Logo der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Kommission für bayerische Landesgeschichte

Menu

Aktuelle Rezensionen


Sarah May (Hg.)

Platz da! Praktiken urbaner Verdichtung

(Freiburger Studien zur Kulturanthropologie, Sonderband 1), Münster/New York 2018, Waxmann, 115 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, meist farbig
Rezensiert von Veronika Isabella Stiegler
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 05.08.2019

„Platz da“, dieser Befehl bricht auf dem Titelbild des vorliegenden Sammelbandes die Zeichnung einer Häuserfront regelrecht auf. Bei genauerer Betrachtung erkennt man schemenhaft den Turm des Freiburger Münsters, kleine skizzierte Menschen und einen Baukran am Rande. Was mag das bedeuten?

In dem von Sarah May (Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) geleiteten Forschungsseminar „Enge. Praktiken bei urbaner Verdichtung“, das dem Band zugrunde liegt, wurden unter ethnologischen und geographischen Gesichtspunkten am Beispiel der Stadt Freiburg im Breisgau folgende Fragen gestellt: Wie begegnen Menschen den spezifischen Anforderungen städtischer Ballungsräume? Wo ist Platz und wo fehlt er? Wie wirken sich Veränderungen innerhalb der Stadt auf das Leben ihrer Einwohner aus? Welche Ansätze gibt es, um den benötigten (Wohn-)Raum zu schaffen? Antworten darauf geben Sarah May, Raffaela Grimm und Katharina Roeb in diesem Sammelband, dem ersten einer neu gegründeten Reihe für Studienprojekte. Als Ziel dieses Werkes wird formuliert: „aus Einzelstudien ein urbanes Mosaik zu legen, das reflektiert, wie urbane Verdichtung geplant, gestaltet, genutzt und bewertet wird“ (18). In 14 Kapiteln werden unterschiedliche Aspekte dargelegt. Neben dem Vorwort und einer Hinführung wechseln sich Momentaufnahmen beziehungsweise Stimmungsbilder mit wissenschaftlichen Beiträgen ab. Letztere sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Mit den sich verändernden sozialen Strukturen innerhalb des Freiburger Sedanviertels, einem zentralen Wohngebiet, das gerade den Prozess der Gentrifizierung durchläuft, setzt sich Katharina Roeb in ihrem Beitrag „Mit Weckglas zum Supermarkt. Praktiken einer gentrifizierten Nachbarschaft“ auseinander. Im Fokus ihrer Feldforschung, die mithilfe von teilnehmender Beobachtung, Interviews sowie einer Medienanalyse durchgeführt wurde, stehen weniger die Entstehungsbedingungen des Gentrifizierungsprozesses als seine Auswirkungen. Es bestehen Zusammenhänge zwischen den eigenen „materiellen und symbolischen Vorstellungen“ (33) und der „Wohnumgebung“ (33), zum Beispiel neue Geschäftsmodelle wie „der verpackungsfreie Supermarkt oder das entstehende vegane Café“ (35). Am Beispiel von Graffitis an Hauswänden wird gezeigt, wie diese von unterschiedlichen Akteuren verschieden bewertet werden, was wiederum zu Konflikten führen kann. Die Autorin beschreibt exemplarisch, wie die sich verändernden Ansprüche der Bewohner*innen und die unterschiedlichen Lebensstile „Anpassungen“ (35) bewirken. Abschließend zeigt sie, dass sich durch die Gentrifizierung viele Praktiken verändern.

Den zentral gelegenen und großflächig modern gestalteten Freiburger Platz der alten Synagoge macht Raffaela Grimm zum Mittelpunkt ihrer Forschungsarbeit in „Langzeitbeleuchtung des Stadtraums. Wie Dichte und Freiraum zusammenspielen“. Auch diese Autorin bedient sich der Feldforschung und stellt die Frage, „ob und wie Freiraum und Enge vor dem Hintergrund der städtischen Verdichtung zusammenspielen“ (42). Sie reduziert es auf die Formel „Dichte + Platz = Urbanität“ (43). Die Nutzung des Platzes, so ihr Ergebnis, ist multifunktional: „Freizeit und Erholung“ (44), „Kommunikation und soziale Reflexion“ (47) und „Bühne der Toleranz und Demokratie“ (48). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Unterschiede zwischen der wirklichen Nutzung und der als solche wahrgenommenen auftreten können. In „einem bunten Kaleidoskop an Momentaufnahmen und Assoziationen“ zeigt die Autorin, „dass Platz und Dichte auf mehreren Ebenen zusammenspielen“ (52). Sie gelangt zu dem Schluss, „dass öffentliche Freiräume in der Stadt wichtige soziale, kulturelle und politische Funktionen erfüllen“ (53) und als solche sorgfältig geplant werden müssen.

Auch in dem Beitrag „Kitt des Kollektivs. Materialisierungen gemeinschaftlichen Bauens“ von Sarah May werden Ergebnisse einer Forschung präsentiert, welche mittels Beobachtungen, Interviews und Medienberichten zustande gekommen sind. Im Fokus steht die Frage, wie sich Prozesse während des solidarischen Bauens auf das Gebäude auswirken. Anhand eines Beispiels werden Antworten gesucht. Bereits bei der Ausschreibung des Baugrundes hätten sich die Akteure zusammenschließen und gemeinsam agieren müssen. Während der administrativen Planung seien auch unterschiedliche Ansätze sichtbar gewesen. Eine besondere Bedeutung sei der Entscheidung, ein massives Holzhaus zu bauen, zugekommen, da dadurch, analog zu der These des Kulturwissenschaftlers Gottfried Korff, der ökologische Anspruch öffentlich gemacht wird.

Neben diesen Dokumentationen einzelner Feldforschungen sind die weiteren Beiträge dieses Sammelbandes ebenso lesenswert. Mit unverstelltem Blick und begleitet von zahlreichen qualitätvollen Fotografien nähern sich die Autorinnen den eingangs gestellten Fragen. Ihre Artikel überzeugen trotz oder gerade durch ihre inhaltliche und stilistische Heterogenität. Außerdem erfüllt der Sammelband generell durch den Wechsel zwischen theoretisch fundierten Artikeln und Stimmungsbildern seine Zielsetzung, keinen Laien zu überfordern, aber auch keinen Kundigen zu unterfordern.