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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Karin Schneider-Ferber

Isabeau de Bavière. Frankreichs Königin aus dem Hause Wittelsbach

(Kleine bayerische Biografien), Regensburg 2018, Friedrich Pustet 2018, 143 Seiten mit Abbildungen
Rezensiert von Gabriele Schlütter-Schindler
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 24.06.2019

Der Verfasserin ist es gewiss gelungen, ihre Protagonistin auf der Bühne, die sie als Königin von Frankreich zu bespielen hatte, dem Leser nahe zu bringen. Isabeau war mit offenbar jugendlicher Gutwilligkeit und Bereitschaft bemüht, den höfischen Anforderungen und königlichen Aufgaben nachzukommen. Sie hatte einen glücklichen Einstand, ihr junger Ehemann war von ihr begeistert und die Liebe beruhte auf Gegenseitigkeit - welche Besonderheit in einer Welt der vorgegebenen gesellschaftlichen Einbindung und der durch den Hundertjährigen Krieg bestimmten großen Politik. Über die Beschreibung der Atmosphäre im sinnenfrohen Paris, der kostbaren Interieurs, rauschenden Feste und ausgefallenen Moden versteht es die Verfasserin, ein lebhaftes Bild vom höfischen Leben des jungen Königspaares zu zeichnen. Der Ausbruch der Geisteskrankheit bei Karl VI. zerstörte 1392 die gewohnte Welt der jungen Frau und stellte sie vor ernste Probleme. Die Schübe der schizophrenen Erkrankung beschränkten die Handlungsfähigkeit des Königs auf kurze symptomfreie Phasen. Letztere können allerdings weder als Genesung (S. 72, 75, 83, 86) aufgefasst noch bezeichnet werden. Die bereits während der Minderjährigkeit Karls von seinen Verwandten ausgelebten Rivalitäten fanden ihre Fortsetzung in dem Vormundschaftsrat, den der König seiner Frau zur Seite stellte. Isabeau war von ihm mit weit-, aber wohl nicht ausreichenden Vollmachten versehen worden, denn die Verfasserin sieht für die Königin keinen Spielraum, selbständige politische Entscheidungen zu treffen (S. 56) und den von Karl eingeschlagenen Kurs einer Konsolidierung der Verhältnisse im Königreich fortzusetzen. Halt und Orientierung, dabei stets um Ausgleich bemüht, suchte sie zunächst an Philipp II. von Burgund, dem Onkel ihres Mannes, der bis zu seinem Tod 1404 den Vormundschaftsrat beherrschte und damit den Löwenanteil der Fiskaleinnahmen der Krone für sich nutzen konnte. Isabeau schloss sich nach dem Tod des Burgunderherzogs ihrem Schwager Ludwig von Orléans an und stützte sich zudem auf ihren Bruder, Herzog Ludwig VII. von Bayern-Ingolstadt. Nach der burgundischen Dominanz bestimmte nun Orléans die Politik im Königreich. Im komplizierten Geflecht ihrer verschiedenen Interessen gefangen, brach der Konflikt zwischen Ludwig von Orléans und dem nicht mit der Autorität und dem Machtvolumen seines Vaters Philipp ausgestatteten Johann Ohnefurcht offen aus. 1407 ließ Johann Ohnefurcht seinen Vetter ermorden. Die folgenden Jahre spalteten die Gesellschaft, auf vordergründige Versöhnungen zwischen Burgund und Orléans folgten Übergriffe und Gewalttaten. Orléans suchte Genugtuung für den Mord an Ludwig und fand in Bernhard von Armagnac, dem Schwiegervater Karls von Orléans, den Mann, der dem Burgunderherzog Paroli bieten konnte. Das Königspaar wurde von beiden Parteien für ihre jeweiligen Zwecke instrumentalisiert. Es dürfte insbesondere der Vertrag von Troyes gewesen sein, durch den das Königspaar 1420 den Dauphin Karl (VII.) zugunsten des mit der Tochter Katharina verheirateten englischen Königs Heinrich V. von der Erbfolge ausschloss, der Isabeau die Schelte und Verachtung der Nachwelt eingebracht hat.

