine relativ hohe Urbanisierung geprägt. Die prosperierenden Städte besaßen eine Einwohnerzahl zwischen 2 000 und 10 000 Menschen. Als geistige Zentren zählten sie zu den „frühesten und wohl dynamischsten Exponenten der reformatorischen Bewegung in diesem Raum“, die in ihrer Frühphase „massiv von der Lehre Zwinglis dominiert wurden“ (27).

Sieber schildert zunächst ausführlich die sepulkraltopographischen Verhältnisse in den elf untersuchten oberschwäbischen Reichsstädten und deren lebhafte Sorge um das Seelenheil in vorreformatorischer Zeit. Interessant ist dabei, dass fast alle Kirchhöfe eine zusätzliche Friedhofskapelle besaßen, in die zumeist ein Beinhaus integriert war. Auf den Kirchhöfen fanden auch die Armenspeisungen und die Verteilung der Almosen an arme Kinder statt. Die immensen Aufwendungen für das Seelenheil in Form opulenter Stiftungen und das Lesen von zahllosen Seelmessen waren eine wesentliche Existenzgrundlage für die Geistlichen. So wurden die Jahrtage in Überlingen allein mit 15 Geistlichen begangen. Aus heutiger Sicht wirklich erstaunlich war die außerordentlich hohe Anzahl von Geistlichen gemessen an der Einwohnerzahl: So lebten in Memmingen um 1500 unter den rund 5 000 Einwohnern circa 130 geistliche Personen, die sich um das Seelenheil der verstorbenen Stifter kümmerten. Mit den Stiftungen wurden beispielsweise auch die Ölberge oder die Unterhaltung der ewigen Lichter auf den Kirchhöfen finanziert. Die ausufernden Stiftungen für die zahllosen Seelmessen und die ewig währenden heiligen Messen erfuhren bereits im Spätmittelalter erste Restriktionen.

Bezüglich der Friedhofsverlegungen in den oberschwäbischen Reichsstädten in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts erkennt Sieber in der bisherigen lokalen Historiographie keine systematische Analyse und merkt kritisch an, dass in der bisherigen Forschung „ein ganzes Bündel an auslösenden Faktoren angeführt wird“ (92). Seine Ausführungen zu den Friedhofsverlegungen beginnen mit durchaus bekannten Auslagerungen im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts in den Residenzstädten der Württemberger und Wittelsbacher. Zudem werden die Friedhofsneugründungen beschrieben, die wie etwa in Freiburg im Breisgau auf Anordnung von Kaiser Maximilian I. entstanden. Für die Anlage von Friedhöfen extra muros in den oberschwäbischen Reichsstädten, die ab den 1520er Jahren einsetzte, macht Sieber immer wieder seuchenhygienische Aspekte und hier die zwischen 1519 und 1521 in Süddeutschland und der Schweiz grassierende Pest verantwortlich. Um die neuen Friedhöfe extra muros für die Bevölkerung attraktiv zu machen, wurde entweder heilige Erde aus Rom auf den neuen Gottesäckern verstreut oder es wurden wie in Memmingen Stiftungen für den neuen Friedhof mit dem Erlassen von 1 000 Jahren Sündenstrafen im Jenseits belohnt (115). Dagegen verließ in Biberach der evangelische Teil der Bevölkerung den Kirchhof an der Pfarrkirche, und in Kempten, Leutkirch und Ravensburg dürfte laut Sieber Platzmangel der Grund für die Anlage der neuen Gottesäcker gewesen sein. Es sind also verschiedene Faktoren, welche die „Friedhofstranslozierungen“, wie Sieber es meines Erachtens nicht ganz korrekt nennt, auslösten.

Durch die bauliche Verdichtung im Bereich der Kirchhöfe wurden die Möglichkeiten einer Erweiterung zunehmend begrenzt und die Böden waren durch die durch Seuchen bedingte erhöhte Mortalität „ergraben“ (138). Gleichwohl scheinen es keine akuten Seuchenfälle gewesen zu sein, die eine Verlegung der Begräbnisplätze bewirkten (138). Denn die „Qualität und Quantität der jeweiligen Seuchen bleiben unsicher und somit auch ihre Wirkung als Auslöser der Friedhofstranslozierungen“ (141). Auch das Argument des Bevölkerungswachstums stellt Sieber in Frage, da die meisten der untersuchten Städte ihr Einwohnermaximum erst unmittelbar vor dem 30-jährigen Krieg erreichten (142).

Somit gilt es, den Einfluss der ärztlichen Warnungen vor der schlechten Luft auf den Kirchhöfen zu prüfen, und auch hier kann Sieber in keiner der untersuchten Städte eine direkte Verbindung zwischen den medizinischen Traktaten und einer „konkreten Friedhofstranslozierung“ nachweisen (149). Gleichwohl sei das medizinische Wissen in weiten Teilen der bürgerlichen Stadteliten verbreitet gewesen. Dies sei auch deswegen naheliegend, da die Friedhöfe extra muros oftmals in der Nähe von Siechenhäusern, Spitälern und Seelhäusern angelegt wurden, was den Aspekt der Seuchenprävention belege.

