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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Maximilian Wacker

Die Revolution von 1918/19 in der Oberpfalz. Eine regionalgeschichtliche Studie in Abhängigkeit von den Vorgängen in München und den strukturellen Ausgangsbedingungen des Regierungsbezirkes

Regensburg 2018, Verlag Friedrich Pustet, 648 Seiten, Abbildungen
Rezensiert von Johann Kirchinger
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 17.06.2019

Die Erforschung der Novemberrevolution in Bayern schreibt eine Geschichte städtischer Ereignisse. Im Fokus stehen die Vorgänge in München und den anderen städtischen Zentren. Die Pionierstudie von Martin Müller-Aenis aus dem Jahr 1986 zu den revolutionären Ereignissen in Schwaben und Mittelfranken hat die Notwendigkeit eines Blickes in die geographische Breite für eine umfassende Kenntnis der Novemberrevolution deutlich aufgezeigt, aber bisher keine monographische Nachfolge gefunden. Erst pünktlich zum Gedenkjahr 2018 ist nun Maximilian Wackers geschichtswissenschaftliche Dissertation über die revolutionären Ereignisse in der Oberpfalz erschienen.

Wackers Ausführungen stützen sich auf umfangreiche Quellenrecherchen in staatlichen, kommunalen und kirchlichen Archiven. Neben den Beständen der Münchner Zentralbehörden liegt der Schwerpunkt auf Archivgut oberpfälzischer Bezirksämter und Kommunen. Umfassend wurden daneben die einschlägigen Lokalzeitungen durchgesehen. So gelingt es Wacker, den weitgehenden Verlust des Räteschriftgutes auszugleichen. Umso bedauerlicher ist es, dass Wacker offenbar weder die online verfügbaren Protokolle des Oberpfälzer Christlichen Bauernvereins noch das in einer Privatedition vorliegende und in öffentlichen Bibliotheken vorhandene Tagebuch des von Wacker immer wieder genannten Bauernvereinssekretärs Gregor Klier, der die Errichtung der überwiegend vom Bauernverein organisierten Bauernräte durchzuführen hatte, kennt.

In der Einleitung zeigt Wacker die soziale und ökonomische Struktur sowie die politischen Kräfteverhältnisse in der Oberpfalz auf, stellt die sozialen und ökonomischen Folgen des Ersten Weltkrieges als Bedingung für die Revolution heraus und die revolutionären Ereignisse in München als Rahmenhandlung vor. Nach 167 Seiten beginnt dann der Hauptteil. Dieser zerfällt in zwei Teile. Ein narrativer Teil behandelt die revolutionären Vorgänge in den städtischen Zentren Regensburg, Schwandorf, Amberg, Sulzbach und Rosenberg, Neumarkt und Weiden, in der ländlichen Industrieregion „Maxhüttengebiet“ sowie in den ländlichen Bezirken Cham, Roding, Eschenbach und Tirschenreuth. In einem zweiten analytischen Teil behandelt Wacker die Modalitäten der Gründung von Räten, ihre Verbreitung und Hierarchisierung, ihre soziale und politische Zusammensetzung, die Beteiligung des Bürgertums, die Wirtschafts- und Sicherheitspolitik der Räte, Umfang und Grenzen ihres Gestaltungsanspruchs, ihre Zusammenarbeit mit den staatlichen und kommunalen Verwaltungen, Radikalisierungstendenzen und die Kommunikation zwischen den zentralen und den lokalen Räten.