Die inzwischen von der Forschung erarbeiteten und zusammengetragenen Erkenntnisse über den Hof der Königin und ihr Personal sowie über ihre Finanzen und ihr Itinerar (die Studien detailliert vorgestellt von Theodor Straub, Isabeau de Bavière, Legende und Wirklichkeit, in: ZBLG 44, 1981, S. 141 f.) haben zu dem heute gültigen Bild Isabeaus beigetragen und sie vom Vorwurf der putzsüchtigen Verräterin befreit. Zu Recht weist die Verfasserin abschließend darauf hin, dass die einer französischen Königin in den Augen der Zeitgenossen obliegenden Pflichten von der bayerischen Elisabeth durchaus erfüllt worden sind: Sie sicherte den Fortbestand der Familie durch die Geburten von zwölf Kindern, von denen vier sehr jung starben, wirkte als Wohltäterin für Arme und Bedrängte, bedachte Kirchen und Klöster mit kostbaren Ausstattungen, zeigte Sinn für die Kunst, förderte indirekt das hochentwickelte Handwerk und verstand sich auf eine glänzende Repräsentation - unverzichtbares Talent einer jeden Königin, besonders in schwieriger Zeit.

Wie alle Bearbeitungen historischer Themen bedürfen auch biographische Vorhaben der Sichtung des zur Verfügung stehenden Quellenmaterials und sind abhängig von dessen Qualität und Eigenart. Die Chronisten haben im Spätmittelalter die spröde Zurückhaltung ihrer schreibenden Zunftgenossen des Früh- und Hochmittelalters abgelegt und geben sich wesentlich auskunftsfreudiger. Da von Isabeau keine Selbstzeugnisse vorliegen, sind es die Beobachtungen und Wahrnehmungen der in erster Linie zeitgenössischen Chronisten (etwa Froissart, Juvénal des Ursins, Monstrelet, Chronique du Religieux de Saint-Denis, Journal d'un Bourgeois de Paris), an denen der Text entlanggeführt wird. Dem Leser, zumal dem "nicht speziell vorgebildet(en)" Leser - so das eingangs formulierte Anliegen der Reihe -  nutzt die Nennung der Quellen wenig, wenn ihm nicht die häufiger erwähnten Autoren im Vorfeld zumindest knapp vorgestellt werden (Herkunft, Ausbildung, Verbindungen, politische Position). Die im letzten, mit Epilog überschriebenen Kapitel (S. 132-134) sehr allgemein gehaltenen Aussagen zu einigen erzählenden Quellen kommen zu spät. Das Verständnis des Lesers für das vor ihm ausgebreitete Lebensbild ließe sich vertiefen, wenn ihm zuvor vermittelt wird, auf welche Art von Überlieferungen und Erkenntnissen sich die Darstellung vornehmlich stützt. Ähnlich verhält es sich mit den Mitgliedern der als " 'Schlangengrube' " (S. 26, 65) charakterisierten französischen Königsfamilie, in welche Isabeau einheiratete. Nicht ohne Grund hatte sich Karl VI. der aus seinen Oheimen bestehenden Vormundschaftsregierung 1388 energisch entledigt. Mit diesen Verwandten bzw. deren Nachkommen hatte es nun Isabeau ab 1392 zu tun. Eine kurze und übersichtliche Vorstellung der handelnden Personen sowie der sich aus ihren Motiven ergebenden innerfamiliären Konfliktherde würde es dem Leser erleichtern, die Isabeau umgebende Personenvielfalt zu erfassen, zumal ihm kein Personenverzeichnis bei der Einordnung der den Pariser Hof frequentierenden Damen und Herren hilft.

Es mag eine Geschmacksfrage sein, etwa die Oheime Karls als " 'big four' " (S. 53), einen Versöhnungsakt als "Show-Veranstaltung" (S. 76), eine Heiratsabrede als " 'Deal' " (S. 86), die umstrittene Papstwahl von 1378 als " 'hotspot' der europäischen Politik" (S. 22) zu bezeichnen oder von "Sicherheitszone(n)" (S. 105 f.) zu sprechen - mit dem " 'Persilschein' " (S. 75) dürfte die Grenze flotter Sprachfloskeln jedoch überschritten sein. Die Verfasserin macht in ihrem Text die bestehende Distanz zwischen dem heutigen Leser und den Spielregeln der spätmittelalterlichen höfischen Gesellschaft ja durchaus deutlich und wirbt um das Verständnis für ihre Protagonistin im Rahmen der zeitgebundenen Bedingungen ihrer Lebenswelt. Mit dem Einsatz der erwähnten und ähnlicher Begriffe erweist sie ihrem Anliegen einen eher zweifelhaften Dienst.