Als ein wesentlicher Aspekt komme das „bürgerliche Ausgreifen“ auf die städtischen „Sakralinstitutionen“ und hier auf die sepulkralen Belange hinzu, und so waren es Bürgermeister und Vertreter der bürgerlichen Gemeinden, die etwa die Friedhofsverlegungen initiierten, ohne dabei auf Widerstand in der Bevölkerung zu stoßen. Aufgrund dieser Gemengelage ist es für Sieber klar, dass es keinen Zusammenhang zwischen Reformation und Friedhofsverlegungen gibt (162 f.).

Um sich dann mit dem von der Rezensentin postulierten Zusammenhang von Reformation und außerörtlichen Camposanto-Friedhöfen kritisch auseinanderzusetzen, rekapituliert Sieber zunächst umfänglich die bekannten Befunde zur Anlage und Entstehung mitteldeutscher Camposanto-Friedhöfe und konzentriert sich anschließend auf ebenfalls bekannte Camposanto-Friedhöfe in oberdeutschen katholischen Städten wie Innsbruck, Salzburg, Luzern oder Wangen. Die Rezensentin hatte in ihren Arbeiten die katholische Konfesssion dieser Städte eingehend thematisiert. Für Sieber steht dieser Umstand, also die katholische Konfession der genannten Städte der „Forschungsmeinung von der Verbindung zwischen protestantischer Sepulkralkultur und dem Camposanto diametral entgegen“ (198). Dies ist nicht neu, da zum Beispiel auch Anja Tietz [1] diesen Anlagetypus als unabhängig von der Konfession ansieht. Zudem reibt Sieber sich an dem Umstand, dass die außerörtlichen Friedhöfe entlang der Umfassungsmauern in unterschiedlicher Weise mit Arkaden, Bögen, Segmentbögen, unterschiedlich geformten Bogennischen, Schwibbögen, Grabhäuschen, Ädikulen oder bildstockartigen Anbauten, die sogar die Mauerkrone überragten, bestückt waren (225 f.). All dies mache „die momentan gültige Definition des Camposanto-Aufbaus [...] unscharf“ (198), die deshalb revidiert werden müsse. Diese „momentan gültige Definition“ scheint aber eine Fiktion des Autors zu sein und entpuppt sich so als Strohmann-Argumentation. Indem er immer wieder eine „gültige Definition“ reklamiert, hat Sieber offenbar den operativen Charakter von Wissenschaft nicht verstanden. Die von ihm selbst verengte Definition des Camposanto-Friedhofes führt folgerichtig zum Kreieren von neuen Typen wie etwa bei den Unterschieden in der Art der Umfassungsmauern, die nicht nach einem einheitlichen Plan angelegt seien. Dieser Umstand ist für den Autor, der idealtypisch konstruiert, unerträglich. All dies wurde von der Rezensentin bereits vor 30 Jahren geschrieben, aber nicht typologisiert. Die hier offensichtlichen Unterschiede in der Praxis werden seit 1969 in verschiedenen Wissenschaftszweigen mit dem Gegensatzpaar Lumper/Splitter bezeichnet (siehe Wikipedia „Lumper und Splitter“). Sieber ist ein Splitter. Und genauso wenig wie das „Lumpen“ rettet diese Vorgehensweise die fehlende Originalität. Der informierte Leser wird es überdrüssig, Beispiele, die nun seit mehr als dreißig Jahren unentwegt wiedergekäut werden, häufig ohne neue Befunde auf vielen Seiten ausgebreitet zu finden. Inwieweit die von Sieber selbst verengte Definition eines Camposanto-Friedhofes eine Revision der Sichtweise und Gewinnung neuer Erkenntnisse bewirkt, mag die zukünftige wissenschaftliche Diskussion entscheiden.

Im Weiteren diskutiert Sieber die bilderstürmerischen Auswirkungen der Reformation auf das Erscheinungsbild der Friedhöfe und Kirchhöfe, indem sie von Grabmonumenten „gesäubert“ und „teilweise sogar ganze Bestattungsplätze samt ihrem überkommenen elaborierten Mobiliar eingeebnet“ (447) wurden. Sieber räumt diesbezüglich ein, dass es sich bei den Säuberungsaktionen allerdings aufgrund der heterogenen und lückenhaften Überlieferungssituation als schwierig erweise, eindeutige Entwicklungen nachzuzeichnen. So malt er auch hier ein eher diffuses Bild und relativiert erneut seine Befunde.

Insgesamt hinterlässt das Buch von Sieber den Eindruck einer zwar materialreichen, aber die bisherige Diskussion zu den Themen nicht unbedingt vorantreibenden Arbeit; der Autor sieht die Fülle von Einzelheiten, fügt diese aber nicht zu einem Ganzen zusammen.

 

Anmerkung

[1] Anja Tietz: Der frühneuzeitliche Gottesacker. Entstehung und Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung des Architekturtypus Camposanto in Mitteldeutschland (Beiträge zur Denkmalkunde 8). Wittenberg 2012, S. 251.