Grundannahme von Wacker ist, dass sich die Revolution allein mit dem Ersten Weltkrieg erklären lasse. Er nennt zwar die auf Karl Bosl zurückgehende These, wonach die Entstehung der Revolution in Bayern in längerfristige sozioökonomische Strukturen, in eine weit zurückreichende Delegitimierung des politischen Systems, eingebettet und nicht alleine aus dem Krieg zu erklären sei, lehnt sie aber ausdrücklich ab. Deshalb muss ihm auch die Stellung der Landbevölkerung zur Revolution letztlich ein Rätsel bleiben. In der Oberpfalz könne zwar „von einem grundsätzlich hohen Vertrauen der konservativ-katholischen Landbevölkerung in die staatlichen Verwaltungsorgane und die übrigen Säulen des konstitutionellen Systems“ ausgegangen werden. Trotzdem, so stellt Wacker überrascht fest, „begegnete diese den nächsten Repräsentanten des Staates mit einer teilweise fanatischen Ablehnung und opponierten (!) teils auch gegen ihre Seelsorger“ (S. 109). Als alleinige Erklärung dafür, dass die „vormals königstreue Bauernschaft“ (S. 606), wie Wacker die ländliche Bevölkerung ohne Beleg bezeichnet, nun plötzlich nicht mehr so königstreu war, nennt Wacker die Kriegsmüdigkeit. Diese ist in der Lage, die Revolution zu erklären, nicht aber deren Reibungslosigkeit insbesondere in der ländlichen Bevölkerung. Wackers Arbeit ist deshalb ein Beispiel dafür, wie die von der agrar- und sozialgeschichtlichen Konfliktforschung immer wieder aufs Neue widerlegte, aber zählebige, da offenbar einem soziokulturellen Wunschbild entsprechende Annahme vom „naiven Monarchismus“ der Bauern (Wolfgang Jacobeit) zur naiven Annahme vom Monarchismus der Bauern werden kann. Ohne die strukturell bedingte kommunalistische Obrigkeitsfeindlichkeit der Bauern, wie sie seit Jahrzehnten vor allem vom Bayerischen Bauernbund zum Ausdruck gebracht wurde, aber auch im katholisch-konservativen Bayerischen Christlichen Bauernverein vorhanden war, kann das Verhalten der bäuerlichen Bevölkerung in der Revolution nicht verstanden werden. Hier macht sich Wackers fehlende Kenntnis neuerer Untersuchungen zum Stellenwert von Landwirtschaft und ländlicher Bevölkerung in der Revolutionszeit empfindlich bemerkbar. Dies hätte ihn im Übrigen wohl auch bewahrt, die „den linken Flügel des BBBs anführenden Gandorfer-Brüder“ (S. 134) zu nennen, denn von ihnen war nur einer (Karl) Bauernbündler, der andere (Ludwig) Mitglied der USPD.

Dabei steht Wackers Ablehnung strukturgeschichtlicher Analysen in einem auffallenden Gegensatz zur Betonung sozioökonomischer Faktoren für den Verlauf der Revolution in der Oberpfalz. Denn er weist überzeugend, auf breiter Quellenbasis und sich vor allem gegen Müller-Aenis richtend nach, dass sich die Räte in der Oberpfalz mit der Parlamentarisierung des politischen Systems zufrieden gaben und sich auf die Bewältigung drängender wirtschaftlicher Probleme konzentrierten. Die Sorge um die öffentliche Ordnung, die Lebensmittelversorgung und die Beschaffung von Wohnraum stand im Zentrum ihrer Arbeit. Deshalb war die Zusammenarbeit zwischen den Räten und den Behörden überwiegend konstruktiv und vertrauensvoll. Dabei begnügten sie sich mit der Kontrolle der Verwaltung. Die Übernahme der Verwaltung durch die Räte wurde kaum gefordert. Deshalb habe es in der Oberpfalz anders als in München keinen Umsturz der politischen und militärischen Gewalten gegeben. Dabei habe das weitgehende Fehlen der revolutionären Parteien USPD und Bauernbund sowie die hohe quantitative Bedeutung der organisierten christlichen Arbeiterschaft wesentlich zum gemäßigten Verlauf der Revolution in der Oberpfalz beigetragen.

In den wirtschaftlichen Prioritäten der oberpfälzischen Räte sieht Wacker dann auch den Grund für die mangelhaft funktionierende Kommunikation zwischen ihnen und den zentralen Räteorganen in München, die den Schwerpunkt auf politische Reformen legten. Damit übereinstimmend führt Wacker die Zunahme der Räteaktivitäten in der Oberpfalz auch nicht auf die nach dem Eisnermord einsetzende Radikalisierung zurück, sondern auf die Zunahme wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Probleme. Dabei widerlegt er Michael Seligmanns These, wonach in Bayern im Frühjahr 1919 eine allgemeine Rätebewegung existiert habe (Aufstand der Räte. Die erste bayerische Räterepublik vom 7. April 1919, Grafenau 1989). Unter den Räten der Oberpfalz habe es kaum Forderungen nach einer Räteregierung gegeben. Der Anschluss vieler Räte an die Münchner Räterepublik habe seinen Grund in Desinformation.

Dabei gehört es zu den wichtigsten Ergebnissen von Wackers Arbeit, dass er die zentrale Rolle der staatlichen und kommunalen Behörden während der Revolutionsmonate herausarbeitet. Da sich die Revolution in Bayern von der Zentrale in die Provinz auszubreiten hatte, sei es den kommunalen und staatlichen Behörden gelungen, die Bildung der Räte und ihre Arbeit angesichts einer überraschten und überforderten Sozialdemokratie zu beeinflussen. Die lokalen und regionalen Behörden behielten das Heft stets in der Hand. Deshalb waren es auch nicht revolutionäre Massen, die die Revolution in der Oberpfalz prägten, sondern neben Beamten Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre, wobei die Arbeiter selbst eher am Funktionieren der Gewerkschaften, denn der Räte interessiert gewesen seien. Da sich die Repräsentanten des Bürgertums in den Verwaltungen ihrerseits sofort auf den Boden der Tatsachen stellten, ergab die Revolution in der Oberpfalz mehr das Bild eines „fließenden Übergangs“, denn eines „scharfen Bruchs“ (S. 470). Tatsächlich ergriffen die Verwaltungen die Gelegenheit, die sich ihnen durch die Räte bildete und gewährten ihnen ihrerseits Teilhabe an der Verwaltung bzw. instrumentalisierten sie, um ihnen unpopuläre und schwierige Aufgaben bei der Lebensmittelbeschaffung zu übertragen. Hierzu gehört auch die Beteiligung von Arbeitern an den Einwohnerwehren, was von der Forschung zur Geschichte der Einwohnerwehren bisher nicht berücksichtigt wurde und was nach Wacker eine Alternative zum späteren reaktionären Einschlag der Einwohnerwehren aufzeigte.

Insgesamt bedeutete die Revolution für die Oberpfalz nach Wacker einen sozialen und politischen Modernisierungsschub – ein wichtiges Ergebnis, das aber im deutlichen Gegensatz zur Ablehnung des Bosl’schen Strukturalismus durch Wacker steht. Die antistrukturalistischen Bekenntnisse erweisen sich nun als Lippenbekenntnisse. Hier zeigt sich, dass Wackers Entgegenstellung von langfristig wirkenden politischen und kurzfristig wirkenden wirtschaftlichen Faktoren, methodisch ohnehin nicht abgesichert, nicht funktioniert. Nicht nur, dass die Revolution insgesamt eine Verjüngung der politischen Kultur bedeutete. Insgesamt habe die Revolution eine Aufwertung des proletarischen Selbstbewusstseins, die flächendeckende Ausbreitung der freien Gewerkschaften und die dauerhafte Verankerung der Sozialdemokratie gebracht. Im politischen Katholizismus habe sich die Honoratiorenpartei des Zentrums zur Mitgliederpartei der Bayerischen Volkspartei entwickelt. Dies habe zusammen mit den Verfassungsänderungen zu einer verstärkten Konkurrenz der Parteien geführt, weshalb ihre Aktivitäten zunahmen. Dabei führt Wacker diese steigende Aktivität der Parteien nicht zuletzt und sicherlich zu Recht auf die in der Verwaltung des Mangels gründenden wachsenden Anforderungen an die Politik zurück.

Leider wird die Benutzbarkeit der Arbeit durch zwei Faktoren beeinträchtigt. Einmal lässt das Fehlen eines Registers die Fülle vor allem an lokalgeschichtlichen Fakten, die sich in den Fußnoten verbergen, nahezu unauffindbar werden. Für eine Arbeit, die wie diejenige Wackers nicht zuletzt auch von heimatgeschichtlichem Interesse ist, ist das kein leichtes Manko. Ein weiterer Schwachpunkt der Arbeit besteht in ihrer unausgereiften Sprache. Ungebührende umgangssprachliche Elemente und verschraubte Substantivierungen führen bisweilen zu unverständlichen und schiefen bis falschen Termen. Wenn er die Edition der Ministerratsprotokolle von Franz Josef Bauer (Kabinett Eisner) sowie Wolfgang Ehberger und Johannes Merz (Kabinett Hoffmann I) als „unkritisch“ (S. 49) bezeichnet, ist nicht klar, ob er damit eine Eigenschaft von Editionen oder der Editoren meint. Sprachlich zu unachtsam geht Wacker vor, wenn er behauptet, Eisner „fegte […] die Staatsregierung gewaltsam hinweg“ (S. 97). Dass der Vorteil des Verwaltungsschriftguts als Quelle darin liege, dass es ein „hohes Maß an Objektivität“ besitze (S. 44), ist schlichtweg falsch. Gemeint ist wohl eher der sachlich-nüchterne bürokratische Stil, der Objektivität hervorragend vorzutäuschen in der Lage ist.

Die angeführten Mängel beeinträchtigen den Wert der Studie, aber sie stellen ihn nicht grundsätzlich in Frage. Die Studie erweitert die Kenntnis über die revolutionären Ereignisse in Bayern erheblich, vor allem was die Rolle staatlicher und kommunaler Behörden und die Interpretation der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte als wirtschaftspolitische Interessenvertretungen durch ihre jeweilige Klientel betrifft. Wackers Ergebnisse lassen sich deshalb leicht in langfristig wirksame politische und wirtschaftliche Strukturen der bayerischen Geschichte integrieren.